V-Mann-Material als "privates Eigentum" getarnt

Erstveröffentlicht: 
02.06.2016

Ein Verfassungsschützer hielt Akten, ein Handy und SIM-Karten seines V-Manns unerkannt unter Verschluss. Der Chef des Amtes, Hans-Georg Maaßen, gibt zu, das Material sei noch nicht ganz ausgewertet.

 

Mehrere Dutzend V-Männer verschiedener Verfassungsschutzbehörden waren über Jahre im Umfeld des NSU eingesetzt. Niemand kam nach jetzigem Wissensstand der Terrorgruppe näher als die V-Männer des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit den Tarnnamen Corelli und Primus. Corelli alias Thomas Richter berichtete von Halle an der Saale aus, Primus alias Ralf Marschner kam aus Zwickau, dort, wo Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zehn Jahre gelebt haben.

 

Die Führung des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte in den letzten Jahren verschiedenen Vertretern des Bundestages mehrfach versprochen, alle Fakten, Akten und Erkenntnisse über diese V-Männer offenzulegen. Doch am Donnerstag wurde im Bundestag abermals offensichtlich, dass Mitarbeiter des Amtes noch immer Informationen über die V-Männer des Amtes zurückhalten.

 

Der Präsident des BfV, Hans-Georg Maaßen, musste gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuss einräumen, dass der V-Mann-Führer von Corelli einen ganzen Tresor voll mit Akten, Handys und SIM-Karten in seinem Arbeitszimmer hatte, von dem die Amtsleitung lange nichts gewusst haben will. Als der V-Mann-Führer versetzt wurde, wurde sein Büro und darin der Sicherheitsschrank mehrfach durchsucht.

 

Bei einer von fünf Durchsuchungen des Schranks war ein Umschlag mit der Aufschrift "Privates Eigentum" gefunden worden, darin ein Handy, das Corelli benutzt haben soll. Dass das Mobiltelefon dem V-Mann gehört haben soll, hatte erst die IT-Abteilung des BfV entdeckt. 

 

Kaltgestellt, enttarnt und woran gestorben?


Corelli ist als V-Mann besonders interessant, weil er schon 1995 über Uwe Mundlos berichte hatte. Zudem hatte er 2005 dem BfV eine CD übergeben, auf der ein Cover gespeichert war, das den Schriftzug "NSU-NSDAP" und eine Pistole zeigt. Corelli war, nach dem er zwei Jahre kaltgestellt war, am 15. Juni 2005 wieder als V-Mann angestellt worden. Am selben Tag beging der NSU einen Mord in München.

 

Der ehemalige V-Mann wurde 2012 enttarnt und 2014 tot in einer Wohnung aufgefunden, die ihm der Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt hatte. Corelli soll an einer zuvor unentdeckten Zuckererkrankung gestorben sein.

 

Der NSU-Ausschuss hatte bereits zwei Berichte über den Schrank von Corellis V-Mann-Führer vom BfV erhalten, die, wie Ausschussmitglieder am Donnerstag berichteten, jedoch zu viele Fragen offenließen. BfV-Präsident Maaßen soll sich zwar in der nicht öffentlichen Sitzung zerknirscht gegeben, aber die zentrale Frage dennoch nicht beantwortet haben: Hatten einige der Dokumente in dem Tresor des V-Mann-Führers einen Bezug zum NSU? 

 

Es herrsche "Chaos" im Amt


Angeblich sei die Fülle an Material aus dem Schrank noch immer nicht abschließend vom Bundesamt ausgewertet worden. Warum das noch immer nicht gelungen ist, blieb am Donnerstag unklar. Der V-Mann-Führer soll sich im größeren Umfang Kopien von diversen Akten aus dem BfV-Archiv für sein privates Archiv im Büro gezogen haben. Inzwischen hat das Bundesinnenministerium einen Kontrolleur in das Amt geschickt, um die Dokumente ebenfalls zu prüfen.

 

Corellis V-Mann-Führer war bereits häufiger im NSU-Komplex aufgefallen, so hatte er in einer Phase nur noch unvollständig die Treffen mit seinem V-Mann Corelli schriftlich zusammengefasst. Zudem hatte er nach der Enttarnung Corellis angeboten, zu dessen Schutz mit dem Mann in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Auch hatte der V-Mann-Führer in der Vergangenheit strafrechtlich relevante Dateien von Corellis Computer gelöscht, um ihn vor der Strafverfolgung durch die Polizei zu schützen.

 

Ausschussmitglieder zeigten sich verärgert über den Vorgang. Es herrsche "Chaos" im Amt, sagte die Abgeordnete der Grünen, Irene Mihalic. Maaßen und das Innenministerium seien von den Mitarbeitern des BfV über den Fund im Schrank zu spät informiert worden. Der V-Mann-Führer habe sich über Dienstordnungen hinweggesetzt. 

 

"Trink ordentlich. Heil NSU … Hahaha"


Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass das BfV Informationen über Corelli zurückhält. Das Amt hatte auch lange geleugnet, eine Kopie der NSU-NSDAP-CD von Corelli im Besitz zu haben. Erst als das Bundeskriminalamt das Amt mehrere Tage durchsucht hatte, fanden die Ermittler die CD dort. Die Frage ist also, ob die späte Auswertung der Handys von Corelli tatsächlich das Versehen eines einzelnen fehlgeleiteten V-Mann-Führers sein kann.

 

Fragen wirft auch der V-Mann des BfV Primus alias Ralf Marschner auf. Er soll, wie die "Welt" im April berichtete, Uwe Mundlos in seiner Baufirma beschäftigt haben. Der BKA-Beamte Paul Lehmann räumte am Donnerstag als Zeuge im NSU-Ausschuss ein, dass ein Zeuge, der Marschner, Böhnhardt und Mundlos zusammen in Sachsen 1998 bei einem Fußballturnier gesehen haben will, als glaubhaft eingeschätzt worden ist. Bei dem Treffen, so der Zeuge damals, habe er sich mit dem V-Mann über die Beschaffung von Waffen unterhalten. Weitere Ermittlungsschritte wurden jedoch nach Wissen des BKA-Beamten Lehmann nicht eingeleitet. Man ließ diese Spur – ein V-Mann wird mit NSU-Mitgliedern gesehen – auf sich beruhen.

 

Der BKA-Ermittler Lehmann sagte zudem, dass man nur nach mehrmaligen Nachfragen "umfangreich", aber nicht "umfänglich" von den verschiedenen Verfassungsschutzbehörden über Marschner informiert worden sei. Das BKA, so wurde am Ende der Ausschusssitzung bekannt, wurde schon im März 2012 vom BfV informiert, dass Marschner ein V-Mann war. In die Ermittlungsakten floss diese Information zunächst nicht ein. Außerdem wurde bekannt, dass Marschner noch zwei Wochen nach Auffliegen des NSU Anfang November 2011 den Facebook-Post eines Bekannten zu einem Pub-Besuch mit den Worten kommentierte: "Trink ordentlich. Heil NSU … Hahaha".