Gedankenlos: Stadt Suhl blamiert sich mit Gedenktafel für Opfer der Aliierten

Erstveröffentlicht: 
02.06.2016

Eine Tafel, die an die Opfer der durch die Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg internierten deutschen Insassen des Buchenwalder Speziallagers 2 erinnert, soll auf Beschluss des Suhler Stadtrates auf dem Friedhof der Stadt aufgestellt werden. Nun wird den Vertretern der Stadt von Experten Geschichtsklitterung vorgeworfen.

 

Suhl/Weimar. Die Pläne der Stadt Suhl, mit einer Gedenktafel an Menschen zu erinnern, die unter anderem im sowjetischen Speziallager Nummer 2 nach 1945 in Buchenwaldgelitten haben und zu Tode gekommen sind, stoßen bei der Stiftung Gedenkstätten auf scharfe Kritik. Der für die Tafel vom Suhler Stadtrat beschlossene Text entstamme einem Geschichtsbild der 1950er Jahre, sagte der Direktor der Stiftung, Volkhard Knigge. Da werden Zerrbilder gezeichnet, von denen man dachte, dass sie längst überwunden sind. Die Pläne der Stadt Suhl seien gekennzeichnet von Unwissen und Gedankenlosigkeit, die zu Geschichtsklitterung und Geschichtsvergessenheit führen. Unter anderem für das Geschichtsbewusstsein junger Menschen berge der beschlossene Text die große Gefahr, dass man damit politischen Strömungen zuarbeitet, von denen ich niemandem der hieran Beteiligten unterstellen möchte, dass er diesen Strömungen zuarbeiten will. Die Pläne müssten dringend überdacht werden, forderte Knigge. Meine Empfehlung wäre, sich mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen, dem man gedenken will.

 

Stadtratsbeschluss ohne Gegenstimmen


Der Suhler Stadtrat hatte vor wenigen Tagen mit nur drei Enthaltungen und ohne Gegenstimmen einer Beschlussvorlage seines Kulturausschusses zugestimmt, in der es heißt, auf dem Hauptfriedhof Suhls solle eine Tafel mit folgender Inschrift angebracht werden: Die Stadt Suhl gedenkt der Bürger ihrer Stadt, die im sowjetischen Speziallager Nr. 2 Buchenwald und in anderen Lagern der Alliierten unschuldig gelitten haben oder zu Tode gekommen sind. 

 

Nach Angaben von Suhls Oberbürgermeister Jens Triebel (parteilos) ging die Initiative zur Errichtung der Tafel von Angehörigen von Menschen aus, die im Speziallager Nr. 2 starben. Nach Angaben Triebels ist Suhl die erste Stadt in Thüringen, die eine solche Tafel errichten will. 

 

Knigge sagte, der beschlossene Text setze alle Arten von Lagern gleich; unter anderem: das sowjetische Speziallager, sowjetische und westalliierte Kriegsgefangenenlager, Internierungslager von Briten, Franzosen und Amerikanern für NS-Belastete und selbst Lager, in denen nach dem Krieg ehemalige KZ-Häftlinge und NS-Zwangsarbeiter untergebracht worden seien. Dadurch würden nicht nur wichtigen Unterschiede zwischen den einzelnen Lagerarten eingeebnet. Zudem würden wie in den 1950er Jahren Schuld und Unrecht gegeneinander aufgerechnet. Das Argument dabei ist doch: Ja, wir Deutschen haben große Verbrechen begangen, aber die anderen auch. Das sei aber die falsche Art des Gedenkens und Erinnerns. 

 

Die Sowjets nutzten das von den Nationalsozialisten errichtete KonzentrationslagerBuchenwald nach dessen Befreiung ab 1945, um dort Angehörige des NS-Regimes zu inhaftieren. Die Haftbedingungen im Lager waren teilweise katastrophal. Das sogenannte Speziallager Nr. 2 wurden 1950 aufgelöst. Neben tatsächlichen Nationalsozialisten wurden dort auch Menschen eingesperrt, die zu Unrecht einer Zusammenarbeit mit den Nazis verdächtigt worden waren.

 

An welche Unschuldigen soll erinnert werden?


Allerdings ist der Anteil derer, die auf Grund falscher Anschuldigungen in das Speziallager eingeliefert wurden, nach Angaben von Knigge deutlich geringer als man das noch in den 1990er Jahren annahm. Die Forschung habe in den vergangenen Jahren deutlich herausgearbeitet, dass mehr als etwa 80 Prozent derer, die von den Sowjets in diesen Einrichtungen inhaftiert worden seien, tatsächlich in das NS-System verstrickt gewesen seien. Insofern sei es fragwürdig, an welche angeblich Unschuldigen die für Suhl geplante Gedenktafel nun erinnern solle. Zwar sei den Häftlingen des Speziallagers stalinistisches Unrecht widerfahren. Sie hätten keinerlei Verfahren erlebt, die rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprochen hätten. Das bedeute aber nicht, dass es die Verbrechen, derer sie beschuldigt worden seien, nicht gegeben habe. Auch hierbei zeige sich, wie untauglich es sei, Schuld gegeneinander aufrechnen zu wollen.

 

Betroffene wohl tatsächlich mit NS-Regime verstrickt


Genau auf solche historisch komplexen Zusammenhänge im Speziellen, sagte Knigge, hätten Vertreter der Stiftung die Stadtratsmitglieder hinweisen können weil die Stiftung über eine Vielzahl von historischen Quellen verfüge, aus denen sich auch die Biografien einzelnen Häftlinge recherchieren lasse. Schon eine erste Recherche der Stiftung zu Menschen, die in der Region Suhl geboren worden sind und im Speziallager Nr. 2 starben, habe gezeigt, dass die Betroffenen wohl tatsächlich mit dem Regime verstrickt waren. Eine solche Anfrage aus Suhl sei aber nie an die Gedenkstätte herangetragen worden. 

 

Zudem hätten die Stadtratsmitglieder im Allgemeinen vieles von dieser historischen Komplexität wissen können, wenn man mal ein Buch liest, sagte Knigge. Die Geschichte des Speziallagers Buchenwald sei bald nach 1990 intensiv mit einem großen Forschungsprojekt aufgearbeitet, die Forschungsergebnisse in zwei dicken Büchern publiziert worden. So wie die Pläne der Stadt nun allerdings beschlossen worden seien, sagte Knigge, verbreiteten sie eine These, die ebenfalls in den 1950er Jahren beliebt war: Und die lautet: Hitler kam vom Mars und hat die Deutschen verführt. Dabei war das NS-System ganz breit abgestützt. Wir reden da von Millionen Deutschen. 

 

Die Gedenkstätte Buchenwald hat die Namen fast aller Toten des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 als Online-Totenbuch im Internet veröffentlicht: Mehr dazu unter