Rieger-Immobilien bleiben in rechter Hand − die rassistische „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ tritt das Erbe an.
Zweieinhalb Monate nach dem Tod des Hamburger Neonazi-Anwaltes Jürgen Rieger steht fest, dass Neonazis weiterhin die „Schlüsselgewalt“ über mindestens zwei seiner Großimmobilien behalten dürften. Sowohl das „Schützenhaus“ im thüringischen Pößneck und der „Heisenhof“ im Landkreis Verden in Niedersachsen, beide Immobilien im Besitz der „Wilhelm Tietjen Stiftung Ltd“, gehörten Rieger defacto gar nicht, sondern waren von ihm nur treuhänderisch verwaltet worden. Zwar ist die rassistische „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V.“ (GfbAEV) noch nicht formal als Erbe der Tietjen-Stiftung eingetragen, aber der in Schleswig-Holstein ansässige Verein gilt als zukünftiger Eigentümer beider Anwesen.
Noch zu Lebzeiten erteilte der vermögende Bremer Wilhelm Tietjen Rieger den Auftrag eine Stiftung beziehungsweise britische Gesellschaft seines Namens zu gründen. Dem kinderlosen Ex-Lehrer stand der Sinn nach einer baldigen „Gründung eines Instituts zwecks Mehrung der Träger elitärer Erbanlagen“ sowie die „Errichtung einer entsprechenden Spermienbank“. 2002 starb Tietjen, den Nachbarn als eigensinnigen „Waldschrat“ wahrgenommen hatten und hinterließ ein Testament, welches nun bei Aufräumarbeiten in Riegers Hinterlassenschaften gefunden wurde. Demnach war der Hamburger Neonazi-Anwalt und Chef des NPD-Landesverbandes zunächst „Testamentsvollstrecker“, dann Verwalter der Tietjenschen Millionen – allerdings in doppelter Eigenschaft als Geschäftsführer der britischen „Wilhelm Tietjen Stiftung Ltd“, sowie als Vorstandsmitglied der einzigen Erbin, der „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V.“
Neuer Vorstand von der „Artgemeinschaft“
Ein Berg Arbeit wartet auf die Nachlassverwaltung im Fall Rieger, vieles ist noch im Unklaren – aber Einigung besteht darüber, dass Riegers einzige Erben, seine vier Kinder aus zwei Beziehungen, nichts mit dem Tietjen-Besitz in Pößneck und Dörverden zu tun haben werden. Damit scheinen die Kommunen in Dörverden und Pößneck vom Regen in die Traufe zu kommen. Im Januar wurde ein neuer Vorstand der GfbAEV, deren Ziele unter anderem die Förderung „erbgesundheitlicher Bildungsarbeit“ und „Sozialhygiene“ sind, gewählt. Riegers älterer Mitvorständler, der pensionierte Chemiker Siegward Knof aus Grafrath, sah sich wohl als überfordert an, die neuen Aufgaben zu bewältigen. Insiderinformationen zufolge habe Riegers enger Adlatus Thomas Wulff, genannt Steiner, noch versucht, eine Führungsposition im Verein zu erlangen.
Die übernahm jedoch ein anderer: Marc Müller, der im Herbst vergangenen Jahres mit seiner großen Familie von Baden-Württemberg in die Nähe von Güstrow gezogen war. Müller und seine Ehefrau Petra sind im braunen Netz keine Unbekannten, sie galten als enge Weggefährten Riegers. Sie zählen zur rassistischen „Artgemeinschaft“, nahmen an Treffen auf dem „Heisenhof“ teil, waren zuvor schon in der verbotenen „Wiking-Jugend“ und bis zum Verbot 2009 im Umfeld der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) aktiv. Den beiden Kindererziehungsvereinen war eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus nachgewiesen worden.
„Mündlich erteiltes Besitzrecht“
Petra Müller gehörte vor vier Jahren zu den Mitbegründerinnen der NPD-Unterorganisation „Ring Nationaler Frauen“. Ihr Mann betrieb im vergangenen Jahr einen militärisch-anmutenden „Zivilschutzversand“ mit Survivaltouren für das Überleben in der Krise, Fluchtgepäcken und Schießübungen in Tschechien im Angebot.
Als gewählter Neuvorstand des akademischen „Rassisten-Clubs“ GfbAEV wird Müller jetzt zuständig sein für die Immobilien. Noch liege die „Schlüsselgewalt“ allerdings bei Wulff, heißt es. Der soll im Mai 2009 in Thüringen die Kopie einer Verfügung vorgezeigt haben, mit der Rieger „im Falle seines Ablebens“ Wulff als seinen Vertreter bestimmt habe, wissen Insider. Als Erbe Riegers taucht Thomas Wulff nicht auf. Er sei aber sofort eingesprungen, als der überforderte GfbAEV-Vorstand unter Pensionär Knof Hilfe gesucht habe. Das war vor der Wahl Müllers.
„Nationale Wirtschaftsnetzwerke“ stärken
Den zuständigen Behörden in Verden und im Saale-Orla-Kreis ist die Rasse-Vereinigung GfbAEV noch „kein Begriff“. Sie gingen bisher davon aus, dass Riegers Kinder erben würden. In Dörverden liegt eine teure Abrissverfügung für die vier ehemaligen Bundeswehrgebäude auf dem „Heisenhof“ vor. Rieger war dagegen vorgegangen. Ob es zum Abriss kommen kann, darüber muss das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg entscheiden.
In Thüringen hat sich bereits am letzten Wochenende gezeigt, dass es die Hobby-Rasseforscher um Müller und Knof wenig zu stören scheint, wenn in ihrer großräumigen Immobilie mitten in Pößneck ein lautes Rechtsrock-Konzert stattfindet. Am 6. Februar lud der bekannte thüringische Neonazi Andre Kapke rund 200 Anhänger unter anderem aus Dresden, Gera und Erfurt zu einer privaten Feier per „SMS-Einladungen“ ins „Schützenhaus“ ein. Drei Bands sollen gespielt haben. Auch Kapke gibt vor, ein „mündlich erteiltes Besitzrecht“ des umtriebigen Hamburger Neonazis Rieger erhalten zu haben. Bereits im Herbst, noch vor dessen Tod, veranstaltete Kapke auf dem Gelände mit über 500 Anhängern das alljährliche „Fest der Völker“. Um die „nationalen Wirtschaftsnetzwerke“ zu stärken, soll demnächst eine rechte Messe in Pößneck geplant sein.
12. 02. 2010 - Andrea Röpke/Maik Baumgärtner