Nach Überfall zu Silvester: Schmerz, Angst und Misstrauen

Erstveröffentlicht: 
08.01.2016

Ein gehbehinderter Asylbewerber ist mit seinen beiden Töchtern auf offener Straße geschlagen und getreten worden. Der Schock sitzt tief bei der leidgeprüften Familie.

 

Er hatte so viel Gutes über Deutschland gehört. Es sei vor allem ein sehr soziales Land. Darum kam Zouhaier Labidi mit seinen drei Kindern vor fast drei Jahren hierher. Doch jetzt stellen die Ereignisse aus der Silvesternacht sein Vertrauen auf eine harte Probe.

 

Nachdem sie sich das Feuerwerk in der Innenstadt angesehen hatten, stiegen der 49-jährige Tunesier und seine 13 und 16 Jahre alten Töchter am Gablenzplatz aus der Straßenbahn der Linie 5 aus. Zwischen 0.30 und 1Uhr sei das gewesen, erinnert sich Manar Labidi, die älteste Tochter. Vom gegenüberliegenden Gleis sei eine Gruppe von sieben jungen Männern und einer Frau auf sie zugekommen, jemand habe "Scheißkanacken" gesagt. Der Familienvater, der auf einen Rollator gestützt geht, habe die Gruppe gefragt, was los sei. Als Antwort habe man ihm sofort Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Danach habe ihn ein Täter mit einer Glasflasche auf den Arm geschlagen. Er sei zu Boden gegangen, das Spray habe wahnsinnig in den Augen gebrannt. "Als er am Boden lag, haben sie ihn mit Füßen getreten", erinnert sich seine Tochter Manar. Sie selbst sei von einer jungen Frau angegriffen worden, habe sich aber wehren und zurückschlagen können. Ihre kleine Schwester habe zur Gruppe gesagt: "Bitte hört auf, meinen Vater zu schlagen." Als Antwort habe sie erst einen Ellbogen ins Gesicht bekommen und sei dann zu Boden gegangen. Schließlich habe ihr jemand mit dem Fuß ins Gesicht getreten, sagt Manar, die unverletzt blieb.

 

Rund 15 unbeteiligte Personen hätten sich am Gablenzplatz aufgehalten. Ihr Vater habe immer wieder "Bitte, Polizei" gesagt. "Aber niemand hat geholfen", so die 16-Jährige. Als die Täter geflüchtet waren, riefen die Opfer selbst Polizei und Krankenwagen. Zouhaier Labidi habe nach der Tat seinen Rucksack mit Medikamenten, Handy und einer Geldbörse vermisst. Die Polizei bestätigt diese Aussagen und ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung in Verbindung mit anderen Straftaten.

 

Erst ein paar Tage sind seit dem Vorfall vergangen. Der Schock sitzt tief bei den Labidis. Manar spielt ein Video ab, das sie mit dem Handy im Krankenwagen aufgenommen hat. Es zeigt ihren Vater mit einer Wunde am Kopf und ihre Schwester mit blutigem Gesicht. Das Kind hat Tränen in den Augen. Seiner jüngsten Tochter gehe es sehr schlecht, sagt Zouhaier Labidi. Seit Mittwoch gehe sie zwar wieder zur Schule. Doch sie habe große Angst und sei verstört. Er wünsche sich psychologischen Beistand für sie, habe aber noch niemanden gefunden, der helfen könne, erklärt der Vater. Auch er selbst habe Angst und sei traurig. "Ich habe keine Worte dafür, wie groß meine Schmerzen sind" - und damit meine er nicht nur die körperlichen. Mit einer schnellen Handbewegung öffnet er die Knöpfe am Ärmel seines Hemdes. Er schiebt den Stoff zurück und präsentiert einen blauen Unterarm. Der schmerze am meisten, sagt er, weil er dort die Flasche abbekommen habe.

 

Dann steht er auf, dreht sich um, zieht das Hemd ein Stück weit aus der Hose und offenbart mehrere Operationsnarben entlang der Wirbelsäule. Auch dort habe er jetzt wieder große Schmerzen, weil er bei dem Überfall auf diese Stelle gestürzt sei. Durch die Schmerzen wird Labidi wieder an seinen Unfall erinnert. Seit 1994 habe der Tunesier in Spanien gelebt. Dort traf er seine Frau und bekam mit ihr drei Kinder. Er habe vier Obst- und Gemüseläden geführt, die Familie wohnte außerhalb von Madrid. "Das Leben war gut", erinnert er sich wehmütig. Doch 2004 habe er einen schweren Verkehrsunfall gehabt. In dessen Folge habe er mehrmals im Koma gelegen und sei fünfmal an der Wirbelsäule operiert worden. Er habe seine Geschäfte und alles Geld verloren. 2005 sei zudem seine Frau an Krebs erkrankt und 2012 verstorben. Seine Augen füllen sich mit Tränen, wenn er davon erzählt.

 

In Deutschland habe er auf einen Neuanfang gehofft, sagt Labidi. Die Familie habe den Status einer Duldung, wie aus den Ausweisen hervorgeht, und lebt im Yorckgebiet. Den Glauben an das Gute in den Menschen habe er noch nicht verloren, sagt er. Ein Beispiel sei sein Rollator. Den habe ihm eine Nachbarin geschenkt.

 

Zeugen und Täter gesucht


Folgende Täterbeschreibung veröffentlichte die Polizei: Ein Täter, zirka 1,60 m, Mitte 20, Haare an den Seiten kurz rasiert, am Oberkopf kurze, blonde Haare. Ein anderer Täter: etwa 1,80 m und dünn, Pickel im Gesicht, seitlich rasierte Haare, wenig Haare am Oberkopf. Eine Täterin: Anfang 20, knapp 1,60 m, dünn, mit leuchtend roten, längeren Haaren, Nasenpiercing.