Das Geschäft mit den Flüchtlingen

Erstveröffentlicht: 
29.12.2015
Bundespolizeiinspektion in Halle jagt Schleuser und ihre Hintermänner in Mitteldeutschland – ihr neuer Chef ist ein Leipziger
VON ROLAND HEROLD

 

Leipzig. Wer als Flüchtling nach Deutschland will, dem machen professionelle Banden gern ein Angebot. Eine „Armuts-Schleusung“ kostet zwischen 500 bis 2000 US-Dollar und beinhaltet lediglich die riskante Fahrt im Schlauchboot über die Ägäis. Ein Komplettpaket – Schleusung von der Türkei, vom Libanon oder von Nordafrika aus nach Deutschland – ist für mehrere Tausend Dollar zu haben. Wer sich eine „Luxusschleusung“ mit gefälschten Dokumenten, veränderter Identität und Flugticket nach Europa leisten kann, muss schon 10 000 Dollar auf den Tisch legen. „Das ist eine kriminelle Industrie, in der man sehr viel Geld verdienen kann“, sagt Markus Pfau, der es wissen muss. Der 33-jährige Leipziger ist neuer Chef der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung mit Sitz in Halle und Dresden. Schwerpunkt: Kampf gegen organisierte Schleuserbanden in Mitteldeutschland.

 

Pfau ist seit 2000 Bundespolizist, war viele Jahre Dienstgruppenleiter der Bahnpolizei am Hauptbahnhof in Leipzig. Dann wechselte er zur Kriminalitätsbekämpfung. Seither befasst er sich mit illegalen Einwanderern und Schleusern, leitete unter anderem eine gemeinsame Ermittlungsgruppe der PD Leipzig und der Bundespolizei. „Internationale kriminelle Netzwerke verdienen ihr Geld immer dort, wo sie es können“, sagt Pfau. „Das ist im Augenblick die Schleusungskriminalität. Damit lässt sich sogar noch mehr verdienen als mit Drogen.“

 

Wie sich ein syrischer Flüchtling die Schleusung nach Europa leisten kann? Auch über die Bildung von Abhängigkeiten über die Schleusung hinaus. Wer nach Europa will, muss eine Anzahlung leisten und sich verpflichten, im Zielland den Rest abzustottern. Erhält er aber monate- oder jahrelang keinen legalen Aufenthaltsstatus, darf er auch nicht arbeiten. Folge: Das Geld kann oft nur durch kriminelle Handlungen abgestottert werden. Pfaus Leute wissen: Schleuser setzen Migranten gern als „Fußvolk“ in anderen Kriminalitätsfeldern ein...

 

Ein lukratives Geschäft ist auch das Fälschen von Dokumenten. Rund 5000 Euro kosten Pass nebst Führerschein und Krankenkarte. Sie werden in Fälscherwerkstätten in Albanien oder auch der Türkei hergestellt und nach Deutschland geschickt. „Dieser Markt floriert im Moment besonders“, so Pfau.

 

Er hat sein Amt am 1. August in unruhigen Zeiten angetreten. Nur kurz danach entschied die Bundesregierung, Flüchtlingen auf der Balkanroute die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Von da an wurde der Druck auf Pfau und seine 130 Beamten noch größer. „Es gehört schon viel Überzeugungskraft dazu, denn wir sind als Bundespolizei ja verantwortlich, eine möglichst effektive Arbeit zu machen.“ Bei bis zu 10 000 Flüchtlingen täglich eine schwierige Aufgabe.

 

Die Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung mit Außenstelle in Dresden setzt sich zusammen aus 40 Ermittlungsbeamten, die Verfahren gegen Schleuserbanden führen. Weitere 70 Fahndungsbeamte arbeiten verdeckt als mobiles Einsatzkommando. Nochmals 12 Kriminaltechniker beschäftigen sich vor allem mit gefälschten Pässen und Papieren.

 

Da Verschwiegenheit unter Schleusern oberstes Gebot ist, wird die Arbeit oft zum Puzzle. Organisatoren und Auftraggeber sitzen auch in Deutschland, in Großstädten wie Leipzig, Dresden, Halle, Magdeburg oder auch Erfurt beispielsweise. „Hier gibt es die erforderlichen Strukturen, hier werden illegale Einreisen geplant und in Auftrag gegeben“, sagt Pfau. „Sie sind Teil eines Netzwerkes, das bis zur Balkanroute und in die Herkunftsstaaten selbst reicht.“ In Syrien, im Libanon oder auch in der Türkei werden dann Flüchtlinge angesprochen und mit falschen Versprechungen geworben.

 

Gemeinsam mit der Landespolizei versuchen die Beamten, Licht in das Dunkel zu bringen. Weil sich die ganz großen Fische, die Köpfe der Netzwerke zum Beispiel in Italien, in der Türkei und in der Ukraine verbergen, hat sich die Bundespolizeiinspektion gut vernetzt. Mit den Polizeibehörden in Polen und Tschechien direkt, aber auch mit Ungarn, Rumänien, Italien oder Spanien über Europol. „Stellen wir fest, dass in einem dieser Länder Teile der Netzwerke sitzen, tauschen wir sehr schnell Erkenntnisse aus und handeln dann auch gemeinsam. Innerhalb Europas klappt das sehr gut.“

 

Vehement wehrt sich Pfau gegen Verklärungen, wonach Schleuser barmherzige Samariter seien, die in Not Geratenen helfen. „Das deckt sich nicht mit unseren Erfahrungen.“ 90 Prozent der Schleusungen geschähen vielmehr, um Profit zu machen. Dabei würden Gesundheit und Leben der Geschleusten oft kaltblütig aufs Spiel gesetzt. Beispielsweise wie bei dem Transporter in Österreich im August, in dem über 70 Leichen gefunden wurden. Nur 14 Tage zuvor war in Berggießhübel ein Lkw mit 81 Geschleusten entdeckt worden. „Wäre der noch drei, vier Stunden gefahren, dann wäre wohl das Gleiche passiert.“

 

Bis Ende November wurden allein in diesem Jahr in Mitteldeutschland 12 000 illegale Migranten ermittelt. Die meisten kamen über die deutsch-tschechische Grenze – aber auch in Zügen aus dem Süden Deutschlands. Vielen verdeckten Ermittlungen folgten Festnahmen. 360 Schleuser gingen den Beamten ins Netz, vor allem Fahrer von Schleuserfahrzeugen, aber auch größere Fische.

 

Mittlerweile hat das Wetter die Zahl der täglich in Deutschland eintreffenden Flüchtlinge deutlich reduziert. Die Pas­sage über das Mittelmeer wird gefähr­licher. Aber nach wie vor kommen 3000 bis 4000 Flüchtlinge am Tag. Pfau weiß: Nun wird es davon abhängen, was die Politik erreicht. Ob es gelingt, einen wirksamen EU-Außengrenzenschutz zu installieren und wie die Binnengrenzen innerhalb des Schengen-Raumes bewacht werden. Immerhin hat die Bundesregierung 3000 neue Dienstposten für die kommenden drei Jahre genehmigt. Pfau: „Ob das bei den Herausforderungen reichen wird, ist heute schwer einzuschätzen.“