Leipzig.
Was hat 2015 funktioniert – und was nicht?
Das Jahr war erst mal geprägt durch das 1000-jährige Jubiläum. Da ich auch im Vorstand des Vereins sitze, ist da natürlich viel Arbeit angefallen. In meinem Dezernat ging es vor allem um die Anbindung des Karl-Heine-Kanals an den Lindenauer Hafen, die Öffnung des Elstermühlgrabens, das 150-jährige Jubiläum der Berufsfeuerwehr sowie die Hallenhockey-Weltmeisterschaft. Herausfordernd war das Jahr natürlich auch in versammlungsrechtlicher Hinsicht – durch das ganze Demonstrationsgeschehen um Legida. Dazu durch die Flüchtlingssituation, die für den Ordnungsdezernenten Fragen der Sicherheit um Flüchtlingseinrichtungen aufwirft, oder die Frage, welche Unterkünfte zur Verfügung stehen. Da ist man dann wieder als Sportdezernent gefragt: Werden Sporthallen der Stadt als Ultima Ratio doch gebraucht? Da werden wir die nächsten Wochen und Monate noch große Herausforderungen zu bewältigen haben.
Steht die Nutzung von kommunalen Sporthallen an?
Wie erwähnt, der Oberbürgermeister formuliert das als letzte Option. Ich kenne Sportdezernenten in anderen Großstädten, die dem Vereinssport im Grunde keine Hallen mehr anbieten können. Das hat es in Leipzig bisher nicht gegeben. Wir ringen weiter darum, dass wir in Leipzig keine Flüchtlinge in Sporthallen unterbringen müssen. Dies ist letztendlich aber auch von der Entwicklung der konkreten Flüchtlingszahlen abhängig.
Sie haben das Demonstrationsgeschehen schon erwähnt. Was konkret bedeutet das für Ihr Dezernat, wenn so viele Anmelder kommen und eine Demo anmelden?
Einen riesigen Arbeitsaufwand! Die Stadt ist die Versammlungsbehörde und zum heutigen Stand hatten wir in 2015 sage und schreibe 1189 Versammlungsanmeldungen. Jeder, der in Leipzig eine Versammlung im öffentlichen Raum abhalten will, muss diese mindestens 48 Stunden vorher anzeigen. Wir prüfen dann, ob von dieser Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, müssen dies aber im Einzelfall konkret belegen und nachweisen können. Wir können mit Auflagen arbeiten oder im schlimmsten Fall eine Verbotsverfügung erlassen. Im Vorfeld müssen wir verschiedene Behörden zur Sicherheitslage befragen. Die Polizeidirektion in jedem Fall, bei politisch „gehaltvollen“ Veranstaltungen auch das Landesamt für Verfassungsschutz. Dann wird entschieden, wie wir als Stadt mit diesem Umzug versammlungsrechtlich umgehen. Grundsätzlich hat erst einmal jeder das Recht, zu jeder Zeit an jedem Standort in Leipzig zu demonstrieren. Wir müssen dann abwägen, inwieweit die Leipziger, der Nah- und Individualverkehr sowie die Händlerschaft betroffen bzw. eingeschränkt sind. Denn: In der Regel werden bei behördlicher Einschränkung der jeweils angemeldeten Versammlung Gerichte zur Überprüfung dieser Entscheidung angerufen. Bei allen Belastungen, Einschränkungen und anderer Auffassung: Es muss jedem klar sein, dass die Versammlungsfreiheit in Deutschland ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut ist. Die Versammlungsbehörde ist daher gehalten, diesem Grundrecht zur Umsetzung zu verhelfen. Das kann man kritisieren, aber das ist unsere Aufgabe!
Am 12. Dezember stand die Stadt vor einer Situation, die man vielleicht nicht in der Dramatik erwarten musste. Aber es war ja ziemlich klar, dass etwas passieren wird. Viele Leser fragen sich: Kann die Stadt bei absehbaren Ausschreitungen nicht doch die Genehmigung verweigern oder die einzelnen Veranstaltungen noch weiter voneinander wegziehen?
Ich war über die Ereignisse am 12. Dezember sehr erschrocken und emotional berührt – ich war selbst auf der Kreuzung. Wir hatten die Routen der drei Anmelder aus dem Umfeld von Legida schon sehr weit beschränkt. Den geplanten Sternmarsch Richtung Connewitz hatten wir in einem ersten Bescheid für alle drei Anmelder schon nach Norden verschoben. Nachdem wir die Kräftelage der Polizei kannten, haben wir alle drei Anmelder auf eine Route gepackt, diese sehr verkürzt und von Connewitz in die Südvorstadt verlegt. Rundherum sind Gegendemonstrationen beauflagt worden. Aus meiner Sicht ein typisches Prozedere im Versammlungsgeschehen, wie bei anderen Veranstaltungen auch. Wenn man den Aufzug und die Versammlungsanmeldungen isoliert betrachtet, ist von diesem Geschehen insgesamt keine relevante Störung ausgegangen. Was wir an blinder Gewalt und Zerstörung vor allem im Bereich Karl-Liebknecht- und Kurt-Eisner-Straße feststellen mussten, waren äußerst gewalttätige Personen, die aus dem ganzen Bundesgebiet angereist waren und sich zum Teil auch den legalen Demonstrationen anschlossen. Insofern kann man sich die Frage stellen: Was haben alle Behörden im Vorfeld gewusst, hätte man mit diesem Wissen das Versammlungsgeschehen noch weiter reduzieren und wie hätte man dann mit dem offensichtlich viel größerem Gewaltpotenzial umgehen können? Wir sind da immer noch mit allen beteiligten Behörden in der Auswertung. Denn wie gesagt: Jeder Versammlungsanmelder hat erst einmal das grundgesetzlich geschützte Recht, dass seine Versammlung stattfindet.
Hatten Sie denn nun im Vorfeld ein umfassendes Lagebild, wie Sie es im Stadtrat formulierten, oder hatten Sie es nicht?
Aus Sicht der Versammlungsbehörde hatten wir es; sprich die Anzahl der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte und eine entsprechende Prognose, welches Versammlungsgeschehen mit dieser Kräftelage abzusichern ist. Die Frage ist, ob wir tatsächlich alle Daten und Fakten der Sicherheitsbehörden hatten. Da geht es mitunter um vertrauliche Informationen von Landesbehörden bezüglich der erwarteten Anzahl von gewaltbereiten Störern und deren avisiertes Vorgehen. Wir müssen uns jetzt weiter abstimmen, welcher Datenaustausch bis in welches Detail realisierbar und im Einzelfall sinnvoll ist. Das ist wegen dieser sensiblen Daten nicht ganz einfach: Wenn Sie als Kommune einen Verwaltungsakt erlassen, ist der öffentlich. Wenn Sie vor einem Verwaltungsgericht stehen, ist das Verfahren öffentlich. Es darf ja auch nicht die Arbeit der staatlichen Sicherheitsbehörden gefährdet werden.
Was passiert Silvester in Connewitz?
Die Vorbereitungen laufen wie in den vergangenen Jahren. Die Händler am Kreuz werden zu Sicherungsmaßnahmen aufgerufen, es gibt Reaktionen im Liniennetz der LVB. Es gibt wieder Auflagen für bekannte Täter, die sich in der Silvesternacht bei ihrer jeweiligen Polizeidienststelle melden müssen. Bis Silvester werden wir uns mit der Polizei weiter austauschen.
Was muss denn in Leipzig passieren, damit dieses ständige Aufflammen linksautonomer Gewalt aufhört?
Das ist für mich auch eine Frage der Gesamtsicherheitslage. Wir haben eine im sächsischen Vergleich hohe Kriminalitätsbelastung. Wir müssen im präventiven Bereich weiterhin große Anstrengungen unternehmen und parallel mit Präsenz der Polizei und adäquaten Reaktionen auf Straftaten für ein Sicherheitsgefühl sorgen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass der Staat das Gewaltmonopol Dritten überlässt. Der Bürger muss den Eindruck haben, dass der Polizei- und Justizapparat funktioniert und sich mit allen Ressourcen solchen Problemen widmet. Da gibt es für den Standort Leipzig Nachholbedarf.
An welcher Stelle konkret?
Insbesondere bei der Kräftesituation der Polizei. Das haben wir als Stadt mehrfach gegenüber dem Land formuliert. Ich kann nur immer wiederholen, dass wir eine besondere Situation haben.
Wieso haben wir die?
Sie müssen sich mit der Kriminalstatistik im Detail beschäftigen. Es wird ja gerne behauptet, Leipzig sei die Kriminalitätshochburg Sachsens. Wenn Sie einzelne Stadtteile betrachten, liegen wir aber weit unter Durchschnitt, vor allem in den Randlagen. Wenn Sie sich weiter Richtung Kernstadt bewegen, ist das landesweiter Durchschnitt. Dann haben wir eine Innenstadt, die weit über sächsischem Durchschnitt liegt. Das hat hier vor allem mit organisierter Kriminalität zu tun; da ist Leipzig mit seiner zentralen Lage in Mitteldeutschland und der Verkehrsinfrastruktur ein prädestinierter Standort. Nehmen Sie die Diebstahlquote für Fahrzeuge in der City. Oder unterhalten Sie sich mit Händlern in der Innenstadt: Da werden vor allem hochwertige Artikel gestohlen – und die Art und Weise spricht nicht für Dilettantismus. Hinzu kommt eine hohe Beschaffungskriminalität durch die Drogen- und Betäubungsmittelszene. Im Netz finden Sie Videos, die Straftaten in Leipzig zeigen. Die Kulisse der Stadt übt einen gewissen Reiz dafür aus. Das alles führt zu dieser Belastung in der Stadt.
Was muss also passieren – neben der geforderten Polizei-Verstärkung? Und was kann Ihr Dezernat dazu beitragen?
Es braucht Kontrollen weit vor einem kritischen Termin, damit nicht Gewalttäter aus der ganzen Bundesrepublik nach Leipzig reisen. Man muss sich in Leipzig mit der Szene weiter auseinandersetzen, Informationen sammeln: Wo sind welche Strukturen entstanden? Das ist für eine Kommunalverwaltung schwierig: Wir sind kein Verfassungsschutz, kein Staatsschutz, kein LKA. Dem Ordnungsdezernenten stehen Politessen und ein sehr engagierter Stadtordnungsdienst zur Verfügung, der allgemeine Kontrollen durchführt. Aber eine Verwaltung kann natürlich für ein gewaltfreies Klima in der Stadt werben. Dafür, dass die Bürger sich deutlich von solchen Gewaltexzessen distanzieren. Aber auch dafür einzuschreiten, Zivilcourage zu zeigen. Inwieweit ist der Einzelne bereit, in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen und nicht immer alles Dritten oder den Behörden zu überlassen? Welchen Beitrag kann jeder Einzelne leisten, um die Gesamtsituation in unserer Stadt zu befrieden? – Mit solchen Fragen müssen wir uns befassen. Das ist nicht nur, aber eben auch ein Leipziger Thema. Wir haben da in Leipzig in der Vergangenheit viele Erfahrungen gesammelt. Wir müssen uns mit den Sympathisanten der Gewalttäter auseinandersetzen und mit ihnen diskutieren. Wir müssen mit unseren Kindern und Jugendlichen reden, die in diese Auseinandersetzungen hineinwachsen. Es braucht demokratische Bildung darüber, wie der Diskurs über widerstreitende Meinungen in diesem Land funktioniert. Gleichzeitig muss denen, die strafbares Verhalten an den Tag legen, mit der kompletten Härte des Gesetzes begegnet werden.
Leipzig geht neue Wege in der Graffiti-Bekämpfung
Leipzig begeht neue Wege im Kampf gegen illegale Graffiti. Denn Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) räumt ein: „Es ist nicht besser geworden.“ Man habe sich angesehen, was zum Beispiel Dresden anders macht. Dort gibt es einen Verein, der legale Flächen zur Verfügung hat – Schaltkästen von Stadtwerken und Telekom zum Beispiel. Rosenthal: „Wir haben mit dem Graffiti-Verein und Urban Souls jetzt in Leipzig zwei Partner, die szenekundig sind und die nun stärker eingreifen. Die auch sagen, was Stadtverwaltung und Polizei aus ihrer Sicht falsch gemacht haben: Man wirft uns vor, zu repressiv vorgegangen zu sein und so eine Reaktion der Szene hervorgerufen zu haben, die wir jetzt im Stadtbild sehen.“ Nun gehe es um die geordnete Legalisierung von öffentlichen Sprayer-Plätzen und die Schaffung von Personalressourcen aus dem Haushalt der Stadt. Dazu komme der repressive Teil durch die Polizei. „Es wurde ja schon der eine oder andere Täter auf frischer Tat ertappt und dafür belangt.“
Er sei überzeugt, in Zukunft besser mit dem Phänomen klarzukommen. „Ich will aber nicht sagen, dass wir morgen graffitifrei sind. Das wäre unrealistisch. Eines kann ich mir allerdings auch nicht verkneifen: Ich finde es nicht gut, wenn eine S-Bahn morgens mit Graffiti-Schmiererei auf Reise geht. Es muss allen gemeinsam gelingen, dass die öffentlichen Flächen graffitifrei sind, um ein geordnetes Stadtbild zu haben.“ Wie viele Leipziger sei auch er mit der aktuellen Situation unzufrieden. Es sei nicht akzeptabel, wenn „wir an jeder frischen Hauswand damit rechnen müssen, dass sie über Nacht beschmiert wird“. Deshalb werde nun versucht, mit neuen Ansätzen, die Situation deutlich zu verbessern.
Die beiden Vereine erstellen jetzt ein Konzept. Im ersten Quartal soll über weitere Schritte informiert werden. „Es darf keinen Wildwuchs geben“, betont Rosenthal. „Kinder und Jugendliche müssen Verantwortung für einen bestimmten Teil des öffentlichen Raums übernehmen. Die Schallschutzwand an der B 2 zur Messe könnte ich mir gut als legalen Sprayer-Platz vorstellen. Die war schon mal gestaltet, ist derzeit nur beschmiert.“ Weiterhin gebe es gute Erfahrungen mit der Gestaltung von Brücken und Unterführungen. Farbe könnten auch manche Betonwände von S-Bahn-Haltepunkten vertragen. „Wir dürfen natürlich nicht überreizen und müssen schauen, wo es passt“, sagt Rosenthal. „Da sollen jetzt die jungen Leute mal kreativ werden.“