Eine Veranstaltung der Grünen in der Schorndorfer Künkelin-Halle beleuchtet die Phänomene des Rechtsextremismus im Rems-Murr-Kreis und das weit gespannte rechtsextreme Netzwerk drum herum.
Ungeklärte Rätsel, Mängel in den Ermittlungen, neue Erfordernisse der Prävention – so ließe sich ein Abend zusammenfassen, den die Schorndorfer Grünen-Landtagsabgeordnete Petra Häffner am Donnerstag veranstaltet hat. Sie kann aus erster Hand berichten, ist sie doch Mitglied des Ausschusses, der die Umtriebe der rechtsextremen Terrorgruppe NSU im Land aufklären soll. Weitere Teilnehmer waren der Journalist Peter Schwarz, der sich mit der Struktur des Rechtsextremismus im Rems-Murr-Kreis auseinandergesetzt hat, und Professor Kurt Möller von der Fachhochschule Esslingen, Experte für Theorien und Konzepte sozialer Arbeit, der sich mit Möglichkeiten beschäftigt, junge Leute vor dem Abgleiten in den Rechtsextremismus zu schützen.
Der Aussschuss des Stuttgarter Landtages beschäftigt sich nicht nur mit der im April 2007 in Heilbronn bei einem mutmaßlichen NSU-Anschlag ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter, sondern auch mit einem weiteren ungeklärten Rätsel. Florian H., ein Aussteiger aus der rechtsextremen Szene, verbrannte im September 2013 in seinem Auto auf dem Cannstatter Wasen. Er hatte bereits im Jahre 2011 anderen anvertraut, er wisse, wer Kiesewetter ermordet habe.
Untersuchungsausschuss ist auf Grenzen gestoßen
Trotz seiner weitreichenden Vollmachten sei der Untersuchungsausschuss bei der Aufklärung des Todes von Florian H. an Grenzen gestoßen, sagte Häffner, die von „schlampigen Ermittlungen“ sprach. Zu schnell hätten die Ermittler die Sache als Selbstmord abqualifiziert. Zudem seien Beweismittel nicht ausgewertet worden, etwa ein Mobiltelefon und ein Notebook, welche sich noch im Auto befunden hätten. Die wichtigen Beweisstücke, aus denen sich die Kontakte des Verbrannten hätten rekonstruieren lassen, seien in die Hände eines Sachverständigen gelangt, der sich nun auf ein Aussageverweigerungsrecht berufe.
Es sei nicht die einzige Panne der Ermittler in diesem Zusammenhang. Häffner bemängelte die Arbeit eines Staatsanwaltes, der im Fall Mord Kiesewetter ein Phantombild zurückgehalten habe, dass ihr schwer verletzter Kollege von den Tätern angefertigt hatte. In einen Topf will die Abgeordnete die Ermittler indes nicht stecken. „Es gibt Polizisten, die wirklich zur Aufklärung beitragen wollen“, so Häffner.
Wenn man die Kontakte analysiere, seien die Verbindungen zwischen den Thüringer Neonazis des NSU und den rechtsextremen Kreisen im Land nachweisbar, sagte der Journalist Peter Schwarz. Er nannte dies das „Pfeffi-Prinzip“ – abgeleitete von einem ostdeutschen Pfefferminzlikör, der in der Szene weit verbreitet sei. In rechtsextremen Kreisen gebe es sehr enge Netzwerkstrukturen. Sie entstünden auf gemeinsamen Saufgelagen und Treffen wie sie etwa im Dezember 2009 im Vereinsheim eines Tennisclubs im Remstal stattgefunden hätten.
Ein kaum lesbares Geflecht an Verbindungen
Er habe, so berichtete Peter Schwarz, einmal versucht, in einer Grafik die zahllosen Verbindungen zwischen den Rechteextremen der verschiedenen Bundesländer darzustellen. Herausgekommen sei ein Geflecht von Verbindungen, das kaum noch lesbar gewesen sei.
Der Sozialwissenschaftler Kurt Möller sprach, was die rund 10 000 bundesweit gewaltbereiten Rechtsextremen betreffe, von einer „Spitze des Eisbergs“. Soziologische Untersuchungen hätten bereits in den 1990er-Jahren gezeigt, dass der Anteil der Bevölkerung, die mit rechtsextremen Einstellungen sympathisiere, bei 20 bis 25 Prozent liege, auch wenn diese Leute andere Parteien wählten. Auch fremdenfeindliche Einstellungen seien in der Bevölkerung weit verbreitet und laut Möller „auf dem kognitiven Weg kaum zu verändern“.
Der Sozialwissenschaftler nannte eine ganze Palette von emotionalen und psychologischen Defiziten, die mit dazu beitragen, junge Leute ins rechtsextreme Milieu abgleiten zu lassen, das ihnen Sicherheit und Betätigung biete. Der Sozialwissenschaftler mahnte in diesem Zusammenhang, die Schulen seien „zu leistungszentriert“, und vermittelten jungen Menschen zu wenig Selbstwertgefühle. „Niemand will ein Leben ohne Selbstwert leben“, sagte Möller.