Gemeingefährlich – Gefahrengebiete bescheren der Polizei Sonderbefugnisse

Erstveröffentlicht: 
05.10.2014

Nachdem die Hamburger Polizei im Januar 2014 große Teile des Bezirks Altona zum „Gefahrengebiet“ erklärte, sind die polizeirecht­lichen Befugnisse zur verdachtsunabhängigen Kontrolle an bestimmten Orten bundesweit zum ersten Mal seit vielen Jahren zum Gegenstand einer breiten politischen Debatte geworden.


Der spektakulären Einrichtung des „Gefahrengebiets“ und der damit verbundenen Ermächtigung zu verdachtsunabhängigen Kontrollen am 4. Januar 2014 waren Proteste gegen die Räumung der Roten Flora, die städtische Flüchtlingspolitik und den Abriss der Esso-Häuser vorausgegangen. Zwar ließ sich die polizeiliche Version eines Angriffs auf die Davidwache und der schweren Verletzung eines Beamten nicht halten. Dennoch begründete die Polizei ihre Maßnahme mit einem „hohen Aggressionspotential gegenüber Polizeibeamten und polizeilichen/staat­lichen Einrichtungen“.[1] Städtische Protestakteure skandalisierten erfolgreich die Sonderkontrollzonen. Am 9. Januar wurde das Gefahrengebiet verkleinert, am 13. Januar ganz aufgehoben. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigte die „Gefahrengebiete“ vehement gegen jede Kritik, und Innensenator Michael Neumann (SPD) nannte sie „eine Erfolgsgeschichte“.[2]


Die Hamburger Regelung ist keine Besonderheit. Sie findet sich in ähnlicher Weise in fast allen Polizeigesetzen der Länder und des Bundes. Polizeiliche Sonderkontrollzonen gibt es bundesweit: In Hamburg heißen sie „Gefahrengebiete“, in Berlin „kriminalitätsbelastete Orte“, in Bremen „besondere Kontrollorte“, in Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen „gefährliche Orte“. Das Konstrukt der „gefährlichen Orte“ erlaubt der Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen der dort Anwesenden und senkt zugleich die Hürden für weitere Eingriffe wie Durchsuchungen von Personen und Sachen.

Abkehr von der Unschuldsvermutung

Die polizeiliche Klassifizierung bestimmter Straßen, Plätze oder ganzer Stadtviertel als „gefährliche Orte“ ist seit Mitte der 90er Jahre bekannt. Die entsprechenden Befugnisse hielten seit dem von der Innenministerkonferenz 1986 beschlossenen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz Einzug in die Polizeigesetze. Sie sind ein Beispiel für die Orientierung weg von der Abwehr konkreter Gefahren hin zur „vorbeugenden Bekämpfung“ von Straftaten. Damit wurde die zuvor bereits übliche polizeipraktische Abkehr von der Unschuldsvermutung institutionalisiert und legalisiert. Die „gefährlichen Orte“ binden die Zulässigkeit von Kontrollen und anderen Maßnahmen nicht mehr an das Verhalten einer Person – an einen konkreten Tatverdacht oder eine von ihr ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung –, sondern machen sie allein von den Eigenschaften einer Örtlichkeit abhängig.

 

Da Polizeirecht in Deutschland Ländersache ist, variieren die Ermächtigungsgrundlagen und die Polizeipraxis von Land zu Land. Unterschiedlich sind in den einzelnen Bundesländern die Eingriffsbefugnisse der Polizei, das Verfahren der Ausweisung, die zeitliche Dauer, die Größe, die Begründungen und die Funktionen der ausgewiesenen Sonderzonen sowie die betroffenen Personengruppen.

 

Offensichtlich werden „gefährliche Orte“ nicht, wie es offiziell heißt, (nur) zur „Bekämpfung“ schwerer Straftaten und Verbrechen eingerichtet. Sie dienen vielmehr unterschiedlichen Zielen: von der Verdrängung unerwünschter Personengruppen (TrinkerInnen, Jugendliche, DrogenkonsumentInnen, Prostituierten, Wohnungslose u.ä.m.) aus dem öffentlichen Raum und der Aufwertung bestimmter städtischer Orte, über das Aufspüren von Menschen ohne Papiere bis hin zur Eindämmung von Protest und Unruhe.[3] Im Folgenden werden Rechtsgrundlagen und Polizeipraxis in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg gegenübergestellt.

Berlin: Geheimniskrämerei um „kriminalitätsbelastete Orte“

In Berlin ist die Polizei grundsätzlich erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr befugt einzugreifen. An einem festgelegten „kriminalitätsbelasteten Ort“ kann sie jedoch bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr aktiv werden und Personen anlasslos und verdachtsunabhängig kontrollieren (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz, ASOG). Zudem darf sie alle weiteren Maßnahmen vornehmen, die erforderlich sind, um eine Identitätsfeststellung durchzusetzen – sie darf die kontrollierte Person zur Polizeiwache „verbringen“ und sie (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 ASOG) sowie die „mitgeführten Sachen“ durchsuchen (35 Abs. 2 Nr. 2 ASOG). In andere Bundesländern wie Hamburg ist hingegen nur eine „Inaugenscheinnahme” von „mitgeführten Sachen“ erlaubt.

 

In Berlin legen die örtlichen Polizeidirektionen die „kriminalitätsbelasteten Orte“ – bis 2002 noch „gefährliche Orte“ genannt – fest. Das verwaltungsinterne Verfahren ist nicht öffentlich und sieht weder eine richterliche noch eine parlamentarische Beteiligung vor. „Vor einer Einstufung“, so Innensenator Frank Henkel (CDU), „erfolgt eine intensive Prüfung der Örtlichkeit anhand der Kriterien Häufung, Begehungsweise und Schwere der dort festgestellten Taten. Für eine Einstufung müssen über einen längeren Zeitraum gewonnene, auf Tatsachen gegründete konkrete Feststellungen vorliegen.“[4]


Wie die Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage bekannt gab, wurden von Januar 2010 bis November 2013 berlinweit insgesamt 14 neue „kriminalitätsbelastete Orte“ ausgewiesen. Sechs hiervon liegen in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Im gleichen Zeitraum hat die Berliner Polizei die Ausweisung von sieben „kriminalitätsbelasteten Orten“ aufgehoben sowie sechs räumliche Änderungen (Vergrößerung bzw. Verkleinerung) vorgenommen. Zum Ende jedes Quartals werden nach Auskunft des Innensenators die „rechtlichen Voraussetzungen hinsichtlich des Fortbestandes bzw. der Aufhebung als kriminalitätsbelasteter Ort … durch die jeweilige Polizeidirektion“ überprüft. „Neueinstufungen, Änderungen oder Aufhebungen sind dem Stab des Polizeipräsidenten einschließlich der Entscheidungsgrundlagen zu übersenden.“ Die zuständige Senatsverwaltung für Inneres und Sport ist in Berlin in den Entscheidungsprozess nicht eingebunden.[5]


Die „kriminalitätsbelasteten Orte“ werden aus „polizeitaktischen Erwägungen“ geheim gehalten.[6] Die interne Liste der Berliner Polizei ist als Verschlusssache eingestuft. Senatsinnenverwaltung und Polizei begründen dies damit, dass „die Örtlichkeit und deren Bewohnerinnen und Bewohner weder stigmatisiert noch deren subjektives Sicherheitsgefühl beeinträchtigt werden soll. Ebenso wenig soll es den Adressatinnen und Adressaten der polizeilichen Maßnahmen ermöglicht werden, diese aufgrund der Veröffentlichung der Kriterien zu unterlaufen.“[7] Trotzdem gelangt diese Liste regelmäßig in die Hände von JournalistInnen und die Orte sind anschließend in der Berliner Tagespresse zu lesen. Zwischen 20 und 30 dieser „kriminalitätsbelasteten Orte“ gibt es demnach in Berlin[8] – darunter der Görlitzer Park in Kreuzberg, die Hasenheide in Neukölln, der Leopoldplatz im Wedding oder der Alexanderplatz in Mitte, die als Orte des Drogenhandels und -konsums oder Treffpunkte der Trinkerszene bekannt sind. Von Seiten der Innenverwaltung und der Polizei werden diese Orte nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Parlamentarische und journalistische Anfragen zu den „kriminalitätsbelasteten Orten“ werden unzureichend oder gar nicht beantwortet. Das Verwaltungsgericht Berlin wies im Oktober 2012 die auf das Informationsfreiheits- und Presserecht gestützte Klage eines Journalisten der „Bild-Zeitung“ auf Herausgabe der Liste ab.[9] Nach den von der Presse veröffentlichten Listen scheint der Schwerpunkt der Berliner Polizei bei der Ausweisung von „kriminalitätsbelasteten Orten“ auf Prostitution, Drogenhandel und Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl und Trickbetrug zu liegen. Das ASOG bietet zudem eine explizite Rechtsgrundlage für Racial Profiling. Es erlaubt Kontrollen an Orten, an denen sich (erfahrungsgemäß) Personen aufhalten, „die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen“ (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 a) aa) ASOG).

 

In Berlin führt die Polizei keine Statistik über die Anzahl der Personenkontrollen, Durchsuchungen usw. an den „kriminalitätsbelasteten Orten“.[10]

Bremen: „Besondere Kontrollorte“ gegen die Unordnung

Im Land Bremen werden „besonderen Kontrollorte“ – zuvor „Gefahrenorte“ genannt – von der Leitung der Polizei in Abstimmung mit dem Senator für Inneres festgelegt, wenn „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist, dass dort Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt werden“ oder „sich dort Straftäter verbergen und diese Maßnahme zur Verhütung von Straftaten geboten erscheint“ (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 Bremisches Polizeigesetz, BremPolG). Im Zuge der dadurch erleichterten Identitätskontrollen kann die Bremer Polizei dann weitere Eingriffe vornehmen, beispielsweise „mitgeführte Sachen“ durchsuchen, „erkennungsdienstliche Maßnahmen anordnen“ oder „den Betroffenen zur Dienststelle bringen“ (§ 11 Abs. 2 BremPolG). Eine explizite Kontrollbefugnis gegen Personen, die gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen, wie sie in Berlin und Hamburg existieren, gibt es in Bremen nicht.

 

Erstmals 2012 und zuletzt Anfang 2014 veröffentlichte die Bremer Polizei auf parlamentarische Anfragen hin die zuvor geheim gehaltenen „besonderen Kontrollorte“. 2012 gab es in Bremen 37 und in Bremerhaven fünf weitere. Anfang 2014 waren es noch 13 in Bremen und vier in Bremerhaven.[11] Seit März 2014 veröffentlicht die Polizei Bremen die „besonderen Kontrollorte“ im Internet.[12] Eine Änderung des Bremischen Polizeigesetzes hob im Jahr 2001 die Voraussetzungen für die Schaffung von „besonderen Kontrollorten“ an. Seitdem dürfen solche Orte nur noch eingerichtet werden, wenn „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist, dass an der Örtlichkeit Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt werden“. Doch in einer Auswertung des Bremer Senats der Polizeimaßnahmen an den „besonderen Kontrollorten“ vom März 2014 wird deutlich, dass sich die verdachtsunabhängigen Kontrollen vor allem gegen die üblichen Verdächtigen richten: unangepasste Jugendliche und junge Erwachsene, Junkies, TrinkerInnen, SexarbeiterInnen. Schwere Straftaten tauchen in der Senatsauswertung nicht auf. Die rund um den Bremer Hauptbahnhof durchgeführten Kontrollen richteten sich explizit gegen „Unordnung (Bettler, Alkoholiker, Punker etc.)“.[13]


Der Bremer Senat kündigte im Frühjahr 2014 an, dass es künftig mehr Transparenz, eine zeitliche Befristung der Zonen und statistische Erhebungen über durchgeführte Kontrollen geben werde. Zudem solle sich die Deputation für Inneres, der Verwaltungsausschuss der Bremischen Bürgerschaft zur Kontrolle der Behörden des Landes, regelmäßig mit den „besonderen Kontrollorten“ befassen.[14]

Hamburg: „Gefahrengebiete“ gegen politische Unruhe

Die Rechtsgrundlage für die Einrichtung von „Gefahrengebieten“ in Hamburg bestand seit Mitte der 90er Jahre und wurde 2005 von der damals allein regierenden CDU verschärft. Die Hamburger Polizei darf seitdem „im öffentlichen Raum in einem bestimmten Gebiet Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen, soweit auf Grund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur Verhütung der Straftaten erforderlich ist“ (§ 4 Abs. 2 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei, PolDVG). Im Zuge der dadurch erleichterten Identitätskontrollen kann die Polizei weitere Eingriffe vornehmen wie „mitgeführte Sachen“ durchsuchen und die Personen „zur Dienststelle bringen“ (§ 4 Abs. 4 PolDVG). Das Hamburger Polizeirecht greift bereits bei Verstößen gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften und bei Ordnungswidrigkeiten (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 a PolDVG) und nicht erst bei Straftaten wie das Berliner Polizeirecht.

 

In Hamburg regelt eine interne Verwaltungsvorschrift das nähere Verfahren der Ausweisung (und Aufhebung) eines Gefahrengebiets, Einzelheiten zur Definition der dort erlaubten Maßnahmen, die Frage der Verhältnismäßigkeit und die Dokumentation der Kontrollen. Danach entscheidet der Leiter des Stabes der Direktion Polizeikommissariate auf Antrag der Leitung der Direktion Einsatz über die Ausweisung einer solchen Zone. Der Antrag muss Angaben zu deren Grenzen, den konkreten Lageerkenntnissen im Hinblick auf Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ und auf zu überprüfende Personen und Personengruppen sowie Angaben zur Erforderlichkeit der Gebietsausweisung enthalten. Die zuständige Hamburger Innenbehörde ist in den Entscheidungsprozess eingebunden. Die dienstinterne Weisung ist geheim.[15]


Über 40 Mal hat die Polizei seit 2005 temporär oder unbefristet Orte zu „Gefahrengebieten“ erklärt. Das älteste – St. Georg – besteht ununterbrochen seit dem 1. Juni 1995, zwei weitere in St. Pauli seit 2001 bzw. 2005. Das „Gefahrengebiet“ im Bezirk Altona vom 4. bis 13. Januar 2014 war bislang das größte: Es umfasste eine Fläche, auf der 80.000 Menschen wohnen, und die von zahlreichen BesucherInnen täglich frequentiert wird.[16]


Die Hamburger Polizei hat in der Vergangenheit die Ausweisung von Sonderkontrollzonen damit begründet, Drogenhandel, Gewalt- bzw. Eigentumskriminalität oder Autobrandstiftung bekämpfen zu wollen. Zudem hat sie „Gefahrengebiete“ im Zusammenhang mit Fußballspielen oder Public-Viewing-Events anlässlich der Fußball-WM 2006, Feierlichkeiten zum „Tag der Deutschen Einheit“ im Oktober 2008, der Innenministerkonferenz 2010 und wiederholt im Zusammenhang mit dem Schanzenfest ausgewiesen.[17] Im Vergleich zu Berlin und Bremen werden die polizeilichen Sonderrechtszonen in Hamburg vor allem auch mit dem Ziel genutzt, bei Veranstaltungen und im Umfeld von politischen Versammlungen unter freiem Himmel Personen verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Am 5. Januar 2014 hat die Polizei etwa eine Spontandemonstration von 50 Personen gegen das tags zuvor ausgerufene „Gefahrengebiet“ in der Schanze aufgelöst. Das Hamburger Verwaltungsgericht stufte dieses Vorgehen im August 2014 als rechtswidrig ein.[18]


Die Hamburger Polizei entscheidet jedes Mal neu, ob und wie sie die Ausweisung eines „Gefahrengebietes“ öffentlich kommuniziert. Im Gegensatz zu Berlin gibt der Senat auf parlamentarische Anfragen Auskunft über die ausgewiesen Gebiete. Art, Anzahl und Zeit der einzelnen Polizeimaßnahmen werden zwar erfasst, der konkrete Anlass der einzelnen Maßnahmen lässt sich jedoch nicht nachvollziehen.[19]

Die „Gefährlichkeit“ der Orte bestätigt sich selbst

Unerwünschte soziale Gruppen zu vertreiben, ist in allen drei Städten eine der wesentlichen Zielsetzungen bei der Definition von „gefährlichen Orten“. In Berlin und Hamburg dienen die Sonderkontrollzonen explizit dem Aufspüren von Menschen ohne Papiere, in Hamburg auch der Eindämmung von Protest und Unruhe.

 

Die von den polizeilichen Kontrollen betroffenen Personen(gruppen) werden im erheblichen Maße stigmatisiert. In den Augen derjenigen, die nicht kontrolliert werden, kann durch die polizeilichen Maßnahmen der Eindruck entstehen, dass die Kontrollierten schon „zu Recht“ ins Visier der Polizei gerieten. Ohne konkrete Verdachtsmomente fehlen nachvollziehbare Kriterien für die Auswahl der zu Kontrollierenden. In der Praxis haben PolizistInnen einen großen Ermessensspielraum und können bei der Entscheidung, ob und bei wem sich eine Kontrolle „lohnt“, auf ihre eigenen Ansichten, Generalisierungen und Vorurteile zurückgreifen. So muss vor allem das äußere Erscheinungsbild eines Menschen als Auswahlkriterium herhalten.

 

Mit dem Instrument der verdachtsunabhängigen Kontrollen findet eine Vorverlagerung polizeilicher Aktivitäten statt. Es verdeutlicht die allgemeine „Präventionsorientierung“ der Polizei. Die Definitionsmacht der Polizei nimmt doppelt zu: Zum einen ist sie maßgeblich selbst für die Definition von „Gefahrengebieten“ zuständig. Ihre „Lageerkenntnisse“ oder „Erfahrungen“ werden zur Legitimation der Ausweisung herangezogen. Zum anderen werden auf diese Weise polizeiliches Handeln und „Gefahrengebiete“ zur Self-Fulfilling-Prophecy: Die „Gefährlichkeit“ der Orte bestätigt sich durch die Kontrolle selbst. Die Daten der „Kriminalitätsbelastung“ steigen gerade durch die Ausweisung als „Gefahrengebiete“ und die daran anschließenden Kontrollen der Polizei, die sich in den Statistiken niederschlagen.[20]




[1] Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: Datenschutzrechtliche Bewertung des polizeilichen Gefahrengebiets im Bezirk Altona vom 4.-13.1.2014, Hamburg 2014, S. 17; zu dem angeblichen Überfall auf die Davidwache s. u.a. taz v. 6.1.2014 sowie weitere Berichte der taz-Hamburg
[2] vgl. taz v. 12.1.2014
[3] vgl. Ullrich, P.; Tullney, M.: Die Konstruktion ‚gefährlicher Orte‘. Eine Problematisierung mit Beispielen aus Berlin und Leipzig, in: sozialraum.de 2012, Ausg. 2; www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php
[4] Abgeordnetenhaus von Berlin (AGH), Drs. 17/20497 v. 13.3.2014
[5] AGH, Drs. 17/12793 v. 14.1.2014, S. 2
[6] AGH, Drs. 17/20497 v. 13.3.2014
[7] AGH, Drs. 17/11096 v. 7.11.2012
[8] Die Welt v. 10.5.2004; BILD v. 26.3.2013 und 27.1.2014
[9] Verwaltungsgericht Berlin: Beschluss v. 10.10.2012, Az.: VG 27 L 180.12
[10] AGH, Innenausschuss: Inhaltsprotokoll 17/40 v. 31.1.2014, S. 11
[11] Bremische Bürgerschaft, Drs. 18/1296 v. 4.3.2014, S. 4
[12] www.polizei.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen09.c.20622.de
[13] Bremische Bürgerschaft, Drs. 18/1296 v. 4.3.2014, S. 4
[14] ebd.
[15] Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit a.a.O., S. 4
[16] Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 20/10500 v. 14.1.2014
[17] Hamburger Behörde für Inneres und Sport: Nachbereitung der Einrichtung des Gefahrengebietes vom 4. Januar 2014, Pressemitteilung v. 12.5.2014: www.hamburg.de/ pressearchiv-fhh/4297406/2014-05-12-bis-pm-nachbereitung-gefahrengebiet/
[18] vgl. taz v. 24.8.2014
[19] Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz a.a.O. (Fn. 1), S. 20
[20] vgl. Belina, B.; Wehrheim, J.: „Gefahrengebiete“. Durch die Abstraktion vom Sozialen zur Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen, in: Soziale Probleme 2011, H. 2, S. 207–230