BND hörte deutschen Diplomaten ab

Erstveröffentlicht: 
11.11.2015

Nach rbb-Informationen hat der Bundesnachrichtendienst auch den Diplomaten Hansjörg Haber abgehört. Da Haber Deutscher ist, hätte dies nach dem Grundgesetz aber nicht passieren dürfen. Politisch hochbrisant ist auch, dass der französische Außenminister Laurent Fabius vom BND belauscht wurde. Von Michael Götschenberg

 

900 Seiten lang ist die Liste, die der BND über seine Spionageziele in Europa und den USA vorgelegt hat, eine lange Liste mit Telefonnummern, E-Mail-und IP-Adressen - sogenannten Selektoren zum Abhören und Mitlesen der Kommunikationsströme. Die Bundestagsabgeordneten Armin Schuster von der CDU, Hans-Christian Ströbele von den Grünen und Uli Grötsch von der SPD haben unterstützt von Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung die Liste in den vergangenen zwei Wochen gesichtet. Am Mittwoch werden sie dem Parlamentarischen Kontrollgremium berichten, was sie vorgefunden haben.

Es geht darum, in welchem Umfang der BND Spionage unter Freunden betrieben hat - sprich europäische und US- Einrichtungen abgehört hat - zumindest bis Oktober 2013. Dann nämlich soll der BND auf Anweisung des Kanzleramts die Reißleine gezogen haben. Kurz zuvor hatte Angela Merkel die Spionage der NSA mit dem Satz kommentiert: "Abhören unter Freunden geht gar nicht."

Zahlreiche EU-Regierungsstellen abgehört

Vor drei Wochen hatten BND-Präsident Gerhard Schindler und das Kanzleramt die Geheimdienst-Kontrolleure im Bundestag darüber informiert, dass nicht nur die NSA sondern auch der BND Spionage unter Freunden betrieben hat. Viele Fragen sind noch offen, aber schon jetzt ist klar: Was den Geheimdienst-Kontrolleuren des Bundestages vorgelegt wurde, ist hochbrisant und könnte den BND in eine schwere Krise stürzen.

In den vergangenen Wochen war bereits durchgesickert, dass zahlreiche Regierungsstellen in europäischen Ländern und den USA abgehört wurden. Nahezu jedes EU-Land ist betroffen: Zwar wurde nach rbb-Informationen kein Regierungschef abgehört, dafür Stabsstellen in europäischen Regierungszentralen und Ministerien sowie zahlreiche Botschaften von EU-Ländern und der USA.

Haber vom Grundgesetz geschützt

Die brisantesten Fälle sind bisher jedoch nicht öffentlich geworden: Nach Informationen des rbb hat der BND den deutschen Diplomaten Hansjörg Haber abgehört. Wann genau und wie lange, ist noch unklar - und damit auch, welche Funktion Haber zu diesem Zeitpunkt hatte. An der Brisanz ändert das wenig, denn als Deutscher ist Haber vom Grundgesetz geschützt und darf vom BND nur mit Genehmigung der G10-Kommission des Deutschen Bundestages abgehört werden.

Haber war 2008 bis 2011 Leiter der EU-Beobachtermission in Georgien, leitete danach den Planungsstab des Diplomatischen Dienstes der EU in Brüssel, war 2014 als deutscher Botschafter in Kairo und ist zur Zeit als EU-Botschafter in der Türkei. Seine Verwendungen machen deutlich, warum sich der BND für ihn interessiert haben dürfte. Besonders pikant: Hansjörg Haber ist der Ehemann von Emily Haber, die seit 2014 Staatssekretärin im Bundesinnenministerium ist, und davor Staatsministerin im Auswärtigen Amt war.

Doch auch andere Spionageziele des BND sind politisch hochbrisant: Dazu zählt der Anschluss von Laurent Fabius, seit 2012 französischer Außenminister - auch er wurde vom BND abgehört.

Liste möglicherweise noch länger?

Hinzu kommen zahlreiche andere Ziele, bei denen der BND Schwierigkeiten habe dürfte, sie mit seinem Auftragsprofil zu erklären: Darunter sind der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation WHO, das FBI sowie der staatliche US-Auslandssender Voice of America. Hinzu kommen zahlreiche europäische und amerikanische Firmen, darunter Rüstungsunternehmen wie Lockheed in den USA.

Die Prüfung der BND-Selektoren wird noch Monate dauern, um zu klären, warum, wann und wie lange die Selektoren geschaltet waren und um wer im Einzelnen genau abgehört wurde.

Für Irritationen unter den Geheimdienstkontrolleuren des Bundestages sorgt seit dem Wochenende darüber hinaus ein Artikel des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel": Die dort genannten BND-Spionageziele wie das Internationale Rote Kreuz oder der Vatikan finden sich nämlich nicht auf der Liste, die der BND den Geheimdienstkontrolleuren vorgelegt hat. Woher kommen diese Informationen? Sind sie unzutreffend? Oder ist die BND-Liste am Ende unvollständig?