VON KAI KOLLENBERG
Freiberg. Der Freiberger Oberbürgermeister Sven Krüger ist in diesen Tagen ein gefragter Gesprächspartner. Vor zwei Wochen machte der SPD-Mann mit seinem lautstarken und mehr als deutlich formulierten Protest gegen die Informationspolitik des Innenministeriums in Sachen Asyl von sich reden. Nun muss er schon wieder Rede und Antwort stehen. Denn am Sonntagabend hatte es unerwartet heftige Vorfälle bei der Ankunft von insgesamt rund 700 Flüchtlingen am Freiberger Bahnhof ge-geben. Ein Ereignis, das Freiberg über Nacht deutschlandweite Aufmerksamkeit sicherte.
Rund 400 Demonstranten, darunter Personen aus dem rechtsextremen Lager, hatten am Sonntag die Szene rund um den Bahnhof für Stunden bestimmt. Sie bewarfen die Busse, in denen die Asylbewerber ihre Weiterreise antraten, und versuchten die Abfahrt zu verhindern. Knapp 200 Polizisten waren vor Ort. Sie räumten den Weg frei, in einem Fall mit Pfefferspray und Schlagstock. Die Bilanz: drei leicht verletzte Beamte, acht Strafanzeigen, eine zerschlagene Scheibe am Auto eines Mitarbeiters der Landesdirektion. Die Landesdirektion zeigt sich entsetzt über das Geschehen: „Dass ein Zug attackiert wird, haben wir noch nicht erlebt“, sagt ein Sprecher. Der Vorfall sei ohne Beispiel im Freistaat Sachsen.
Dabei war die Ankunft eines Flüchtlingszugs keine Premiere für Freiberg. Bereits vor zwei Wochen kamen hier hunderte Flüchtlinge mit dem Zug an. Die Wahl war aus logistischen Gründen auf den kleinen Bahnhof in Mittelsachsen gefallen, da die Kreisstadt relativ zentral in Sachsen liegt. Auch dass Freiberg bisher als Musterbeispiel für eine gelungene Integrationspolitik galt, hatte Polizei-kreisen zufolge eine gewichtige Rolle gespielt.
Bei der Ankunft des ersten Flüchtlingszuges war das Kalkül noch aufgegangen. Damals hatte die Anti-Asyl-Szene wenig mobilisieren können. Dieses Mal war das anders. Die Polizei musste deswegen zusätzliche Kräfte nach Freiberg beordern. Mit einer Fehleinschätzung im Vorfeld habe dies aber nichts zu tun, so die Polizeidirektion Chemnitz. Aufgrund anderer Einsätze habe anfangs nicht mehr Personal zur Verfügung gestanden.
Im Freiberger Rathaus macht sich die Stadtspitze nach den Ausschreitungen Sorgen um den guten Namen der Kommune. Denn eigentlich sollte die Bergstadt in diesem Jahre eher mit der250-Jahr-Feier der TU Bergakademie punkten. „Natürlich dienen solche Meldungen nicht dazu, den Ruf Freibergs als liebenswerte und weltoffene Universitätsstadt zu festigen“, sagt Oberbürgermeister Krüger. Es gebe trotz allem viele positive Beispiele für gelungene Integration. Allerdings hat auch Krüger sich in den vergangenen Wochen kritisch zur deutschen Asylpolitik geäußert. Seine Schelte für das sächsische Innenministerium, dem er vorwarf, ihn nicht über die Aufstockung einer Erstaufnahmeeinrichtung informiert beziehungsweise belogen zu haben, wurde auch von Personen beklatscht, die sonst eher nicht zum SPD-Klientel gehören. Und schon vorher hatte Krüger betont, dass Freiberg seinen Anteil überdurchschnittlich geleistet habe. Die Stadt brauche eine Pause.
Der Oberbürgermeister hat dabei auch die Ereignisse der vergangenen Wochen im Blick: Im September bedrohten zwei Asylbewerber eine Supermarkt-Angestellte in der Kreisstadt. Einer von den mutmaßlichen Tätern soll eine Machete dabei gehabt haben, er ist seitdem flüchtig. Erst in der vergangenen Woche hat derselbe Mann der Polizei zufolge in einem Freiberger Döner-Imbiss dem Besitzer eine Schreckschuss-Pistole an den Kopf gehalten, weil sich die Nummer des Ladens im Handy seiner Freundin befunden habe. Auch, dass arabisch sprechende Täter Anfang vergangener Woche ein älteres Ehepaar im eigenen Haus überfielen, wurde genau registriert.
Nicht nur deswegen fürchten immer mehr Freiberger um die öffentliche Sicherheit. Die Stadt will nun das Ordnungsamt personell aufrüsten. Demnächst werden Mitarbeiter nach dem Willen des Rathauses durch die Stadt pa-trouillieren. OB Krüger betont zwar, dass sich diese Maßnahme nicht gegen Asylbewerber richtet. Die „Stadtsheriffs“ sollen aber auch an den Asylbewerberheimen nach dem Rechten sehen. Für die jetzige Eskalation will der Oberbürgermeister keine Mitschuld tragen: „Manche werfen mir vor, mit meiner berechtigten Kritik die Situation befördert zu haben“, sagt er. „Doch unsere Demokratie bildet sich eine Meinung durch Diskussion in der Sache, dabei muss auch Kritik erlaubt sein.“
Ob am nächsten Sonntag wieder Flüchtlingszüge in Freiberg einrollen, ist offen. Überlegungen, den Bahnhof nicht mehr in Betracht zu ziehen, seien ihm nicht bekannt, sagt ein Sprecher der Landesdirektion: „Weswegen sollte man Freiberg rausnehmen?“ Auch an anderen Orten könnte es zu ähnlichen Vorfällen kommen.