"Lerche des Völkerfrühlings"

Erstveröffentlicht: 
17.10.2015

Die Meißnerin Louise Otto-Peters war erste Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins - gegründet 1865 in Leipzig

 

VON DIRK BAAS


Leipzig/Meißen. Im Jahr 1865 dürfen Frauen in Deutschland kein Abitur machen, nicht studieren und wählen schon gar nicht. Eine, die zeitlebens gegen diese Diskriminierung kämpft, ist die Journalistin und Schriftstellerin Louise Otto-Peters (1819-1895). Sie steht den Sozialdemokraten nahe und fordert als erste Frau öffentlich die Emanzipation, als dieser Begriff noch gar nicht erfunden ist. Vor 150 Jahren ist Otto-Peters Mitinitiatorin und erste Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF): 1865 gründen in Leipzig mehr als 120 Frauen auf einer Konferenz zwischen dem 15. und 18. Oktober den Verein, der zur Keimzelle der organisierten Frauenbewegung werden sollte.


Ziel ist nicht Wohltätigkeit, sondern der Zugang der Frauen zur schulischen, beruflichen und universitären Bildung - und damit zur eigenständigen Erwerbsarbeit. 1866 hat der Allgemeine Deutsche Frauenverein 75 Mitglieder, 1870 sind es bereits mehr als 10000.


Louise Otto-Peters, auf Bildern mit hochgesteckten Haaren und strengem Blick zu sehen, schreibt schon 1848 über ihre Motive: "Die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt und die heutige ganz besonders: dass diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch vergessen wurden." Magdalena Gehring, Wissenschaftlerin an der TU Dresden, urteilt: "Selbst in schwierigen Zeiten blieb Louise Otto-Peters ihren politischen Überzeugungen treu und trat für ihre Ideale ein". Nach außen habe sich Otto-Peters oft als starke und unwandelbare Streiterin für demokratische Werte inszeniert: "Ihre Tagebücher offenbaren dagegen auch eine verletzliche Frau, die mit Hoffnungslosigkeit und Zweifeln kämpfte".


Louise Otto wird am 26. März 1819 in Meißen als jüngste von vier Töchtern geboren. Ihre Mutter ist Hausfrau, der Vater Gerichtsdirektor. Bildung ist für ihn ein unschätzbares Gut, und so fördert er die intellektuellen Fähigkeiten seiner Töchter entgegen dem Zeitgeist nach Kräften.


Im Alter von 16 Jahren verliert Louise erst den Vater, dann die Mutter durch Tuberkulose. Später stirbt ihr Verlobter Gustav Müller, Advokat und Dichter in Dresden. Sie ist erst 22 Jahre alt und fortan auf sich allein gestellt - vielleicht eine Erklärung für ihren ausgeprägten Drang nach Selbstständigkeit.


Mit dem Schriftsteller August Peters, der wegen der Teilnahme am Badischen Aufstand in Rastatt 1849 sieben Jahre lang im Kerker sitzt, verlobt sich Louise im Gefängnis. 1858 heiratet das Paar. Doch auch diese Verbindung steht unter keinem guten Stern: August Peters ist von der Haft gesundheitlich schwer gezeichnet - und stirbt schon 1864. Für die Witwe beginnt damit eine schwere Zeit. Schulden plagen sie. Von den Einnahmen aus dem Journalismus allein kann sie nicht leben.


Louise Otto kann außergewöhnlich gut formulieren, ihr Vater hatte sie früh zum Zeitunglesen angehalten. Schreiben wird ihre Berufung, ja ihr Lebensinhalt: 1831 publiziert die Autorin ihr erstes politisches Gedicht. Insgesamt verfasst sie etwa 60 Bücher, auch viele Novellen, Erzählungen und zahllose sozialkritische Zeitungstexte. Ihr bekanntestes Werk, der Roman "Schloß und Fabrik" darf nur zensiert erscheinen. Zeitgenossen nennen sie voller Anerkennung die "Lerche des Völkerfrühlings".


1849 gründet sie die "Frauen-Zeitung", deren Motto lautet: "Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen." Die vielgelesene Publikation setzt sich nicht nur mit aktuellen Themen auseinander, sondern berichtet auch über Frauen aus anderen europäischen Ländern, über Vereinsgründungen und wichtige Aktivitäten einzelner Frauen. Das Blatt wird in Sachsen Ende 1850 verboten, doch verlegt die Herausgeberin ihre Aktivitäten ins thüringische Gera, wo die Zeitung noch bis Mitte 1852 erscheint.


Im Februar 1865 rufen Louise Otto-Peters, die Lehrerin Auguste Schmidt, die Schulvorsteherin Ottilie von Steyber, die Fröbel-Pädagogin Henriette Goldschmidt und andere Mitstreiterinnen in Leipzig den Frauenbildungsverein ins Leben. Der fasst den Beschluss, noch im Oktober eine gesamtdeutsche Frauenkonferenz einzuberufen. Die gründet am 18. Oktober den Allgemeinen Deutschen Frauenverein.


Vorsitzende beider Vereine wird Otto-Peters, ihre Stellvertreterin Auguste Schmidt. Mit Schmidt gibt Otto-Peters bis zu ihrem Tod mit 75 Jahren auch die Zeitschrift des ADF heraus. Auch deren Titel ist Programm: "Neue Bahnen". Den ersten großen Erfolg ihrer politischen Bewegung erlebt die Pionierin nicht mehr: Im März 1896 legen erstmals sechs junge Frauen am Königlichen Luisengymnasium zu Berlin ihr Abitur ab.


Sandra Berndt, die Vorsitzende der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft in Leipzig, ist überzeugt, dass die Zeit einfach reif war für das Streben nach Emanzipation. "Wenn Otto-Peters und ihre Mitstreiterinnen nicht so vehement für die Rechte der Frauen gestritten hätten, hätten es ganz sicher andere Frauen getan. Dann vielleicht etwas später", sagt Berndt. Die Ergebnisse der feministischen Forschung belegten diese Annahme. Gleichwohl habe Otto-Peters eine überragende Bedeutung für das Ringen um Gleichberechtigung: "Durch ihr jahrzehntelanges Engagement wurde Leipzig zur Wiege der deutschen Frauenbewegung."


1993 wurde in Leipzig die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft gegründet - mit dem Ziel, Leben und Werk der Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin und Frauenpolitikerin in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und zu würdigen. Am 23. Oktober verleiht die Stadt Leipzig erstmalig den mit 5000 Euro dotierten Louise-Otto-Peters-Preis für besondere Leistungen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Die Ehrung geht an das Gleichstellungsbüro der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums Leipzig.


www.louiseottopeters-gesellschaft.de