Grüne ebnen Weg zu schärferem Asylrecht

Erstveröffentlicht: 
17.10.2015

Bundesrat billigt Gesetzespaket - und die Europäische Union richtet ihre Hoffnungen auf die Türkei

 

Von André Stahl

 

Berlin. Die schärferen Regeln im Asylrecht können am 1. November in Kraft treten. Nach dem Bundestag stimmte am Freitag auch der Bundesrat dem geplanten Gesetzespaket zu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte unterdessen gestern eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland. "Die Belastung durch die große Zahl der Flüchtlinge ist enorm", sagte Merkel beim Deutschlandtag der Jungen Union in Hamburg. Gegen den Widerstand der SPD drang die Kanzlerin darauf, an den deutschen Grenzen Transitzonen für Flüchtlinge einzurichten. "Wir erleben eine außergewöhnliche Situation, in der zeitweilig auch ein außergewöhnliches Mittel hilfreich sein kann", sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Diese seien allerdings "keine alleinige Lösung".


Die Länderkammer billigte folgende im Eilverfahren zwischen Bund und Ländern vereinbarten Maßnahmen mit großer Mehrheit:


Asylrecht: Mit dem Gesetz wird der Bund-Länder-Kompromiss umgesetzt. Danach sollen Asylregeln verschärft, Verfahren beschleunigt und der zügige Bau von Unterkünften ermöglicht werden. Menschen, die langfristig in Deutschland bleiben dürfen, sollen besser integriert werden. Auch Albanien, der Kosovo und Montenegro gelten fortan als "sichere Herkunftsländer". Asylbewerber aus diesen Ländern können schneller abgeschoben werden. In Erstaufnahmeeinrichtungen werden Bargeldzahlungen weitgehend durch Sachleistungen ersetzt. Wer aus wirtschaftlichen Gründen, aber nicht wegen politischer Verfolgung oder Krieg einreist, kann schneller abgeschoben werden.


Minderjährige Flüchtlinge: Die Verteilung minderjähriger, unbegleiteter Flüchtlinge orientiert sich künftig an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen. Diese werden nun gleichmäßig in Deutschland verteilt. Bislang mussten sie in der Stadt bleiben, in der sie eingereist waren.


Nachtragsetat: Der Bundesrat billigt den Haushalt. Damit verdoppelt der Bund seine Flüchtlingshilfe 2015 auf 2 Milliarden Euro. Von 2016 an übernimmt der Bund für jeden Flüchtling eine Pauschale von 670 Euro pro Monat. Zusammen mit weiteren finanziellen Zusagen für den Wohnungsbau und die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger sollen die Länder 2016 um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden.


Grüne stimmen zu: Die Grünen stehen vor einer Zerreißprobe: Führende Bundespolitiker der Partei haben vor der Reform gewarnt, weil damit Abschiebungen leichter werden. Die Gesetzesverschärfung konnte aber nur den Bundesrat passieren, weil mehrere Länder mit Grünen-Regierungsbeteiligung zugestimmt haben - so Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Niedersachsen (rot-grün) und Brandenburg (rot-rot) enthielten sich.


Annäherung an die Türkei: Beim EU-Gipfel, der bis zum frühen Freitagmorgen dauerte, war eine Verständigung mit der Türkei vereinbart worden. Hintergrund ist, dass sich in der Türkei rund zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufhalten. Von der EU will die Türkei eine Finanzhilfe von 3 Milliarden Euro, das ist dreimal so viel wie von der EU bisher geboten. Im Gegenzug soll die Türkei die Migranten, die über die türkische Grenze nach Bulgarien und Griechenland in die EU kommen, wieder aufnehmen müssen. Zudem will die EU der Türkei versprechen, die ruhenden Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei wieder aufzunehmen. Sollte Merkel bei ihrem Besuch in Ankara Signale in diese Richtung aussenden, dürfte Präsident Recep Tayyip das in politisches Kapital im Wahlkampf ummünzen. Die Türkei wählt Anfang November ein neues Parlament.


 

 

Flüchtling an Bulgariens Grenze erschossen


Bulgariens Grenzpolizei hat einen Flüchtling im Grenzgebiet zur Türkei erschossen. Zu dem tödlichen Zwischenfall kam es laut Polizei, als die Polizisten eine Gruppe von 54 Männern stoppen wollte.


Die Migranten seien illegal aus der Türkei eingedrungen und damit über die EU-Außengrenze. In dem Abschnitt sei der Grenzzaun beschädigt. Die jungen Männer, nach ersten Erkenntnissen aus Afghanistan, hätten Widerstand geleistet, sagte ein Kommissar.


Ein Grenzpolizist habe nach eigener Darstellung einen Warnschuss in die Luft gefeuert, der aber den Flüchtling tödlich getroffen habe. Ermittlungen sollen die genauen Umstände klären.


Der bulgarische Regierungschef Bojko Borissow war wegen des Vorfalls vorzeitig vom EU-Gipfel in Brüssel abgereist. Es ist der erste tödliche Vorfall mit einem Migranten in Bulgarien. Das ärmste EU-Land liegt nicht auf der aktuellen Balkanroute von Flüchtlingen aus Krisengebieten nach Deutschland.

 


 

 

Ungarn riegelt auch die Grenze zu Kroatien ab


Budapest. Ein weiterer Weg für den Flüchtlingszustrom in Europa wird abgeriegelt: Ungarn hat in der Nacht zu Sonnabend die Grenze zum EU-Nachbarn Kroatien geschlossen. Das verstärkt den Trend zur nationalen Abschottung in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.


Ungarn blockiert die rund 300 Kilometer lange Grenze, um die ungehinderte Einreise von Zuwanderern zu verhindern. Das erklärte Außenminister Peter Szijjarto. Einen Monat zuvor hatte Ungarn die Grenze zu Serbien mit einem Zaun abgeriegelt und damit Zehntausenden Flüchtlingen und Migranten die Weiterreise nach West- und Nordeuropa erschwert. Über Kroatien kommen täglich Tausende Flüchtlinge an die ungarische Grenze. Von dort bringen Mitarbeiter ungarischer Behörden sie an die Grenze zu Österreich.


Mit der Entscheidung in Budapest wird der Flüchtlingsstrom über die Balkanroute unterbrochen. Tausende dürften sich jetzt neue Wege über das Euroland Slowenien im Norden Kroatiens suchen. Der EU-Gipfel habe keine Entscheidung gebracht, die den Schutz der EU-Außengrenzen möglich mache, obwohl dies die beste Lösung gewesen wäre, sagte der Außenminister nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts mit Ministerpräsident Viktor Orban in Budapest. Zugleich werde weiter erwartet, "dass Ungarn die Schengen-Regelungen einhält". Gemeint ist damit, dass Ungarn als erstes sicheres Herkunftsland der EU eigentlich alle Flüchtlinge aufnehmen, registrieren und bei sich unterbringen muss. Sein Land reagiere jetzt darauf mit der Sperrung der kroatischen Grenze, erklärte Szijjarto. Für Asylanträge würden an der Grenze zwei Transitzonen eingerichtet.


Die Voraussetzungen zur Grenzschließung seien gegeben, sowohl die physischen Sperren als auch die personellen Ressourcen, sagte Szijjarto. Die regulären Grenzübergänge blieben passierbar, aber es gebe strengere Kontrollen. Man habe Kroatiens Botschafter sowie die Außenminister Deutschlands, der Slowakei, Tschechiens und Polens unterrichtet. Bisher waren die vor allem aus Syrien, Afghanistan und Pakistan kommenden Flüchtlinge von der Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Kroatien nach Ungarn gereist. Ungarns Behörden hatten sie weiter an die Grenze zu Österreich transportiert, die sie zu Fuß überquerten. Von dort ging die Reise meist weiter nach Deutschland. Allein am Donnerstag waren so knapp 5000 Flüchtlinge über Kroatien nach Ungarn gekommen.