Bayerns Ministerpräsident droht dem Bund mit Klage - schwächt aber gleichzeitig alte Äußerungen ab
Von Patrick Guyton
München/Berlin. Den großen Knüppel zieht Horst Seehofer nach der gestrigen Münchner Asyl-Kabinettssitzung eher beiläufig aus dem Sack: Sollte der Bund nicht bald den weiteren Zuzug von Flüchtlingen begrenzen, behält sich der Freistaat eine "Klage beim Bundesverfassungsgericht" vor. Begründung des bayerischen Regierungschefs: "Der Bund hält das Recht nicht ein." Denn eigentlich müssten die Menschen an der Grenze abgewiesen werden, weil sie aus einem sicheren Drittstaat kommen.
Der Bund müsse die Handlungsfähigkeit der Länder sichern, sagt Seehofer.
Aber diese Aufgabe sehe er in Gefahr, wenn der Flüchtlingsstrom weiter
ungehindert ins Land komme, vor allem in den Freistaat Bayern.
Dass mit der CSU ein Mitglied der Bundesregierung gegen die Regierung
selbst klagen möchte und dies auch öffentlich kundtut - das ist schon
starker Tobak. Und es ist ein Zeichen dafür, wie es um das Verhältnis
von CDU und CSU, von Merkel und Seehofer steht. Dass allerdings
ausgerechnet der Gang zum höchsten deutschen Gericht ein erfolgreiches
Mittel ist, um rasch den Zuzug zu beschränken, dürfte auch innerhalb der
Christsozialen gehörig bezweifelt werden. Denn solche Verfahren in
Karlsruhe kosten vor allem viel Zeit.
Von den anderen harten Forderungen aus München, die zuvor im Raum
gestanden haben, ist nun allerdings nur noch wenig zu hören. Das in der
bayerischen Kabinettssitzung beschlossene "Notprogramm" liest sich
windelweich. "Der Bund soll", "die EU muss", "Bund und EU werden
aufgefordert..." - so hat es die Staatsregierung dutzendfach zu Papier
gebracht. Im Kern verlangt sie, die EU-Außengrenzen in Spanien und
Griechenland besser zu schützen. Zudem soll das Dublin-Verfahren
eingehalten werden, wonach Asylsuchende in dem EU-Land ihren Antrag
stellen müssen, in dem sie zuerst angekommen sind. Darauf will der
Freistaat pochen. "Denn Kapitulation", so Seehofer, "gehört nicht zum
Instrumentenkasten der bayerischen Staatsregierung."
Das ist nun alles nicht wirklich neu und bedarf eigentlich keines
Kabinettsbeschlusses. Die am Donnerstag geäußerte Forderung, Flüchtlinge
notfalls nach Österreich zurückschicken zu wollen, hat die
Staatsregierung nicht mehr geäußert - es wäre auch gar nicht möglich, da
die Zuständigkeit für die Grenze Sache von Bundesbehörden ist. Was die
politischen Grundsatzforderungen angeht, stellt sich Seehofer aber
weiterhin völlig konträr zu Merkel. "Wir haben die Belastungsgrenze
erreicht", sagt er. Und weiter: "Die Bevölkerung will nicht mehr warme
Worte und schlaue Sprüche hören, sondern Handlungen sehen."
Wie der Freistaat aber selbst kurzfristig handeln könnte, da bleiben
Seehofer und sein Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sehr im
Ungefähren. Sollen die Grenzen vielleicht doch irgendwann eigenmächtig
dicht gemacht werden? Dazu sagen die beiden in der Pressekonferenz nach
den Kabinettsbeschlüssen nicht viel. Sie hätten eine "Kaskade der
Forderungen" aufgestellt, meint Seehofer in einer kryptischen
Ausdrucksweise. Erst wenn EU und Bund nichts unternehmen, werde Bayern
aktiv.
Und was kommt dann? Das sagen die beiden nicht. Seehofer meint nur:
"Wenn A nicht erfolgt, muss B erfolgen." Seine Äußerungen zur Kanzlerin
klingen insgesamt milder als noch vor einigen Tagen. Ihren Talk bei Anne
Will habe er sich nicht angesehen, behauptet er zwar: "Ich verbringe
meine Freizeit nicht mit fernsehen." Aber: "Wir arbeiten vernünftig
zusammen, wir beide sind da keineswegs gestresst."
In der "Bild" hatte Seehofer zuvor noch schärfer vom Leder gezogen: "In
den Flüchtlingslagern in Nahost ist durch falsche Signale aus
Deutschland eine Sogwirkung entstanden mit der Botschaft: Die Deutschen
wollen ja, dass wir kommen." Viele Gesten aus Berlin seien als Einladung
verstanden worden. "Deshalb muss Angela Merkel jetzt auch ganz klar
sagen: Wir bleiben human, wir helfen, aber unsere Möglichkeiten sind
begrenzt", forderte Seehofer.
An einer Begrenzung der Zuwanderung führe kein Weg vorbei, sagte
Seehofer: "Einfach sagen: Wir haben Völkerwanderung und kriegen das hin -
das wird nicht gelingen. Nicht bei der Zahl von Flüchtlingen, und nicht
bei der Geschwindigkeit, mit der sie kommen." Zuspruch bekamen die
CSU-Politiker von führenden sozialdemokratischen Vertretern. Vizekanzler
Sigmar Gabriel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (beide
SPD) warnten vor einer unbegrenzten Zuwanderung nach Deutschland. "Wir
können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge
aufnehmen und integrieren", schreiben sie im "Spiegel".
Bisher keine Austrittswelle aus der CDU
Die aktuelle Flüchtlingskrise und die klare Haltung der Kanzlerin nutzen der Union im aktuellen Meinungsbild der Deutschen bisher wenig. Sie schaden eher. Nach einer Forsa-Umfrage kommt die Union bundesweit nur noch auf 39 Prozent - das sind 2,5 Punkte weniger als bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren.
In den CDU-Landesverbänden macht sich durchaus bemerkbar, dass
viele Mitglieder Merkels Kurs nicht mittragen. Brandenburgs CDU teilte
mit, dass sie hinter Merkel stehe, Parteiaustritte vermeldet die
Landesgeschäftsstelle bisher nicht. Der Kreisverband Potsdam-Mittelmark
äußert Kritik an der Linie der Bundesvorsitzenden - Kreisvorsitzende ist
die frühere Landesvorsitzende Saskia Ludwig. Der CDU-Landes- und
-Fraktionsvorsitzende Ingo Senftleben stützt Merkels Linie und rügt die
Bedenken von Horst Seehofer. Er vermisse bei Seehofer "durchdachte
Lösungen".
"In einzelnen Kreisverbänden gab es mal zwei, drei, höchstens
vier Austritte", sagt Niedersachsens CDU-Generalsekretär Ulf Thiele. In
anderen Verbänden habe Merkels Flüchtlingspolitik aber sogar Menschen
bewogen, der CDU beizutreten. Im Speckgürtel der Großstädte werde vor
allem darüber diskutiert, ob nach einer starken Zuwanderung der Wohnraum
für die Menschen noch reiche.
Schleswig-Holsteins CDU-Landeschef Ingbert Liebing berichtet von
einigen Austritten wegen Merkels Linie in der Flüchtlingsfrage. Von
einer Austrittswelle sei in der Landesgeschäftsstelle noch nichts zu
spüren. Stefan Kruber, Vorsitzender der Kieler CDU-Stadtratsfraktion,
stellt keine starke Verärgerung in der Partei wegen der
Flüchtlingspolitik fest. In der Union gebe es ein breites Spektrum - wie
in der Gesellschaft. Das spüre man in den politischen Diskussionen mit
den Parteimitgliedern.
Thüringens CDU stellt keine Veränderung der Mitgliederzahl wegen
der Einwanderungspolitik fest. Es gebe - wie immer - Ein- und Austritte.
Ähnlich ist es in Sachsen, die dortige CDU-Landesgeschäftsstelle sagt,
es gebe derzeit nur Statistiken bis August 2015. Sachsen-Anhalts CDU
stellt eine leicht gesunkene Mitgliederzahl fest. Ausdrücklich wegen der
Flüchtlingsdebatte seien bisher lediglich zwei Mitglieder gegangen. Im
Januar habe die CDU Sachsen-Anhalt 7215 Mitglieder gehabt, im August
seien es 43 weniger gewesen.