Seehofer geht jetzt aufs Ganze

Erstveröffentlicht: 
10.10.2015

Bayerns Ministerpräsident droht dem Bund mit Klage - schwächt aber gleichzeitig alte Äußerungen ab

 

Von Patrick Guyton

 

München/Berlin. Den großen Knüppel zieht Horst Seehofer nach der gestrigen Münchner Asyl-Kabinettssitzung eher beiläufig aus dem Sack: Sollte der Bund nicht bald den weiteren Zuzug von Flüchtlingen begrenzen, behält sich der Freistaat eine "Klage beim Bundesverfassungsgericht" vor. Begründung des bayerischen Regierungschefs: "Der Bund hält das Recht nicht ein." Denn eigentlich müssten die Menschen an der Grenze abgewiesen werden, weil sie aus einem sicheren Drittstaat kommen.


Der Bund müsse die Handlungsfähigkeit der Länder sichern, sagt Seehofer. Aber diese Aufgabe sehe er in Gefahr, wenn der Flüchtlingsstrom weiter ungehindert ins Land komme, vor allem in den Freistaat Bayern.


Dass mit der CSU ein Mitglied der Bundesregierung gegen die Regierung selbst klagen möchte und dies auch öffentlich kundtut - das ist schon starker Tobak. Und es ist ein Zeichen dafür, wie es um das Verhältnis von CDU und CSU, von Merkel und Seehofer steht. Dass allerdings ausgerechnet der Gang zum höchsten deutschen Gericht ein erfolgreiches Mittel ist, um rasch den Zuzug zu beschränken, dürfte auch innerhalb der Christsozialen gehörig bezweifelt werden. Denn solche Verfahren in Karlsruhe kosten vor allem viel Zeit.


Von den anderen harten Forderungen aus München, die zuvor im Raum gestanden haben, ist nun allerdings nur noch wenig zu hören. Das in der bayerischen Kabinettssitzung beschlossene "Notprogramm" liest sich windelweich. "Der Bund soll", "die EU muss", "Bund und EU werden aufgefordert..." - so hat es die Staatsregierung dutzendfach zu Papier gebracht. Im Kern verlangt sie, die EU-Außengrenzen in Spanien und Griechenland besser zu schützen. Zudem soll das Dublin-Verfahren eingehalten werden, wonach Asylsuchende in dem EU-Land ihren Antrag stellen müssen, in dem sie zuerst angekommen sind. Darauf will der Freistaat pochen. "Denn Kapitulation", so Seehofer, "gehört nicht zum Instrumentenkasten der bayerischen Staatsregierung."


Das ist nun alles nicht wirklich neu und bedarf eigentlich keines Kabinettsbeschlusses. Die am Donnerstag geäußerte Forderung, Flüchtlinge notfalls nach Österreich zurückschicken zu wollen, hat die Staatsregierung nicht mehr geäußert - es wäre auch gar nicht möglich, da die Zuständigkeit für die Grenze Sache von Bundesbehörden ist. Was die politischen Grundsatzforderungen angeht, stellt sich Seehofer aber weiterhin völlig konträr zu Merkel. "Wir haben die Belastungsgrenze erreicht", sagt er. Und weiter: "Die Bevölkerung will nicht mehr warme Worte und schlaue Sprüche hören, sondern Handlungen sehen."


Wie der Freistaat aber selbst kurzfristig handeln könnte, da bleiben Seehofer und sein Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sehr im Ungefähren. Sollen die Grenzen vielleicht doch irgendwann eigenmächtig dicht gemacht werden? Dazu sagen die beiden in der Pressekonferenz nach den Kabinettsbeschlüssen nicht viel. Sie hätten eine "Kaskade der Forderungen" aufgestellt, meint Seehofer in einer kryptischen Ausdrucksweise. Erst wenn EU und Bund nichts unternehmen, werde Bayern aktiv.


Und was kommt dann? Das sagen die beiden nicht. Seehofer meint nur: "Wenn A nicht erfolgt, muss B erfolgen." Seine Äußerungen zur Kanzlerin klingen insgesamt milder als noch vor einigen Tagen. Ihren Talk bei Anne Will habe er sich nicht angesehen, behauptet er zwar: "Ich verbringe meine Freizeit nicht mit fernsehen." Aber: "Wir arbeiten vernünftig zusammen, wir beide sind da keineswegs gestresst."


In der "Bild" hatte Seehofer zuvor noch schärfer vom Leder gezogen: "In den Flüchtlingslagern in Nahost ist durch falsche Signale aus Deutschland eine Sogwirkung entstanden mit der Botschaft: Die Deutschen wollen ja, dass wir kommen." Viele Gesten aus Berlin seien als Einladung verstanden worden. "Deshalb muss Angela Merkel jetzt auch ganz klar sagen: Wir bleiben human, wir helfen, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt", forderte Seehofer.


An einer Begrenzung der Zuwanderung führe kein Weg vorbei, sagte Seehofer: "Einfach sagen: Wir haben Völkerwanderung und kriegen das hin - das wird nicht gelingen. Nicht bei der Zahl von Flüchtlingen, und nicht bei der Geschwindigkeit, mit der sie kommen." Zuspruch bekamen die CSU-Politiker von führenden sozialdemokratischen Vertretern. Vizekanzler Sigmar Gabriel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) warnten vor einer unbegrenzten Zuwanderung nach Deutschland. "Wir können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren", schreiben sie im "Spiegel".


 

 

Bisher keine Austrittswelle aus der CDU


Die aktuelle Flüchtlingskrise und die klare Haltung der Kanzlerin nutzen der Union im aktuellen Meinungsbild der Deutschen bisher wenig. Sie schaden eher. Nach einer Forsa-Umfrage kommt die Union bundesweit nur noch auf 39 Prozent - das sind 2,5 Punkte weniger als bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren.


In den CDU-Landesverbänden macht sich durchaus bemerkbar, dass viele Mitglieder Merkels Kurs nicht mittragen. Brandenburgs CDU teilte mit, dass sie hinter Merkel stehe, Parteiaustritte vermeldet die Landesgeschäftsstelle bisher nicht. Der Kreisverband Potsdam-Mittelmark äußert Kritik an der Linie der Bundesvorsitzenden - Kreisvorsitzende ist die frühere Landesvorsitzende Saskia Ludwig. Der CDU-Landes- und -Fraktionsvorsitzende Ingo Senftleben stützt Merkels Linie und rügt die Bedenken von Horst Seehofer. Er vermisse bei Seehofer "durchdachte Lösungen".


"In einzelnen Kreisverbänden gab es mal zwei, drei, höchstens vier Austritte", sagt Niedersachsens CDU-Generalsekretär Ulf Thiele. In anderen Verbänden habe Merkels Flüchtlingspolitik aber sogar Menschen bewogen, der CDU beizutreten. Im Speckgürtel der Großstädte werde vor allem darüber diskutiert, ob nach einer starken Zuwanderung der Wohnraum für die Menschen noch reiche.


Schleswig-Holsteins CDU-Landeschef Ingbert Liebing berichtet von einigen Austritten wegen Merkels Linie in der Flüchtlingsfrage. Von einer Austrittswelle sei in der Landesgeschäftsstelle noch nichts zu spüren. Stefan Kruber, Vorsitzender der Kieler CDU-Stadtratsfraktion, stellt keine starke Verärgerung in der Partei wegen der Flüchtlingspolitik fest. In der Union gebe es ein breites Spektrum - wie in der Gesellschaft. Das spüre man in den politischen Diskussionen mit den Parteimitgliedern.


Thüringens CDU stellt keine Veränderung der Mitgliederzahl wegen der Einwanderungspolitik fest. Es gebe - wie immer - Ein- und Austritte. Ähnlich ist es in Sachsen, die dortige CDU-Landesgeschäftsstelle sagt, es gebe derzeit nur Statistiken bis August 2015. Sachsen-Anhalts CDU stellt eine leicht gesunkene Mitgliederzahl fest. Ausdrücklich wegen der Flüchtlingsdebatte seien bisher lediglich zwei Mitglieder gegangen. Im Januar habe die CDU Sachsen-Anhalt 7215 Mitglieder gehabt, im August seien es 43 weniger gewesen.