Das ist ein Bericht zur aktuellen Situation (Dienstagmorgen, 13.10.2015) aus Presevo an der mazedonisch-
serbischen Grenze.
Momentan hat
sich die Situation leicht entspannt, es hat aufgehört zu regnen (erst für Ende
der Woche ist wieder Regen gemeldet). Die Registrierung der Menschen läuft
momentan schneller und organisierter, Die Registrierung wird nun in zwei
Schlangen statt nur einer organisiert, bei der die Schutzsuchenden ein 72
Stunden Aufenthaltspapier für Serbien bekommen (Ohne das Papier werden die
Menschen an der serbisch-kroatischen Grenze nicht rübergelassen, es gibt
einzelne Berichte von Leuten die vom dortigen Grenzort Sid wieder zurück nach
Presevo zur Registrierung zurückgeschickt wurden).
Nach einer
sehr sehr kalten Nacht (um die vier Grad) waren gegen sechs Uhr morgens keine
Schutzsuchenden mehr im Camp, nur noch einige, die kein Geld für den Bus
hatten. Es sind wegen Problemen an der Grenze zu Mazedonien keine
Schutzsuchenden im Verlauf des Vormittags angekommen, werden aber in den
kommenden Stunden erwartet. Laut einzelnen Medienberichten sind in den
vergangenen vier Tagen in Presevo mehr als 24.000 Flüchtlinge registriert
worden.
Durch die
leichte Entspannung hatten die Volunteers vor Ort und auch die Küche, die die
letzten Tage 24 Stunden durchgekocht hat, eine kurze Pause sich zu organisieren
und vor allem ein paar Stunden auszuruhen. Es sind ein paar neue Volunteers aus der
Schweiz angekommen. Die Küche wird in zwei Schichten
mit tagsüber etwa sechs und nachts etwa vier Menschen gestemmt. Insgesamt sind
zwischen 25-30 Freiwillige Helfer_innen vor Ort, ausgenommen der NGOs
Es kommt mit
den Hilfsorganisationen aber auch unter den Helfer_innen aufgrund der
angespannten und sehr überfordernden Situation immer wieder zu Spannungen. Die
Hilfsorganisationen sind tagsüber stark präsent (nur im Camp) aber wenig
kooperativ und stellen nachts ihre komplette Versorgung ein. Mittlerweile gibt
es zwei Ärzteteams vor Ort, eines am Anfang der Schlange vor dem Camp, eines
auf dem Platz hinter dem Camp, dort wo die Menschen in Busse Richtung Kroatien
steigen. Innerhalb der Freiwilligenstrukturen gab es Meinungsverschiedenheiten
über die Verteilung von Hilfsgütern, da einzelne Personen innerhalb der
Freiwilligen sehr autoritär und gegenüber den NGOs und Polizei sehr
zurückhaltend auftreten. Dabei geht es in erster Linie darum, den Menschen, die
zum Teil barfuß in Kälte, Müll und Regen stehen unmittelbar zu helfen und sich
nicht auf das Machtspiel mit den Behörden und unter den NGOs einzulassen,
wodurch die Hilfe erschwert und verlangsamt wird. Immer wieder ist auch das
politische Kalkül der Regierungen
vor Ort spürbar, die auf Abschreckung und Einschüchterung setzen.
Es gibt
jedoch immer mehr Infrastruktur vor Ort. Die Volunteers konnten mehrere Räume
zum Aufwärmen einrichten, zum Beispiel ein leeres Geschäft und zwei Pavillons,
wo Familien oder Schwangere schlafen und sich ausruhen können. Es werden Massen
an Tee und auch rund um die Uhr Essen ausgegeben. Aus Zeltspenden wird vor der
Registrierungsstelle mehr Schutz vor Regen und Kälte aufgebaut, wo sich die
Menschen ausruhen können.
Die
Taxifahrer_innen werden zunehmend aggressiv und drohen den Freiwilligen mit
Gewalt, wenn sie unter den Schutzsuchenden weiterhin Informationen über
ihre Abzocke verbreiten und die Leute von den Taxis abhalten, die sie für
Wucherpreise irgendwohin in die Umgebung bringen und sie dort einfach
rausschmeißen. Mit den Taxis können die Refugees aber ohnehin nicht
weiterreisen. Die Taxifahrer haben den Infopoint der Freiwilligen am
Ortseingang nach Presovo umringt, die Menschen bedroht und vertrieben.
Daraufhin wurde die Polizei von einer Organisation eingeschaltet, sodass
Taxifahrer_innen nun vermehrt kontrolliert werden.
Das Militär
fährt weiterhin täglich mit Armeetransportern auf, in denen auf der Ladefläche
Soldat_innen mit Gewehren sitzen und zeigt martialische Präsenz. Die
Polizist_innen vor Ort sind weniger und auch kooperativer geworden, tatsächlich
wurden Freiwillige von Beamt_innen gefragt, ob müllsammelnde Schutzsuchende
deren Erlaubnis dafür haben.
Daraus entwickelt
sich gerade das nächste und größte Problem: Auf den Straßen und im Camp hängt
überall ein unfassbarer Gestank, überall liegt nach den regnerischen und
chaotischen vergangenen Tagen Müll in Massen herum. Die fünf Dixietoiletten vor
Ort sind völlig überfüllt, die Straße ist voller Müll und Schlamm, eine
Lagerhalle ist wegen der Überflutung und dem Müll als Unterstand und Lager
unbenutzbar geworden. Es gibt keine Leute vor Ort, die Müll sammeln könnten, da
alle Freiwilligen völlig überlastet und die Schutzsuchenden zu entkräftet sind
oder die Registrierungsschlange nicht verlassen dürfen.
Internationale
und lokale Presse ist kaum vor Ort und viele Berichte der Situation vor allem
in Serbien liefern eine verzerrte Darstellung der Versorgung vor Ort und den
Anschein einer behördlich kontrollierten Normalsituation, während hunderte
durchnässte und frierende Frauen, Männer und Kinder über 12 Stunden lang nur von einer Handvoll Volunteers mit
dem Nötigsten versorgt im Stehen und Sitzen ausharren müssen, angeschrien, geschlagen und wie Tiere behandelt werden.
Es werden
weiter dringend Unterstützer_innen gesucht, die die Menschen vor Ort entlasten
und in den kommenden Tagen ablösen können. Die Volunteers in Presevo sind zum Teil seit mehreren
Tagen fast ohne Schlaf rund um die Uhr am Arbeiten. Außerdem werden noch
Volunteers gesucht, die in einem weiteren schwer zugänglichen Camp in Miratovac
auf serbischer Seite helfen können.
Auch auf
mazedonischer Seite ist die Lage nach wie vor angespannt. Dort kommen am
Bahnhof in Tabanovtse kurz vor dem Grenzübergang nach Serbien in unregelmäßigen
Abständen tausende Menschen auf einmal mit Zügen an, es gibt nur ein einziges
Klo. Hilfsgüter werden kaum durch die Grenze gelassen. Vor allem nachts, wenn
UNHCR und Rotes Kreuz weg sind, wird dringend Unterstützung benötigt, um die
ankommenden Menschen mit dem Nötigsten wie warmer Kleidung, Wasser und Essen zu
versorgen bevor sie zu Fuß Richtung serbischer Grenze laufen müssen. Die
Situation wird sich die kommenden Tage und Wochen nicht entspannen, da weiter
tausende Menschen auf dem Weg von den griechischen Inseln nach Europa sind, auf
der Flucht vor Krieg und Verfolgung.
Wenn ihr
spenden wollt oder euch diese Woche Autos anschließen wollt, die für mehrere
Tage runterfahren,
kontaktiert ihr am besten den SOS Konvoi in Wien oder die IHA Help.
Aktuelle Infos findet ihr weiterhin unter:
Refugee Help Map (tägliche Updates
von den Brennpunkten):
https://www.google.com/maps/d/viewer?mid=zddfRUtGScOc.kQBgTQcoV5FM&hl=en_US
SOS Konvoi (Hilfsgüter- und
Freiwilligenkoordination; aktuelle Grenzberichte)
http://www.soskonvoi.com/
IHA Help (Hilfsgüter- und
Freiwilligenkoordination)
http://www.iha.help/
Bordermonitoring (Berichte und
Dokumentationen von den verschiedenen Grenzen):