"Dach über dem Kopf allein reicht nicht"

Erstveröffentlicht: 
29.09.2015

Diakonie-Chef fordert mehr Psychologen für Flüchtlinge

 

Von Petra Buch


Halle. Angesichts des Zustroms an Flüchtlingen nach Deutschland müssen nach Ansicht der Diakonie Mitteldeutschland mehr Erstaufnahmestellen als bisher eingerichtet werden. Man könne in einem Haus mit einer Kapazität von 600 Menschen nicht die doppelte Anzahl unterbringen, sagte Oberkirchenrat Eberhard Grüneberg in Halle. Zudem sei es dringend nötig, Menschen in Erstaufnahmestellen intensiv und kontinuierlich psychologisch zu betreuen. "Viele Flüchtlinge sind traumatisiert. Sie waren sehr lange unterwegs, haben unvorstellbar Schlimmes erlebt, ihre Heimat und Familie verloren", sagte Grüneberg. Wochen, Monate, mitunter sogar Jahre seien Flüchtlinge unterwegs, um eine sichere Heimat zu finden. Ein Dach über dem Kopf allein reiche nicht. Ihre Seele brauche Hilfe, mahnt die Kirche.


Im Moment gebe es in den Erstaufnahmestellen aber die Situation, dass viele Menschen körperlich und seelisch überfordert sind. "Das kann man auch nachvollziehen. Das Personal steht enorm unter Druck", sagte Grüneberg. Er ist Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland, der mit 29000 Mitarbeitern und 1700 Einrichtungen der evangelischen Kirche in Sachsen-Anhalt und Thüringen nach eigenen Angaben größten ostdeutschen Wohlfahrtsorganisation.


Sachsen-Anhalt hatte Anfang September angekündigt, deutlich mehr Erstaufnahmeplätze für Flüchtlinge bereitzustellen als bislang geplant. "Das Problem ist, es gibt im Moment nicht den Königsweg, denn das, was gestern richtig war, ist heute anders", sagte Grüneberg mit Blick auf die tägliche Ankunft von Tausenden Flüchtlingen, die zum Beispiel aus Syrien und Afghanistan nach Europa kommen.


Viele Menschen engagieren sich spontan für Flüchtlinge


Der Oberkirchenrat appellierte an die Gesellschaft, den Zustrom von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen nach Deutschland als Chance für ein neues Miteinander zu sehen. "Unsere Gesellschaft wird sich verändern. Wir brauchen dafür jetzt einen neuen Blick, wie wir das machen wollen", sagte Grüneberg. "Ein gutes Zeichen dafür ist es, dass sich jetzt viele Menschen spontan für Flüchtlinge engagieren und sie auch bei sich aufnehmen wollen", sagte er. Deutschland sei bisher eher kein "Integrationsweltmeister" gewesen, was das gewollte Zusammenleben mit Ausländern betrifft.


Grüneberg kritisierte zudem, in Deutschland werde noch viel zu wenig mit den Flüchtlingen darüber gesprochen, "was sie für Vorstellungen von ihrem Leben in Deutschland haben". Man dürfe nicht davon ausgehen, dass das Flüchtlingsthema hierzulande bewältigt werden könne, ohne die Flüchtlinge selbst zu fragen. "Das ist eine schwierige Aufgabe, das braucht viel Mühe und ein richtiges Konzept."