Bisher schwerster Vorfall / Zahl der Verletzten nach Massenschlägerei zwischen Syrern und Afghanen unklar
VON FRANK DöRING
Leipzig. Sie prügelten mit Tischbeinen,
Latten und Bettgestellen aufeinander ein, griffen Soldaten der
Bundeswehr an, zwangen DRK-Mitarbeiterinnen zur panischen Flucht: Der
Gewaltausbruch von 200 Flüchtlingen in der Notunterkunft auf der Neuen
Messe am Donnerstagabend hat auch bei den zuständigen Behörden für
Entsetzen und Ratlosigkeit gesorgt. Doch wie kam es dazu? Nach
LVZ-Informationen geht die Polizei auch dem schlimmen Verdacht nach,
dass ein elfjähriges syrisches Mädchen beinahe Opfer eines sexuellen
Übergriffs geworden wäre.
Demnach soll ein 17-jähriger Afghane
versucht haben, das Kind in der Asylunterkunft zu vergewaltigen. "Es
gibt dazu widersprüchliche Angaben und bisher keine konkreten
Anhaltspunkte", so ein Ermittler gegenüber der LVZ. Der Afghane streite
die Tat ab. Seiner Aussage nach habe ihn das Mädchen einfach nur
genervt, weil es mit einem Roller in der Halle herumfuhr. Daraufhin soll
er die Kleine mit einem Messer bedroht haben. Sie wurde verletzt,
rannte zu ihrem Onkel, der aufgebracht den 17-Jährigen zur Rede stellte.
Es kam zu einer Rangelei, bei der auch ein afghanisches Mädchen
getreten wurde. Kurz darauf gingen rund 200 Syrer und Afghanen mit
allerhand Schlagwerkzeugen und massiver Gewalt aufeinander los.
Zu
regelrechten Jagdszenen soll es in der Messehalle gekommen sein. Dabei
griffen die wütenden Flüchtlinge auch Angehörige des Wachschutzes an
und attackierten Bundeswehrsoldaten, die in der Unterkunft bei der
Essensausgabe halfen. Sie konnten sich in Sicherheit bringen, blieben
unverletzt. Zwei Mitarbeiterinnen des DRK hatten weniger Glück. Bei der
Flucht vor dem aufgebrachten Mob stürzte eine 27-Jährige und brach sich
die Kniescheibe. Eine Kollegin erlitt einen Schock. Beide Helferinnen
sind derzeit dienstunfähig.
Um der Lage Herr zu werden, mussten
Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei vom zeitgleich stattfindenden
Bundesligaspiel in der Red-Bull-Arena abgezogen werden. Die Beamten
stürmten die Halle, trennten die verfeindeten Lager. Gegen 23.45 Uhr war
die Lage so weit unter Kontrolle, dass die Polizei einen Großteil der
Kräfte wieder abziehen konnte. Einige Beamte blieben zur Absicherung
über Nacht an der Messehalle. Allerdings weigerten sich einige
Afghanen, darunter Familien mit Kindern, nach der Auseinandersetzung
wieder in die Halle zurückzukehren. Sie verbrachten deshalb die Nacht
im Freien.
Sechs Afghanen, darunter auch den 17-Jährigen, nahm die
Polizei in sogenannten Präventivgewahrsam, um "die eingetretene
erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen
und weitere Auseinandersetzungen zu verhindern". Gegen sie wird wegen
des Verdachts des Landfriedensbruchs ermittelt. Eine weitere
Strafanzeige liegt vor wegen Nötigung im Zusammenhang mit der Drohung
gegenüber dem elfjährigen Mädchen. Ermittlungsverfahren richten sich
auch gegen vier unbekannte Syrer wegen gefährlicher Körperverletzung
sowie gegen Unbekannt wegen Körperverletzung und Diebstahls eines
Handys. Allerdings dürften noch einige Verfahren hinzu kommen. Denn noch
immer ist der Polizei nicht bekannt, wie viele Personen bei den
massiven Auseinandersetzungen verletzt wurden.
Der Konflikt
zwischen den Syrern und Afghanen in der Messehalle 4 schwelt schon
länger, so die Polizei. Die Landesdirektion will nun mit Gesprächen und
strikter Trennung der Nationalitäten die Lage beruhigen, wie Sprecherin
Jana Klein gegenüber der LVZ sagte. Geprüft werde auch, wie ein
Insider-Video von der Massenschlägerei Legida zugespielt werden konnte.
Über mögliche Konsequenzen sei aber noch nicht entschieden, so Klein.
Noch am Donnerstagmittag hatte Campmanagerin Doreen Rößler vom DRK bei
einem Rundgang die Stimmung in der Halle als "sehr gut" beschrieben.
Demnach hatte es zwar kleinere Streitereien, aber keine größeren
Vorfälle gegeben.
Die Polizei wertete den Gewaltexzess als bisher
schwersten Zwischenfall in einer Leipziger Flüchtlingsunterkunft. Erst
Ende August hatten sich 90 Syrer und Marokkaner in der
Erstaufnahmeeinrichtung in der Friederikenstraße eine Schlägerei
geliefert. Zuletzt waren Marokkanern und Iraner in der Messehalle 4
aneinander geraten, bei dem Streit ging es um Alkoholkonsum. Mit
verstärkten Streifen an Flüchtlingsunterkünften will die Polizei bei
Konflikten schneller vor Ort sein. Kaum Möglichkeiten sieht die Behörde,
womöglich gut gemeinte, aber als fragwürdig angesehene Aktionen von
Flüchtlingsunterstützern zu unterbinden. So soll beispielsweise vor
der Messehalle 4 an Flüchtlinge Alkohol verteilt worden sein, bestätigte
die Polizei auf Anfrage.