Mit dem „Zentrum Automobil e.V.“ hat sich beim Daimler-Konzern eine Betriebsratsliste mit extrem rechten personellen Wurzeln etabliert.
Von Ariane Becker
Gegründet wurde das „Zentrum Automobil“ Anfang 2010 von Oliver Hilburger (46), der zuvor wegen seiner rechtsextremen Aktivitäten die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) 2007 verlassen musste, mit einigen weiteren Personen, die teilweise der extrem rechten Szene angehören. Hilburger gehörte für rund zwei Jahrzehnte zur Besetzung der 1987 gegründeten und 2010 aufgelösten Stuttgarter Skinband „Noie Werte“. Er spielte Gitarre und später Bass bei den meisten Aufnahmen wie auch auf zahlreichen Konzerten. Mit von der Partie war auch der spätere baden-württembergische NPD-Landesvorsitzende Michael Wendland. Kurz vor der Selbstauflösung der Band verließ Hilburger 2008 die Musiktruppe um den Stuttgarter Rechtsanwalt Steffen Hammer. In den 90er Jahren betrieben Hilburger und Hammer das Label German British Friendship (GBF) beziehungsweise G.B.F.-Records, auf dem auch sieben Alben von „Noie Werte“ veröffentlicht wurden. Aufgrund der persönlichen und organisatorischen Verbindungen zu „Skrewdriver“ von Ian Stuart Donaldson wurde G.B.F.-Records dem später in Deutschland verbotenen „Blood&Honour“-Netzwerk zugeordnet.
Der Instandhalter Hilburger war seit 2006 freigestellter CGM-Betriebsrat beim Untertürkheimer Daimler-Werk, stellvertretender Vorsitzender der CGM-Betriebsgruppe Daimler(Chrysler) und Mitglied des baden-württembergischen Landesvorstands der CGM. Von diesen Ämtern trat Hilburger 2007 nach Bekanntwerden seiner Aktivitäten in der rechtsextremen Musikszene zurück (vgl. bnr vom 02.08.2007). An dem Amt eines ehrenamtlichen Richters wollte er hingegen festhalten, was ein Verfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erforderlich machte. Hilburger räumte dabei zwar seine Bandzugehörigkeit ein. Er gab aber an, nach dem 1. Januar 2004 keine Lieder mit der Band mehr eingespielt zu haben. Auf die Verbreitung zuvor eingespielter Lieder habe er keinen Einfluss. Ebenso wenig sei er für das Verhalten des Publikums bei Live-Auftritten verantwortlich, sofern er das Auditorium nicht dazu aufgefordert habe. Dennoch befand das Bundesverfassungsgericht im Mai 2008, dass die Amtsenthebung Hilburgers rechtens sei.
Über Jahre bei „Noie Werte“ musiziert
Bei der Gründung des „Zentrums Automobil“ im Jahr 2010 nahm Hilburger für sich in Anspruch, dass seine jahrzehntelange Zugehörigkeit zur rechtsextremen Szene eine „Jugendsünde“ gewesen sei. Stellvertretender Vorsitzender des Zentrums wurde Thomas Scharfy (Jg. 1976), der zuvor auch bei der CGM aktiv war (vgl. bnr vom 19.09.2007). In den 90er Jahren machte Scharfy mit seiner Mailbox Empire BBS als Teil des Thule-Netzes, einem neonazistischen Kommunikationsforum der Prä-Internet-Ära, auf sich aufmerksam.
Weiterhin im Vorstand von „Zentrum Automobil“ vertreten sind seit der Gründung bis heute, so der Auszug aus dem Stuttgarter Vereinsregister, Sascha Woll (44), Hendrik Best (32), Andreas Ziegler (49) und Jens Ackermann (39). Ackermann zeigte in der Vergangenheit reges Interesse an Veranstaltungen der NPD und des lokalen rechtsextremen „Deutschen Kreis von 1972 e.V.“ (vgl. bnr vom 02.04.2009), eines lokalen Zirkels um den ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Rolf Kosiek (80). Ackermann hat ebenso wie Hilburger Kontakt zu Andreas „Mucke“ Graupner, dem 40-jährigen letzten Gitarristen von „Noie Werte“. Graupner stammt ursprünglich aus Chemnitz und spielte dort bei der Szene-Band „Auf eigene Gefahr“ (AEG). Eine seiner ersten Anlaufstationen im Westen war Hilburger, mit dem er dann über Jahre zusammen bei „Noie Werte“ musizierte. Wenige Monate nach der Entdeckung der Terrortruppe NSU im November 2011 wurde Graupner an seinem damaligen Wohnort Remshalden (Rems-Murr-Kreis) von der Polizei besucht.
Kurz nach der Gründung von „Zentrum Automobil“ gelang bei der ersten Teilnahme an den Betriebsratswahlen im Jahr 2010 Hilburger und Christian Schickardt (32), trotz betriebsinterner Proteste gegen deren Kandidatur, der Sprung in das Gremium im Daimler-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim. Die dünne Programmatik weist die neue Liste nicht als explizit rechtsextrem aus. Insgesamt 43 Personen fanden sich auf dem Wahlvorschlag des „Zentrums“ wieder. Neben aktiven und ehemaligen Angehörigen der rechtsextremen Szene kandidierte auch eine Reihe von Migranten auf der Liste. Mit Rico Heise (39) fand sich auf Platz 21 ein Nazi-Skinhead, der Konzertveranstaltungen der braunen Musik-Szene besuchte und mitorganisierte. Heise unterhielt beziehungsweise unterhält Kontakte beispielsweise zu den Chemnitzern Yves Rahmel (früher PC Records) oder Hendrik Lasch (PC Records und Backstreet Noise; bnr.de berichtetete) sowie Klaus Heib (41), dem langjährigen Bassisten von „Noie Werte“.
Selbst ernannter Querdenker
Heise und Heib nahmen jahrelang ihren gemeinsamen Geburtstag am 15. Januar zum Anlass für als Geburtstagsfeiern getarnte Veranstaltungen der rechtsextremen Szene. Diese braunen Partys fanden in der Gaststätte „Tanzcafé Balaton“ in Waiblingen-Neustadt (Rems-Murr-Kreis), dem Wohnort von Heib, im Januar statt. Nach Erkenntnissen der Polizei sollen im Jahr 2007 vor geschätzten 120 bis 150 Gästen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland neben den lokalen Bands „Noie Werte“ und „Kommando Skin“ noch „Spreegeschwader“ aus Berlin gespielt haben.
In einem Interview mit der lokalen „Waiblinger Kreiszeitung“ distanzierte sich Hilburger, der in Althütte (Rems-Murr-Kreis) lebt, im Februar 2012 von seiner politischen Vergangenheit. Seine persönliche, eher vage politische Bilanz im Interview: „Anfangs habe ich mich sicher der Skinszene zugehörig gefühlt. Heute würde ich mich als kritischen Querdenker bezeichnen“.
Zuletzt gelang dem selbst ernannten Querdenker mit brauner Vergangenheit gemeinsam mit Schickart und zwei weiteren Kandidaten 2014 die Wiederwahl in den Daimler-Betriebsrat in Stuttgart-Untertürkheim. Dabei erzielte das „Zentrum Automobil“ einen Achtungserfolg mit 9,55 Prozent der Stimmen. Mit den errungenen vier Sitzen war das Zentrum die erfolgreichste der kleinen Listen. Der sechstplatzierte Scharfy verfehlte knapp ein Betriebsratsmandat. Insgesamt kandidierten 145 Personen für die Liste, von denen einige eine besondere öffentliche Beachtung verdienen.