Hoffnungsschimmer fürs Asylamt

Erstveröffentlicht: 
18.09.2015

Der Behördenchef schmeißt hin - und die Kanzlerin schickt ihren Aufräumer ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

 

Von Dieter Wonka

 

Berlin. Einmal im Jahr holt Frank-Jürgen Weise, ein Oberst der Reserve, seinen Tarnanzug aus dem Schrank. Dann geht er für ein bis zwei Wochen an die Front, etwa in Afghanistan. Nun bekommt Weise eine Mission, die womöglich noch viel komplizierter ist. Eine Uniform benötigt er dafür allerdings nicht. Weise, ehemals Chef der Bundesagentur für Arbeit, soll als Angela Merkels erster Reformer das überlastete und massiv kritisierte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu einer schlagkräftigen Behörde umbauen. Nach dem Rücktritt des bisherigen Amtschefs Manfred Schmidt soll nun Weise als Berater Raum für neues Denken schaffen.


Gestern überschlugen sich die Ereignisse rund um dieses Bundesamt. Der Präsident nahm aus persönlichen Gründen seinen Abschied - und schon wurde über größere politische Zusammenhängen spekuliert. Von einem "Bauernopfer" spricht Grünen-Chefin Simone Peter. Mit Schmidts Abgang wolle die Bundesregierung den in der Flüchtlingspolitik überfordert wirkenden Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Amt retten.


Das träge Regelwerk des BAMF hatte zuletzt die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf die Palme gebracht. Viermal ist in den vergangenen Monaten in diversen Spitzengesprächen verabredet worden, dass Asylanträge schneller bearbeitet und neue Unterkünfte systematisch geschaffen werden müssen. Schmidt hatte zuletzt selbst eingeräumt, man habe die jüngste Antragswelle "unterschätzt". Sein Amt geht noch immer von rund 800000 Flüchtlingen in diesem Jahr aus, während die aktuellen Zahlen aus den Ländern auf mindestens 1 bis 1,2 Millionen schließen lassen. Aber handelt die Behörde wirklich frei und unabhängig? Die Regeln für seine Arbeit gebe der Bundesinnenminister vor, erklärte Schmidt.


Den Vorwurf, dass der Minister der eigentliche Bremsklotz sei, erheben sogar Parteifreunde de Maizières. Der Minister habe zwar schon im vergangenen Jahr auf eine große Flüchtlingswelle hingewiesen, aber seine Planungen nicht darauf ausgerichtet, lautet einer der zentralen Vorwürfe beispielsweise aus der Gruppe der Unions-Innenexperten.


Jetzt könnte der Berater ausbügeln, was der Innenminister bisher nicht hinbekommen hat. In seinem Hauptberuf ist Frank-Jürgen Weise ein gelernter Mann der Wirtschaft, außerdem ein Experte für die Verwaltung. Und er hat einen guten Draht zur Bundeskanzlerin. Sie hätte den amtierenden Chef der Bundesagentur für Arbeit vermutlich längst schon zum Staatssekretär, vielleicht sogar zum Minister gemacht, wäre da nicht Parteifreund de Maizière gewesen. Für den Innenminister, der sich auch in diesen Tagen der heftigen Flüchtlingsbewegung vor allem als erster Beamter seiner Kanzlerin versteht und nicht als Gestalter, dürfte eine schneidige Verwaltungsreform eine eher grausame Vorstellung sein. Die "Einhaltung der Regeln" müsse in jedem Fall gewährleistet sein, lautet schließlich eine der Maximen de Maizières. Die Totalrenovierung einer Behörde, wie sie Weise einst bei der Bundesanstalt für Arbeit erfolgreich durchexerziert hat, passt nur schwer mit des Ministers traditionellem Beamtendenken zusammen.


Die Kanzlerin hat sich nun, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung, auf Leute wie Weise besonnen. Im vertrauten Kreis von CDU/CSU-Politikern benannte Angela Merkel bereits den strategischen Reformer als ihren Mann. "Wir schaffen das!" Die Umsetzung dieses Merkel-Versprechens hängt auch davon ab, ob es schnell gelingen kann, den zähen Entscheidungsprozess beim Bundesamt drastisch zu beschleunigen.


Immerhin sei doch die Zahl der "Entscheider", die über einen Asylantrag zu befinden haben, zuletzt von 265 auf 550 gestiegen, ließ der Bundesinnenminister kürzlich erklären. Das sei doch "ein einmaliger Vorgang" bei einer Behörde, fügte er hinzu. Die Ministerpräsidenten der Länder sehen es ähnlich - und im Kanzleramt teilt man mehr und mehr diese Kritik. Den 550 Entscheidern sollen nun 2000 weitere folgen.


Das haben Ministerpräsidenten und Parteipolitiker seit Monaten gefordert, mittlerweile beginnt langsam die Aufstockung. Zu langsam, zu zögerlich, zu planlos lautet die Kritik von Rainer Haseloff, dem christdemokratischen Regierungschef von Sachsen-Anhalt. Stephan Weil, sozialdemokratischer Regierungschef in Hannover, sieht es ähnlich.


Als der Bund beim jüngsten Flüchtlingsgipfel am Montag seine Liste mit 40000 Notfall-Erstaufnahmeplätzen vorlegte, stellte sich heraus, dass viele der zugesagten "neuen" Plätze längst belegt und vergeben waren. Insgesamt festigte das den Eindruck, dass die Behörden, die für diese Panne verantwortlich sind, kräftig auf Vordermann gebracht werden müssen. Vielleicht war das der Anfang vom Ende des Behördenleiters Schmidt.


Auf den Innenminister warten unterdessen neue Kraftproben. Sein Ministerium hat einen 120-seitigen Gesetzentwurf zur Reform des Asyl- und Asylbewerberleistungsgesetzes entwickelt. Ziel ist es, schnellere Entscheidungen zu garantieren. Angestrebt wird eine Zeit von maximal drei Monaten, in der jeder Fall entschieden sein soll. Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber sollen ebenfalls innerhalb von höchstens drei Monaten laufen, um Unterkunftsplätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen frei zu bekommen. Die Liste sicherer Herkunftsstaaten soll zudem erweitert werden, dies betrifft insbesondere die Staaten des südlichen Balkans. Asylbewerber, die EU-Staaten als Transitländer genutzt haben, um nach Deutschland zu kommen, sollen nach Möglichkeit keine finanziellen Leistungen mehr erhalten, sondern nur noch eine "Reisebeihilfe", um zurück ins Land ihrer Erst-Registrierung zu gelangen.


Genug politischer Sprengstoff ist in diesen Vorschlägen aus dem Hause de Maizières enthalten. Von einem "rechtswidrigen Hauruckverfahren" spricht Pro-Asyl-Geschäftsführer Günther Burkhardt. Ziel sei es, "Menschen quasi auszuhungern". Dabei weiß der Bundesinnenminister, dass er für seinen Gesetzesplan auch die Zustimmung der Grünen benötigt. "Einen Plan hat der Minister vielleicht, aber keine Idee", urteilt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt.