Schule statt Krieg: Flüchtlingskinder in Heidenau erleben ersten Unterricht

Erstveröffentlicht: 
12.09.2015

Mädchen und Jungen besuchen Vorbereitungsklassen / Elterngespräche über Pflichten

 

Von Christiane Raatz


Heidenau. Eifrig sind die Köpfe über die Blätter gebeugt, werden Schulranzen, Tische und Stifte auf dem Papier ausgemalt. Laut und deutlich spricht Lehrerin Jana Lubonski die Worte vor, hält kleine bunte Kärtchen in die Luft. Im Chor sprechen die Kinder nach, schauen sich an und kichern. Die deutschen Worte klingen noch ungewohnt. In der Vorbereitungsklasse an der Astrid-Lindgren-Grundschule in Heidenau (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) werden ausländische Kinder fit für die Schule gemacht, darunter auch solche aus Flüchtlingsfamilien. Sie sollen hier so gut Deutsch lernen, dass sie bald dem regulären Unterricht folgen können.


Ein spezieller Plan für jedes Kind


An einem Tisch sitzen Kinder aus den Klassen zwei bis vier, sie sprechen schon ein paar Worte Deutsch. Am Nachbartisch haben sich die Kleinen versammelt. Auf die Frage, was sie in der Schule am liebsten mag, zeigt die sechsjährige Bianka aus Albanien auf einen CD-Spieler. "Das", sagt sie und dreht verlegen an ihren Zöpfen. "Musik hören", erklärt Jana Lubonski, die die Zeichen ihrer Schützlinge gut deuten kann. "Wir verständigen uns viel mit Händen, Füßen und Pantomime." Die Lehrerin schaltet das Gerät ein, und ein fröhliches Guten-Morgen-Lied ertönt. "Das haben wir alle am liebsten", sagt Lubonski. Manche Kinder sind hier, weil die Eltern in Deutschland eine Arbeit gefunden haben - auch solche aus EU-Staaten. Andere sind vor Krieg geflüchtet, vor Armut und Elend.


Die Jüngsten sind erst seit zwei Wochen Schulkinder. "Da waren die Sprachkenntnisse gleich null", sagt Schulleiterin Karla Dorn. Zwei Vorbereitungsklassen mit 19 und 17 Kindern gibt es an der Grundschule, zwei Lehrerinnen unterrichten Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Gelernt wird in Gruppen je nach Entwicklung und Klassenstufe. "Alle haben ihren speziellen Plan", berichtet Dorn. Die Kinder kommen unter anderem aus Albanien, Syrien, Serbien, Polen, Griechenland oder dem Irak, auch Sinti und Roma sind darunter.


Die Schule als geschützter Raum


Vor knapp drei Wochen machte Heidenau bundesweit Schlagzeilen, als rechte Krawallmacher vor einer Flüchtlingsunterkunft Polizisten attackierten. Gerade einmal eine Viertelstunde zu Fuß entfernt ist der ehemalige Baumarkt, der nun als provisorische Unterkunft für Asylbewerber dient. Mittlerweile ist es ruhig geworden, allerdings wächst bei den Bewohnern der Unmut über ihre Unterbringung und die medizinische Versorgung. Die Ausschreitungen wurden mit den Schülern nicht thematisiert. Dorn sieht ihre Schule als einen geschützten Raum, "wo die Kinder lernen und spielen". Die Heidenauer Schule ist eine von 200 in Sachsen, an denen es insgesamt 290 Vorbereitungsklassen gibt. Damit gibt es an etwa jeder siebten Schule eine solche Klasse. Der Bedarf steigt, zusätzliche DaZ-Lehrer wurden bereits eingestellt. Das sächsische Kultusministerium geht davon aus, dass die Zahl der Flüchtlingskinder in den Vorbereitungsklassen in diesem Jahr auf mehr als 5000 klettert. "Die Herausforderung wird mit jedem Tag größer. Zunehmend stoßen wir dabei an räumliche und personelle Grenzen", berichtet ein Ministeriumssprecher.


Auch an der Heidenauer Astrid-Lindgren-Grundschule spricht die Leiterin Dorn von einer Herausforderung. Zwar hätten immer schon ausländische Kinder hier gelernt, darunter viele Russland-Deutsche. Aber: "Die Herausforderung ist die Vielzahl der Kinder. Jetzt hat sich die Gesamtzahl verdreifacht." Insgesamt 60 DaZ-Kinder lernen zur Zeit in Heidenau. Mehr Lehrer und Schulen müssten ins Boot geholt werden, sagt Dorn, die ihre Schule am Ende der Kapazitäten sieht.


Und dennoch: Jemanden abzuweisen, fällt ihr schwer. Vor der Tür zum Lehrerzimmer sitzt eine syrische Familie mit drei Kindern, die auf Aufnahme hofft. Weil es zwischen Heidenau und Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) nur noch eine weitere Vorbereitungsklasse gibt, nehmen die Eltern mit ihren Kindern zum Teil lange Schulwege auf sich. "Eine Mutter läuft jeden Morgen ganz früh in Dohna los, um ihre Kinder zu bringen", berichtet Dorn. Das ist immerhin ein Fußmarsch von rund drei Kilometern.


Der Unterricht nähert sich dem Ende, die Kinder werden lauter, zappeln auf ihren Stühlen hin und her. Jana Lubonski erklärt geduldig, wiederholt, zeigt und malt. "Unsere Lehrer sind sensibilisiert, haben viel Erfahrung", sagt Dorn. Dass die Kleinen aus ganz verschiedenen Kulturen und Milieus kommen, bereitet den Kindern selbst kaum Probleme. Sie spielen und toben miteinander, auch wenn sie nicht immer die gleiche Sprache sprechen. "Dennoch merkt man schon, dass der kulturelle Hintergrund ein anderer ist", so Dorn. Viele müssten sich erst an das deutsche Schulsystem gewöhnen, an die Hausaufgaben und die Pünktlichkeit. Einige Kinder hätten zuvor noch nie eine Schule besucht. "Wir haben auch Gespräche mit den Eltern, um ihnen bewusst zu machen: Wenn sie hier leben wollen, und wenn die Kinder hier lernen sollen, gehören zum Beispiel Hausaufgaben auch dazu."


Die erste Etappe in der Vorbereitungsklasse dauert etwa sechs bis acht Wochen, dann nehmen die Kinder nach und nach am regulären Unterricht teil. Zunächst stehen Musik und Sport auf dem Stundenplan, dann kommen andere Fächer hinzu. In den Klassen achtet die Schulleiterin auf "gesunde Mischungsverhältnisse". Das heißt: In der Regel stammen in einer Klasse mit maximal 30 Schülern nicht mehr als sechs Kinder aus dem Ausland. Dorn ist überzeugt davon, dass alle voneinander lernen können.


Als Beispiel nennt sie den elf Jahre alten Yazan aus Syrien, der nahezu fließend Deutsch spricht. Die Antwort auf die Frage, wie lange er schon in Deutschland sei, kommt wie aus der Pistole geschossen: "Ein Jahr und zwei Wochen." Ihm gefällt es in Deutschland, er liebt Sport und Mathe. "Und ich bin Klassensprecher", berichtet er stolz. Freunde hat der Viertklässler schon viele an der Schule gefunden. "Klar gibt es ab und an Konflikte, manche Kinder werden geärgert", berichtet Dorn. Dann sprechen die Lehrer mit den Kindern und bitten sie, sich vorzustellen, wie es ist, plötzlich in einem fremden Land zu leben. Toleranz und Verständnis für Kinder anderer Herkunft wollen Karla Dorn und ihre Lehrer den Schülern vermitteln: "Wir gehen immer ohne Vorurteile heran, das hat sich als gut erwiesen."