Mädchen und Jungen besuchen Vorbereitungsklassen / Elterngespräche über Pflichten
Von Christiane Raatz
Heidenau. Eifrig sind die Köpfe über die Blätter gebeugt, werden
Schulranzen, Tische und Stifte auf dem Papier ausgemalt. Laut und
deutlich spricht Lehrerin Jana Lubonski die Worte vor, hält kleine bunte
Kärtchen in die Luft. Im Chor sprechen die Kinder nach, schauen sich an
und kichern. Die deutschen Worte klingen noch ungewohnt. In der
Vorbereitungsklasse an der Astrid-Lindgren-Grundschule in Heidenau
(Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) werden ausländische Kinder
fit für die Schule gemacht, darunter auch solche aus
Flüchtlingsfamilien. Sie sollen hier so gut Deutsch lernen, dass sie
bald dem regulären Unterricht folgen können.
Ein spezieller Plan für jedes Kind
An einem Tisch sitzen Kinder aus den Klassen zwei bis vier, sie
sprechen schon ein paar Worte Deutsch. Am Nachbartisch haben sich die
Kleinen versammelt. Auf die Frage, was sie in der Schule am liebsten
mag, zeigt die sechsjährige Bianka aus Albanien auf einen CD-Spieler.
"Das", sagt sie und dreht verlegen an ihren Zöpfen. "Musik hören",
erklärt Jana Lubonski, die die Zeichen ihrer Schützlinge gut deuten
kann. "Wir verständigen uns viel mit Händen, Füßen und Pantomime." Die
Lehrerin schaltet das Gerät ein, und ein fröhliches Guten-Morgen-Lied
ertönt. "Das haben wir alle am liebsten", sagt Lubonski. Manche Kinder
sind hier, weil die Eltern in Deutschland eine Arbeit gefunden haben -
auch solche aus EU-Staaten. Andere sind vor Krieg geflüchtet, vor Armut
und Elend.
Die Jüngsten sind erst seit zwei Wochen Schulkinder. "Da waren die
Sprachkenntnisse gleich null", sagt Schulleiterin Karla Dorn. Zwei
Vorbereitungsklassen mit 19 und 17 Kindern gibt es an der Grundschule,
zwei Lehrerinnen unterrichten Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Gelernt
wird in Gruppen je nach Entwicklung und Klassenstufe. "Alle haben ihren
speziellen Plan", berichtet Dorn. Die Kinder kommen unter anderem aus
Albanien, Syrien, Serbien, Polen, Griechenland oder dem Irak, auch Sinti
und Roma sind darunter.
Die Schule als geschützter Raum
Vor knapp drei Wochen machte Heidenau bundesweit Schlagzeilen, als
rechte Krawallmacher vor einer Flüchtlingsunterkunft Polizisten
attackierten. Gerade einmal eine Viertelstunde zu Fuß entfernt ist der
ehemalige Baumarkt, der nun als provisorische Unterkunft für
Asylbewerber dient. Mittlerweile ist es ruhig geworden, allerdings
wächst bei den Bewohnern der Unmut über ihre Unterbringung und die
medizinische Versorgung. Die Ausschreitungen wurden mit den Schülern
nicht thematisiert. Dorn sieht ihre Schule als einen geschützten Raum,
"wo die Kinder lernen und spielen". Die Heidenauer Schule ist eine von
200 in Sachsen, an denen es insgesamt 290 Vorbereitungsklassen gibt.
Damit gibt es an etwa jeder siebten Schule eine solche Klasse. Der
Bedarf steigt, zusätzliche DaZ-Lehrer wurden bereits eingestellt. Das
sächsische Kultusministerium geht davon aus, dass die Zahl der
Flüchtlingskinder in den Vorbereitungsklassen in diesem Jahr auf mehr
als 5000 klettert. "Die Herausforderung wird mit jedem Tag größer.
Zunehmend stoßen wir dabei an räumliche und personelle Grenzen",
berichtet ein Ministeriumssprecher.
Auch an der Heidenauer Astrid-Lindgren-Grundschule spricht die Leiterin
Dorn von einer Herausforderung. Zwar hätten immer schon ausländische
Kinder hier gelernt, darunter viele Russland-Deutsche. Aber: "Die
Herausforderung ist die Vielzahl der Kinder. Jetzt hat sich die
Gesamtzahl verdreifacht." Insgesamt 60 DaZ-Kinder lernen zur Zeit in
Heidenau. Mehr Lehrer und Schulen müssten ins Boot geholt werden, sagt
Dorn, die ihre Schule am Ende der Kapazitäten sieht.
Und dennoch: Jemanden abzuweisen, fällt ihr schwer. Vor der Tür zum
Lehrerzimmer sitzt eine syrische Familie mit drei Kindern, die auf
Aufnahme hofft. Weil es zwischen Heidenau und Pirna (Landkreis
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) nur noch eine weitere
Vorbereitungsklasse gibt, nehmen die Eltern mit ihren Kindern zum Teil
lange Schulwege auf sich. "Eine Mutter läuft jeden Morgen ganz früh in
Dohna los, um ihre Kinder zu bringen", berichtet Dorn. Das ist immerhin
ein Fußmarsch von rund drei Kilometern.
Der Unterricht nähert sich dem Ende, die Kinder werden lauter, zappeln
auf ihren Stühlen hin und her. Jana Lubonski erklärt geduldig,
wiederholt, zeigt und malt. "Unsere Lehrer sind sensibilisiert, haben
viel Erfahrung", sagt Dorn. Dass die Kleinen aus ganz verschiedenen
Kulturen und Milieus kommen, bereitet den Kindern selbst kaum Probleme.
Sie spielen und toben miteinander, auch wenn sie nicht immer die gleiche
Sprache sprechen. "Dennoch merkt man schon, dass der kulturelle
Hintergrund ein anderer ist", so Dorn. Viele müssten sich erst an das
deutsche Schulsystem gewöhnen, an die Hausaufgaben und die
Pünktlichkeit. Einige Kinder hätten zuvor noch nie eine Schule besucht.
"Wir haben auch Gespräche mit den Eltern, um ihnen bewusst zu machen:
Wenn sie hier leben wollen, und wenn die Kinder hier lernen sollen,
gehören zum Beispiel Hausaufgaben auch dazu."
Die erste Etappe in der Vorbereitungsklasse dauert etwa sechs bis acht
Wochen, dann nehmen die Kinder nach und nach am regulären Unterricht
teil. Zunächst stehen Musik und Sport auf dem Stundenplan, dann kommen
andere Fächer hinzu. In den Klassen achtet die Schulleiterin auf
"gesunde Mischungsverhältnisse". Das heißt: In der Regel stammen in
einer Klasse mit maximal 30 Schülern nicht mehr als sechs Kinder aus dem
Ausland. Dorn ist überzeugt davon, dass alle voneinander lernen können.
Als Beispiel nennt sie den elf Jahre alten Yazan aus Syrien, der nahezu
fließend Deutsch spricht. Die Antwort auf die Frage, wie lange er schon
in Deutschland sei, kommt wie aus der Pistole geschossen: "Ein Jahr und
zwei Wochen." Ihm gefällt es in Deutschland, er liebt Sport und Mathe.
"Und ich bin Klassensprecher", berichtet er stolz. Freunde hat der
Viertklässler schon viele an der Schule gefunden. "Klar gibt es ab und
an Konflikte, manche Kinder werden geärgert", berichtet Dorn. Dann
sprechen die Lehrer mit den Kindern und bitten sie, sich vorzustellen,
wie es ist, plötzlich in einem fremden Land zu leben. Toleranz und
Verständnis für Kinder anderer Herkunft wollen Karla Dorn und ihre
Lehrer den Schülern vermitteln: "Wir gehen immer ohne Vorurteile heran,
das hat sich als gut erwiesen."