Seehofer attackiert Merkel: Zusage an Syrer war ein Fehler / Kritik auch aus SPD-Lager
Von Kristina Dunz
Berlin. International wird Kanzlerin Angela Merkel für ihre Offenheit gegenüber syrischen Flüchtlingen gelobt, es ertönt Beifall, wenn sie Asylunterkünfte besucht. Doch aus den Bundesländern ertönt Kritik, und das immer heftiger. Am weitesten hat sich jetzt der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer vorgewagt.
Der Regierungschef aus München äußerte sich zu der Entscheidung der
Bundesregierung, die in Ungarn ankommenden syrischen Flüchtlinge ohne
dortige Registrierung, wie es laut Dublin-Abkommen erforderlich wäre,
nach Deutschland zu lassen. "Das war ein Fehler, der uns noch lange
beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf
die Flasche zu kriegen", erklärte Seehofer dem "Spiegel". Wegen der
Masse an Flüchtlingen, die nun nach Deutschland wollten, sieht der
CSU-Vorsitzende erhebliche Schwierigkeiten: "Wir kommen bald in eine
nicht mehr zu beherrschende Notlage." Nicht nur seine Kritik an Merkel
sorgt für Aufsehen, Seehofer ging auch einen Schritt, der international
Aufmerksamkeit erzeugen dürfte: Er lud den umstrittenen ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban zur nächsten Klausurtagung der
bayerischen CSU-Landtagsfraktion ein. Das ist ein diplomatischer
Affront: Orban gilt derzeit als größter Gegenspieler des
EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und als Symbolfigur einer
Politik der Abschottung.
In Berlin reagierte eine Regierungssprecherin gelassen auf die
Seehofer-Kritik: Alle Parteichefs der Koalition hätten den Kurs Merkels
in der Flüchtlingsfrage einmütig abgesegnet.
Aber Seehofer ist es nicht allein, der mit Merkels Offenheit gegenüber
den Flüchtlingen hadert. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin
Malu Dreyer (SPD) ging zwar nicht so weit, Merkels Politik offen
abzulehnen, doch sie übte Kritik an den Verfahren, da ja die
Bundesländer für die Aufnahme der Flüchtlinge verantwortlich sind. "Die
Kanzlerin hat damals aus humanitären Gründen richtig gehandelt", sagte
Dreyer, "allerdings müssen wir daraus lernen, dass solche Zusagen nicht
gehen ohne eine klare Verabredung mit den Ländern, die letztlich die
Flüchtlinge aufnehmen."
Bei einer Schaltkonferenz der Innenministerien von Bund und Ländern am
Donnerstag ist deutlich geworden, wie überfordert einige Länder mit der
gegenwärtigen Situation sind. Laut "Spiegel" haben sieben der 16
Bundesländer erklärt, keine freien Betten für neue Flüchtlinge mehr zu
haben - so Baden-Württemberg, Hessen und das von Dreyer regierte
Rheinland-Pfalz.
Seit Freitag vergangener Woche sind rund 50000 Flüchtlinge in mehr als
500 Zügen nach Deutschland eingereist, wie die Bahn mitteilte.
Bundespräsident Joachim Gauck rief gestern dazu auf, die Zuwanderer
"unbürokratisch" aufzunehmen. Die erfolgreiche Bewältigung der Aufgabe,
Flüchtlinge aufzunehmen, sei das beste Mittel gegen fremdenfeindliche
Stimmungen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat
für dieses Wochenende 4000 Soldaten in "Rufbereitschaft" versetzt,
damit sie die Behörden bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützen
können. Die Soldaten sollten "im Notfall anpacken können", sagte die
Ministerin.
Während man in Deutschland in diesem Jahr mit rund 800000 Flüchtlingen
rechnet, womöglich gar mehr, wollen die USA rund 10000 syrische
Flüchtlinge aufnehmen. Allerdings wird in Amerika eine strenge Prüfung
vorgeschaltet: Bis zu 18 Monate lang sollen sie vorher vom
"Terrorismus-Screening-Center" des FBI unter die Lupe genommen werden.