Meinungsbeitrag von Michael Fuchs, Fraktionsvize und Wirtschaftsexperte der CDU/CSU im Bundestag
Von Michael Fuchs
In einem Jahr 800000 Flüchtlinge: Das ist eine erhebliche
Herausforderung für Deutschland. Die Aufgabe macht auch vor der
Wirtschaftspolitik nicht halt. Zahlreiche Vorschläge machen die Runde,
vom "Dauerbrenner" Einwanderungsgesetz bis zu Arbeitsvisa für
Balkanflüchtlinge. Umso wichtiger ist es zu unterscheiden: Was sind im
Moment die eigentlichen Prioritäten? Und welche Vorschläge gehen eher in
die falsche Richtung?
Vorrangig geht es bei der Bewältigung der akuten Flüchtlingswelle um
humanitäre Gebote. Wirtschaftliche Erwägungen sind im Asylverfahren zu
Recht tabu. Maßstab ist allein, den politisch Verfolgten, von denen
viele schreckliche Erfahrungen gemacht haben, schnell und unbürokratisch
zu helfen.
Klar ist auch: Wir können die Flüchtlingswelle nur dann erfolgreich
bewältigen, wenn wir unsere Unterstützung gezielt denjenigen zukommen
lassen, die tatsächlich politisch verfolgt werden. Das ist bei den
allermeisten Flüchtlingen vom Westbalkan nicht der Fall, mögen deren
Motive auch individuell nachvollziehbar sein. Hier müssen sich
wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Aspekte einer stringenten
Asylpolitik und konsequenten Abschiebepraxis unterordnen - zumal nichts
dafür spricht, dass der Zustrom der Flüchtlinge kurzfristig abebbt. Wer
meint, mit dem Jahreswechsel sei das Thema erledigt, der irrt. Daher
halte ich nichts von SPD-Vorschlägen einer verstärkten Ausgabe von
Arbeitsvisa für Menschen aus dem Westbalkan oder einer kontingentierten
Aufhebung der Vorrangprüfung in diesen Fällen. Das sind
missverständliche Signale, die den Zuwanderungsdruck nur erhöhen, ohne
den wirklich Verfolgten zu helfen. Die aktuellen Herausforderungen
werden dadurch nur größer. Und die richtige Idee einer gesteuerten
Zuwanderung nach Deutschland nach klaren Spielregeln wird infrage
gestellt.
Spielt der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt also überhaupt keine Rolle
im Kontext der aktuellen Flüchtlingswelle? Doch. Allerdings nur bezogen
auf diejenigen, die ohnehin eine relevante Aufenthaltsperspektive bei
uns haben. Viele politisch Verfolgte werden für viele Jahre bei uns
bleiben. Viele sind jung und haben entscheidende Jahre der persönlichen
Entwicklung vor sich. Und nicht wenige können einen relevanten Beitrag
leisten, der unserer Wirtschaft und unserem Land zugute kommt. Zentrale
Voraussetzung ist, dass sie rasch und ihren Fähigkeiten entsprechend bei
uns arbeiten können. Was ist konkret zu tun? Wir müssen uns genau
anschauen, ob wir die Rahmenbedingungen für die Ausbildung junger
Flüchtlinge weiter verbessern können. Ein Viertel der Asylbewerber im
letzten Jahr war zwischen 16 und 25 Jahre alt. Um hier die Betriebe noch
besser ins Boot zu holen, müssen wir über praxistauglichere Regeln für
Unternehmen nachdenken. Alle Auszubildenden sollten jedenfalls für zwei
Jahre nach Abschluss der Ausbildung über eine gesicherte
Aufenthaltsperspektive verfügen.
Auf einem ganz anderen Blatt als die aktuelle Flüchtlingshilfe steht die
Diskussion um die gesteuerte Zuwanderung. Die Bewältigung der
Flüchtlingsherausforderung macht eine fundierte Diskussion um die
Zukunft gesteuerter Zuwanderung weder entbehrlich noch unmöglich. Auf
die richtigen Koordinaten kommt es an. Hierzu zählt für mich, dass
Zuwanderung kein Selbstzweck, sondern nach Maßgabe unseres deutschen
Interesses geboten ist. Hierzu gehören auch wirtschaftliche Belange wie
das Interesse an der Fachkräftesicherung. Allerdings hat Zuwanderung
eine zu große Tragweite für unsere Gesellschaft, als dass
volkswirtschaftliche Opportunitäten allein der Maßstab sein könnten.
Denn es geht in der Perspektive um ein staatsbürgerliches, nicht nur um
ein wirtschaftliches Miteinander.
Noch intensiver als bisher sollten wir uns um junge Leute und Fachkräfte
aus EU-Mitgliedsstaaten bemühen, insbesondere aus solchen mit hoher
Jugendarbeitslosigkeit. Das schafft individuelle
Entwicklungsperspektiven und stärkt das Zusammenwachsen. Allein aus
EU-Staaten werden wir unseren Fachkräftebedarf langfristig nicht decken
können. Auch bei der Zuwanderung aus Drittstaaten müssen wir noch besser
werden, trotz erheblicher Fortschritte. Zum Beispiel sollten wir
niedrigere und vor allem weniger "krumme" Gehaltsgrenzen ansetzen. Die
derzeit geltenden 48400 Euro Jahresgehalt machen das Erklären der
deutschen Regeln nicht einfacher. Und das ist mindestens so wichtig wie
der Inhalt der Regeln selbst. Auch über eine Ausweitung der Positivliste
mit Mangelberufen, bei denen eine Vorrangprüfung entbehrlich ist,
sollte man reden. Gleiches gilt für mehr Flexibilität bei der
Anerkennung ausländischer Abschlüsse.
Alles in allem geht es um eine evolutionäre Entwicklung des
Zuwanderungsrechts, nicht um einen revolutionären Systemwechsel. Manches
haben die aktuelle Flüchtlingsherausforderung und die längerfristige
Zuwanderungsdiskussion gemeinsam. Die Themen verlangen einen besonders
verantwortungsvollen Umgang. Holzschnittartige Forderungen helfen in der
Sache nur begrenzt weiter. Vor allem: Nur wenn wir die akute
Flüchtlingswelle erfolgreich managen, sichern wir der richtigen Idee
einer langfristigen gesteuerten Zuwanderung in unserem Interesse
dauerhaft die erforderliche Akzeptanz.