Sitzstreik im Hauptbahnhof: Flüchtlinge stranden in Lübeck

Sitzstreik im Lübecker Hauptbahnhof
Erstveröffentlicht: 
09.09.2015

Polizei stoppt Zug mit Migranten. Flüchtlinge demonstrieren für Weiterreise nach Skandinavien. Erstaufnahmeeinrichtungen in Lübeck, Oldenburg und Segeberg geplant.

 

Die Bundespolizei hat in der Hansestadt einen Zug mit 230 Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und dem Irak gestoppt – der erste, der Lübeck erreicht hat. Er traf gestern um kurz nach 8 Uhr ein und sollte eigentlich nach Kopenhagen weiterfahren. „Der Einsatz entwickelte sich für uns relativ spontan“, sagte Matthias Glamann, Sprecher des Landespolizeiamtes in Kiel. Auf dem Bahnsteig demonstrierten die Flüchtlinge stundenlang mit Plakaten und „We want Sweden“-Rufen für eine Weiterfahrt nach Skandinavien. In Schweden leben Angehörige vieler der Flüchtlinge.

 

Die Polizei sperrte die betroffenen Bahnsteige, ließ die Flüchtlinge ansonsten aber gewähren. „Diese Menschen haben unglaubliche Erlebnisse, Gewalt und Leiden hinter sich“, sagte der Leitende Polizeiführer Joachim Gutt. „Daher habe ich die Entscheidung getroffen, dass Polizeibeamte keine Gewalt gegen Flüchtlinge anwenden.“ Lediglich 30 Personen ließen sich freiwillig in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Neumünster bringen. Die Bahnhofsmission und das Rote Kreuz stellen Getränke und Essen bereit, doch die 200 Flüchtlinge wollten das Angebot nicht annehmen. Erst um 13.30 Uhr entspannte sich die Lage, als 70 Personen mit dem Zug nach Oldenburg weiterfuhren. Von dort sollte es in die Kaserne nach Putlos gehen, doch sie demonstrierten erneut auf dem Bahnhof und durften nachmittags selbständig weiterreisen.

 

Der Einsatz stellte die Polizei vor ein Dilemma. Gutt: „Eigentlich wollen wir allen eine freie Reise ermöglichen.“ Dänemark hatte jedoch die Durchreise verweigert. Laut Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) soll es zwar ein Telefonat zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem dänischen Ministerpräsidenten gegeben haben, aber ergebnislos. Letztlich entschied Polizeiführer Gutt „ohne politischen Einfluss“, allen 130 Flüchtlingen von Lübeck aus die Weiterreise mit dem abendlichen Kopenhagen-ICE zu gewähren. Der verzögerte sich jedoch um 45 Minuten, weil in Hamburg erneut 100 Flüchtlinge an Bord gingen.

 

Auch andere Städte im Norden bekamen es gestern mit Hunderten neuen Flüchtlingen zu tun. Am Flensburger Hauptbahnhof griff die Polizei 127 Personen auf, vor allem Syrer, Afghanen und Iraker. In Neumünster traf ein Zug mit rund 370 Flüchtlingen aus Salzburg ein. Nach Angaben des Innenministeriums wurden die nach einer langen Odyssee über Ungarn angekommenen Menschen auf Erstaufnahmeeinrichtungen in Rendsburg (200 Flüchtlinge) und Neumünster (170 Flüchtlinge) verteilt. „Es war ein beeindruckender Einsatz für die gesamte Polizei“, so Polizist Gutt. Bereits am Montag waren 400 Flüchtlinge mit dem Zug aus Bayern in Neumünster eingetroffen.

 

Um den vielen Flüchtlinge schnell eine Unterkunft zu bieten, plant das Land drei neue Erstaufnahmeeinrichtungen. In Putlos (Kreis Ostholstein) entstehen 800 Plätze, in Lübeck kommt ein Containerdorf für 400 Menschen auf den Volksfestplatz. Ebenfalls in Containern sollen nach LN-Informationen 800 Flüchtlinge in Bad Segeberg untergebracht werden. Der Standort: die ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaserne.