Ein Mann verteilt Bonbons an Kinder, Menschen halten Schilder mit „Willkommen“ in die Höhe, singen und winken. Hunderten Flüchtlingen in einem Sonderzug aus Ungarn ist im thüringischen Saalfeld ein herzlicher Empfang bereitet worden - auch das ist Ostdeutschland.
Saalfeld . Die Strapazen der langen Reise sind den Flüchtlingen anzusehen. Viele blicken erschöpft drein, ein Baby weint. Andere sind sichtlich erleichtert und lachen, als sie in Saalfeld aus dem Sonderzug steigen. „Wir sind jetzt sehr müde. Danke Deutschland“, sagt ein Syrer, der seit mehr als einem Monat mit Frau und drei Kindern auf der Flucht ist. Zuletzt hatten sie sich in Ungarn durchkämpfen müssen.
Vor dem Bahnhof herrscht Freudentaumel. Mehr als 200 Menschen singen dort auf Englisch „Flüchtlinge sind hier willkommen“, klatschen und winken. Helfer reichen den Männern, Frauen und Kindern Beutel mit Broten, Spielzeug, Süßigkeiten, Obst und Joghurt. Schubweise steigen die Neuankömmlinge in Busse. Es regnet.
Um 20.49 Uhr fährt der Zug auf Gleis 2 des Saalfelder Bahnhofs ein. Dort wartet Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, begleitet von Polizei, Helfern, Kameras und Journalisten. Der Linken-Politiker hält ein kleines Spielzeugauto in der Hand. Er winkt den Flüchtlingen zu. Wenig später begrüßt er sie durch ein Megafon auf Arabisch. „Ihr seid in Thüringen herzlich willkommen.“ Die Flüchtlinge applaudieren. Nun werde ihnen geholfen, erst einmal Ruhe zu finden. Einer fragt, wo er seinen Fingerabdruck abgeben kann. Und der junge Dolmetscher flüstert Ramelow zu: „Manche sagen, sie wollen gar nicht hier bleiben.“ Schweden sei ihr eigentliches Ziel.
Ein 21-jähriger Syrer ist mit Freunden gekommen. Sie haben sich gegen die Kälte in Decken gehüllt. „Jetzt sind wir sicher“, sagt er lächelnd und zündet sich eine Zigarette an. „Wir sind so froh, hier zu sein.“ Bestimmten die Bilder des rechten Mobs im sächsischen Heidenau in den vergangenen Wochen Schlagzeilen über Fremdenfeindlichkeit im Osten, so zeigt die 25.000-Einwohner-Stadt Saalfeld ein anderes, ein freundliches Gesicht. Zwar mischen sich nach Polizeiangaben auch Angehörige der rechten Szene unter die Menschen am Bahnhof, doch bleiben sie am Samstagabend in der Minderheit. Mindestens 43 Platzverweise verhängt die Polizei, weil sich vier Betroffene nicht daran halten, werden sie in Gewahrsam genommen.
Erst am Samstagvormittag war bekanntgeworden, dass ein Sonderzug auf dem Weg nach Thüringen ist. Zunächst ist von 500 Menschen die Rede, später spricht die Bundespolizei von 569, davon 21 Kinder unter zwei Jahren. Am Ende werden sogar etwa 680 Männer, Frauen und Kinder aussteigen. Binnen weniger Stunden tragen am Samstag Dutzende Helfer Lebensmittel, Süßigkeiten, Spielzeug, Hygieneartikel, aber auch Zigaretten zusammen und bringen diese nach Saalfeld. Im Büro der Linken-Abgeordneten Katharina König werden im Akkord Brote geschmiert und Willkommenspakete für die Flüchtlinge gepackt. „Ich könnte weinen vor Freude“, zeigt sich Ramelow überwältigt von der Hilfsbereitschaft. Noch vor Jahren hätten Rechtsextreme versucht, die Stadt „mit erhobenem Arm“ zu kontrollieren. „Hier zeigt sich, dass dieses Land ein anderes ist als das der braunen Schreihälse.“
Die Flüchtlinge werden zunächst per Bus in eine Turnhalle gebracht, um sie zu registrieren. Danach bringen sie Busse in den frühen Morgenstunden nach Dresden, Halberstadt in Sachsen-Anhalt sowie in eine kurzerhand mit Feldbetten und mobilen Toiletten hergerichtete Industriehalle in einem Gewerbegebiet in Hermsdorf. Einen Tag nach der Ankunft geht es in der Halle ruhig zu. Viele Flüchtlinge schlafen nach der kurzen Nacht auf ihren Betten. Mit Bauzäunen und Planen haben die Helfer versucht, zumindest etwas Privatsphäre zu schaffen. Weil es kalt geworden ist, wird die Halle vom Technischen Hilfswerk beheizt. Eine Frau vom Deutschen Roten Kreuz serviert Suppe, Kinder spielen. Es werde versucht, noch ein W-Lan einzurichten, erläutert der Chef des Landesverwaltungsamtes, Frank Roßner. Die Halle sei nur ein Notquartier, betont er. Die Männer, Frauen und Kinder sollen so schnell wie möglich auf die regulären Erstaufnahmeheime des Landes verteilt werden.
Andreas Hummel