Alte Messe, Schulen, Containerdorf: Leipzig plant 20 neue Asyl-Standorte

Erstveröffentlicht: 
03.09.2015

Zahl der Plätze für Flüchtlinge steigt von 1800 auf über 5000 / Stadt rechnet mit Defizit im Haushalt

 

Von Evelyn ter Vehn, Robert Nössler und Mathias Orbeck


Leipzig. Die Stadt Leipzig reagiert auf den anhaltenden Flüchtlingsstrom: In den kommenden beiden Jahren werden in der Messestadt 20 neue Gemeinschaftswohnquartiere für Asylbewerber eröffnet. Allein neun sollen noch in diesem Jahr bereit stehen, erklärte Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) gestern im Neuen Rathaus. Die Kommune reagiere mit dieser Überarbeitung des bestehenden Unterbringungskonzeptes auf die enorm gestiegene Zahl von Flüchtlingen, die in Leipzig untergebracht werden müssen. Aktuelle Prognosen gehen von 5400 Menschen für das gesamte Jahr 2015 aus.


Neben Umbauten bestehender Gebäude im ganzen Stadtgebiet, wie beispielsweise in Teilen der zum St. Georg gehörenden Robert-Koch-Klinik, der Pablo-Neruda-Schule oder der Messehalle 13 (Alte Messe), sollen auch große Containerdörfer auf der Alten Messe, an der Prager Straße und auf der Agra entstehen. An der Arno-Nitzsche-Straße 36 will die Stadt für 350 Personen einen komplett neuen Wohnkomplex bauen - inklusive Park- und Sportanlagen. Bis zum Jahr 2017 soll sich die Kapazität der permanenten Leipziger Flüchtlingsunterkünfte so auf mehr als 5000 erhöhen - aktuell liegt sie bei etwa 1800.


Doch auch das könnte noch nicht reichen. "Die jetzigen Pläne sind nur eine aktuelle Lageeinschätzung", so Fabian. Weitere 35 Standorte in Leipzig würden derzeit geprüft. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die benötigten Plätze rechtzeitig bereit zu stellen", sagte der Sozialdemokrat. Die Flüchtlinge sollen sich in Leipzig willkommen fühlen, wofür zunächst ein Dach über dem Kopf nötig sei. "Wir wollen sie auf dem Weg in unsere Stadtgesellschaft unterstützen. Dafür benötigen wir die Mitwirkung aller - Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft."


Wie Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst erklärte, bereite sich die Stadt Leipzig auch auf weitere Notfalllösungen vor - beispielsweise wenn der Freistaat nicht mehr selbst in der Lage sei, Platz für Erstunterkünfte zu finden. Diese Pläne sehen dann auch Unterbringungen in Turnhallen und in Zeltstädten vor. "Ich hoffe aber, dass wir diese Notfallpläne in der Schublade lassen können", sagte Kador-Probst. Das Aufbauen von hunderten Liegen nebeneinander wollen wir definitiv vermeiden."


Insgesamt werden die Bau- und Unterbringungskosten voraussichtlich in zweistelliger, wenn nicht sogar in dreistelliger Millionenhöhe liegen. "Genaue Angaben darüber zu machen, wäre zu diesem Zeitpunkt aber unseriös", sagte Fabian. Grundsätzlich werde die Stadt Leipzig von Freistaat und Bund eine komplette Kostenübernahme einfordern. Weil angesichts der aktuellen Lage nicht abgewartet werden kann, bis die Gelder letztlich auch fließen, müsse die Kommune aber in Vorleistung gehen. In den kommenden Jahren werde der Stadthaushalt deshalb mit einem beträchtlichen Defizit auskommen müssen, so Fabian weiter. Im aktuellen Haushaltsplan war die Kommune von nur 1500 neuen Flüchtlingen für 2015 ausgegangen und hatte für Ausbau und Betreuung 33 Millionen Euro eingeplant.


 

 

Asylheime - das sind die 20 neuen Standorte

 

Die Stadt plant für den Notfall auch mit Turnhallen und Zelten - was sie für die Unterbringung zahlen muss, steht noch nicht fest

 

Von MATHIas Orbeck


"Dezentral statt voller Saal" steht an einem Spruchband nahe der HTWK-Sporthalle Arno-Nitsche-Straße. Die Flüchtlinge sind seit gestern weg. Die Landesdirektion hat sie ins Erstaufnahmelager in die Friederikenstraße 37 verlegt. Große Hallen als Flüchtlingsdomizil will die Stadt Leipzig, der viele Flüchtlinge zugewiesen werden, möglichst vermeiden. Sie hält an ihrem Konzept fest, Asylbewerber rasch in Wohnungen unterzubringen. Trotz der gigantischen Aufgabe, ausreichend Unterkünfte bereitzustellen. Die Prognosen der Landesdirektion, wie viele Flüchtlinge kommen, ändern sich ständig. 5404 Asylbewerber muss Leipzig in diesem Jahr aufnehmen - 2701 waren bislang avisiert. Derzeit gibt es in den bestehenden Einrichtungen 1875 Plätze. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die benötigten Plätze rechtzeitig bereitzustellen", sagt Thomas Fabian (SPD). Der Sozialbürgermeister stellte gestern ein überarbeitetes Konzept vor. Demnach sollen bis Jahresende noch neun Objekte in Betrieb genommen werden, weitere zehn werden für 2016 vorbereitet - darunter die ehemalige Messehalle 13, ein Containerdorf auf der Alten Messe sowie auf der Agra.


Was passiert als nächstes?

 
Die Stadt will bis Jahresende knapp 1000 zusätzliche Plätze schaffen. Noch im September sollen ehemalige Schulhäuser (3. Grundschule/Pablo Neruda) bezugsfertig sein. Die werden als Interim genutzt, ab Herbst 2016/Frühjahr 2017 beginnen Ausbauarbeiten als Schule. Ein Verwaltungsgebäude in der Rosenowstraße 26 soll bis Oktober nutzbar sein, bis November Häuser der Robert-Koch-Klinik in Grünau. Ab Dezember stehen neben dem Schulgebäude Zweenfurther Straße auch Wohnhäuser (Blücherstraße 44/46, Gustav-Mahler-Straße 21) sowie das Altenpflegeheim Waldstraße 74-80 für Flüchtlinge offen. Die alten Menschen, die derzeit darin leben, ziehen im November ohnehin in den Neubau Goyastraße.


Was ist für 2016 geplant?

 
Die ehemalige Messehalle 13 soll allein 500 Menschen beherbergen. "Bett an Bett wird dort aber nicht stehen. Wir sorgen dafür, dass dort Bereiche abgetrennt werden", so Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst. Container- und Modulbaustätten entstehen zudem auf der Alten Messe, am sogenannten Prager Dreieck (Prager-, K. Siegesmund- und P.-Rosenthal-Straße) und auf der Agra. Das Areal Prager Dreieck sei groß genug, um es perspektivisch auch für die geplante Schule zu nutzen. Die ehemaligen Kitas Deiwitzweg 1 sowie Liliensteinstraße 1 werden umgenutzt, ebenso das Verwaltungsgebäude Friesenstraße 8. Darüber hinaus werden derzeit 35 weitere Standorte geprüft. Fabian: "Es gibt auch Verhandlungen mit privaten Vermietern. Darüber kann ich aber erst informieren, wenn die Verträge unterschrieben sind." Hinzu kommt: Die Sanierung des Objektes Torgauer Straße, die nach Hauseingängen erfolgt, wird beschleunigt. 500 Plätze sind dort geplant. Um gleich die volle Kapazität auszuschöpfen, werden Container aufgestellt.


Was entsteht 2017?

 
Ein neuer Gebäudekomplex samt Park und Sportplatz an der Arno-Nitzsche-Straße 36 - möglichst kleinteilig, um auch verschiedene Nationalitäten unterbringen zu können.


Was wird mit den dezentralen Unterkünften?

 
Die Stadt hält daran fest, mietet auch weitere Wohnungen an. Ziel sei es, die Geflüchteten nach maximal einem halben Jahr im eigenen Wohnraum unterzubringen. Derzeit leben 1276 Asyl­bewerber in einer eigenen Wohnung, davon 776 mit eigenem Mietvertrag, weitere 500 in sogenannten Gewährleistungswohnungen.


Was ist, wenn das alles nicht aus- reicht?

 
"Für den Notfall gibt es Pläne, vorübergehend Turnhallen zu nutzen. Außerdem bereiten wir geeignete Standorte vor, um Zelte aufstellen zu können", sagt Fabian. "Das wollen wir aber möglichst ver­meiden."


Was kostet die Flüchtlingsunterbringung die Stadt?

 
"Genaue Angaben wären zu diesem Zeitpunkt unseriös", betont Fabian. Die Stadt fordere von Freistaat und Bund, die Kosten komplett zu übernehmen. Allerdings könne Leipzig nicht warten, bis das alles geregelt sei und müsse daher in Vorleistung gehen. Erwartet wird ein Defizit im Etat 2015/16. Mit der Landesdirektion soll aber geklärt werden, dass die Asylkosten extra gerechnet werden. Dabei geht es nicht nur um Investitionen, sondern auch um zusätzliches Personal in verschiedenen Ämtern. Laut Sozialamtsleiterin Kador-Probst sind derzeit 33 Millionen Euro im Etat eingeplant - da ist die Stadt aber noch von maximal 1500 neuen Flüchtlingen ausgegangen.


Wie sieht das bürgerschaftliche Engagement aus?

 
"Es gibt deutlich mehr Hilfswillige als Flüchtlinge", sagt Sonja Brogatio vom Flüchtlingsrat. Handwerklich begabte Freiwillige stehen beispielsweise bereit, um Wohnungen herzurichten.