"Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber..."

Erstveröffentlicht: 
02.09.2015

Heidenau ist wegen rechter Krawalle deutschlandweit bekannt / Schlägerei in der Notunterkunft

 

Von Nils Bastek


Heidenau. In Heidenau steht ein Hotel, das Reichskrone heißt. Der Altbau hat im Internet sehr gute Bewertungen, die Gäste schätzen Sauberkeit, Ordnung und die Nähe zur Elbe. Gegenüber vom Hotel steht ein Autohaus, daneben eine Schule. Die Welt ist in der sächsischen Kleinstadt zwar nicht sonderlich schön, aber sie war aus Sicht von Einwohnern und Urlaubern zumindest lange in Ordnung.


"Bis das Theater losging", sagt Sylvia Fritzsche, Vize-Geschäftsführerin des Hotels. Die 29-Jährige meint die Ausschreitungen rund um eine Flüchtlingsunterkunft vor etwas mehr als einer Woche. Mehr als 30 Polizisten wurden dabei verletzt. Flüchtlinge sollten in einen alten Baumarkt einziehen, rechte Krawallmacher wollten das verhindern. Nur unter massivem Polizeischutz konnten die Flüchtlinge einziehen. Mittlerweile wohnen knapp 600 in dem alten Baumarkt.


Hotelmanagerin Fritzsche kommt aus Heidenau. Dass ausgerechnet in dem von rechten Krawallen in die Schlagzeilen geratenen Ort ein Hotel mit dem Namen Reichskrone steht - Fritzsche seufzt. Der Name sei schon viel älter als das Dritte Reich, sagt sie. Das Hotel sei weit über 100 Jahre alt. Vor ein paar Tagen war Comedian Oliver Pocher im Ort. "Wo ist wohl das Pack?", fragt er in seinem Internet-Video. "Natürlich in der Rrreichskrrone." Fritzsche kann über die Szene nur kurz lachen. "Durch die ganze Geschichte mit den Ausschreitungen haben wir zahlreiche Stornos." Viele Menschen riefen an und fragten, ob alles sicher sei in dem 16000-Einwohner-Städtchen. "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber wir wurden ja nicht mal gefragt."


Wer in Heidenau über die Straßen geht, sieht nicht viele Menschen. Einige gehen im Supermarkt gegenüber der Flüchtlingsunterkunft einkaufen. An zwei nebeneinander platzierten Buden gibt es "echte Thüringer Rostbratwurst". Nur die Hauptstraße des Ortes trennt die Rostbratwurst von den Flüchtlingen. "Germany is so beautiful", sagt Mohammad Gomah. Deutschland ist so schön. Mohammad ist 19 Jahre alt und innerhalb von zwei Jahren aus seiner Heimatstadt Herat in Afghanistan nach Deutschland gelaufen. Mehr als 5000 Kilometer zu Fuß. Dass es in Heidenau viele Gegner der Unterkunft gibt, störe ihn nicht. Da wo Mohammad herkommt, gibt es schlimmere Dinge. "Germany is so beautiful."


In Heidenau sehen das viele mittlerweile anders. Nach der Wende haben sie ihren Ort zu dem aufgebaut, was er jetzt ist. Heidenau ist nicht schön, aber auch nicht hässlich. Es gibt einige Hotels, ein Freibad und ein Erlebnisrestaurant. Auf der Radrennbahn haben schon Weltklassesportler ihre Runden gedreht. Einer, der mitgeholfen hat, das aufzubauen, steht vor dem Vereinsheim des SSV Heidenau. Frank Müller (68) ist Präsident des größten Sportvereins der Stadt. Die Radrennbahn sei das Aushängeschild, sagt er. Nach der Wende habe alles in dem kleinen Ort brach gelegen. Heidenau sei "ein Moloch" gewesen. Es habe Jahre gedauert, bis die Stadt zu dem werden konnte, was sie nun sei. "Und innerhalb eines Tages ist der ganze Ruf im Eimer."


Mittlerweile ist Heidenau deutschlandweit bekannt. Nicht wegen der Radrennbahn. "Auf jeden Fall schämen wir uns für die Leute", sagt Müller über die rechten Krawallmacher. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) nannte sie "Pack". Als Müller gefragt wird, warum das "Pack" ausgerechnet in Heidenau vertreten ist, spricht er von seiner Zeit als Biologie-Lehrer. Man könne sich die Entwicklung der rechten Szene in seinem Ort wie ein Pilzgeflecht in der Erde vorstellen. "Das sieht keiner und es kann sich problemlos im Verborgenen ausbreiten." Deutlich sichtbar wurde es erstmals im Oktober 2014, als die Facebook-Gruppe "Heidenau-Hört-Zu" gegründet wurde. Damals gab es erstmals Gerüchte, dass Asylbewerber in der Stadt untergebracht werden sollen. Beiträge wie "Nein zum Heim" werden in der Gruppe geteilt.


Bei der Kommunalwahl am 24. Mai zog Rico Rentzsch (27) als einziger NPD-Kandidat in den Stadtrat ein. "Solchen Leuten", sagt Müller, "begegnet man hier im täglichen Leben nicht." Mit Blick auf die fast 600 Flüchtlinge sagt Müller aber auch: "Man braucht sich nicht wundern, dass die Leute Angst haben. Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber man kann die Grenze nicht abschätzen, wo es aufhört." Keiner weiß, was kommt. Aber fast alle haben Angst davor. Erst am Montagabend gab es in der Notunterkunft eine Schlägerei. Der Streit begann an der Essensausgabe, wo sich ein Inder (37) vordrängelte und dabei eine schwangere Syrerin (29) abdrängte. Als deren Ehemann ihr zur Seite stand, eskalierte die Situation. Die Polizei beendete die Auseinandersetzung, gegen sechs Tatverdächtige wird ermittelt.