Xavier Naidoo will kein Antisemit und kein Reichsbürger sein und zieht vor Gericht

Erstveröffentlicht: 
21.08.2015

Soso, Xavier Naidoo ist also kein Antisemit, er “lehnt nichts ab” und will auch “das System nicht stürzen”.

 

Meint er jedenfalls – und teilweise gibt ihm das Landgericht Mannheim recht.

 

Ein Gerichtstermin mit Naidoo und der antifaschistischen Amadeu Antonio Stiftung am 19. August endete mit einem Vergleich.

 

Naidoo hatte eine Einstweilige Verfügung gegen mehrere Passagen eines kritischen Artikels beantragt, der auf der Internetseite Netz gegen Nazis der Amadeu Antonio Stiftung erschienen war.

 

 

Xavier Naidoo: Telegramm für X oder wie bringe ich Reichsbürger-Inhalte ins Fernsehen”

 

schrieb der Autor und Blogger Ronald Sieber, Naidoo habe “laut seiner eigenen Rede” bei einem Auftritt vor “Reichsbürgern” dazu aufgerufen, das System zum Sturz zu bringen und eine neue Ordnung aufzubauen.

 

 

Screenshot von der Truther-YouTube-Version "TruTube": Video zu XavierNaidoos "Raus aus dem Reichstag)

 

Außerdem verwende er in seinem Song “Raus aus dem Reichstag” von 2009 “drei eindeutige antisemitische Sprachcodes”.

 

Siebers Tatsachenbehauptungen seien allerdings “im Kern falsch”, befand der Vorsitzende Richter Matthias Stojek nach einer Analyse von Videomitschnitten der Veranstaltung am 3. Oktober 2014 in Berlin.

 

Für die Textstellen um Systemsturz, Reichstagssturm und gemeinsame Sache mit den “Reichsbürgern” in Siebers Artikel gebe es nach Auffassung des Gerichts keine Belege, berichtet das Nachrichtenportal morgenweb.

 

Nun ja – in diesem Film von Naidoos Rede sind folgende Passagen deutlich zu hören:

 

Ich möchte auf jeden Fall, dass wir irgendwie miteinander Ordnung schaffen in diesem Land [...] Der 11. September 2001 war der Warnschuss. Wer das als Wahrheit hingenommen hat, was da erzählt wurde, hat einen Schleier vor den Augen [...]

 

Einer allein hat schon die Macht, das Ganze zum Sturz zu bringen. Und wenn wir uns vereinigen, wenn jetzt sogar ein paar Hundert hier sind, dann muss es uns doch auf jeden Fall gelingen.”

 

Was indes den Antisemitismus-Vorwurf angeht, konnten die Richter Siebers Argumentation durchaus nachvollziehen.
Sieber hatte geschrieben:

 

Wer solche Songzeilen wie Xavier Naidoo in seinem Album Alles kann besser werden verbreitet, dürfte ein Antisemit sein.”

 

Er bezog sich dabei vor allem auf die Passage:

 

Baron Totschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock st’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“

 

Dies als antisemitische Äußerung zu interpretieren, falle zweifelsfrei in den Bereich der Meinung, urteilten die Mannheimer Richter.

 

Sie räumten daher dem Autor und der gemeinnützigen Stiftung “im Kampf gegen aufflammenden Antisemitismus” gute Chancen ein, in einem Hauptsacheverfahren zu obsiegen. 

Zugleich jedoch setzte das Mannheimer Landgericht den Streitwert – und damit das Prozessrisiko – von 15 000 Euro auf 100 000 Euro hoch.

 

Schließlich einigten sich beide Parteien auf einen Vergleich.

 

In einer Stellungnahme der Amadeu Antonio Stiftung dazu heißt es:

 

In dem Vergleich erklärte sich die Stiftung zur Unterlassung verschiedener Äußerungen bereit.

 

Überdies wurde klargestellt, dass die Amadeu Antonio Stiftung nicht Xavier Naidoo persönlich als Antisemiten darstellen wollte, dass die Stiftung aber weiter die Auffassung vertritt, dass Zeilen aus Naidoos Liedtext „Raus aus dem Reichstag“ als antisemitisch interpretiert werden könnten [...]

 

Die Amadeu Antonio Stiftung hat dem Vergleich zugestimmt, weil wir keinen Wert auf eine langwierige juristische Auseinandersetzung mit Xavier Naidoo legen.

 

Es war unser Hauptanliegen, auf die unserer Meinung nach antisemitischen Anknüpfungspunkte in dem Text „Raus aus dem Reichstag“ hinzuweisen, deshalb sind wir zufrieden mit dieser Klarstellung.”

 

Und Naidoo?

 

Dem morgenweb sagte er am Rande des Gerichtstermins:

 

Ich will nur Diskussionen anstoßen.”

 

Aber wie kann jemand “Diskussionen anstoßen”, der nicht einmal rudimentär weiß, wovon er überhaupt redet?
Zu den Anschlägen vom 11. September etwa schwafelte Naidoo im Stern:

 

Die Achillesferse des Anschlags ist doch das 47-stöckige Bürogebäude neben den Türmen gewesen, genauer gesagt, Gebäude Nummer 7. Dieses Gebäude ist Stunden später eingestürzt. Das sah aus wie bei einer kontrollierten Sprengung. Daran gibt es nichts zu deuten. [...]

 

Es ist mir egal, was andere dazu sagen. Man braucht sich nur den Zusammensturz ansehen.”

 

Da will also jemand ernsthaft “Diskussionen anstoßen”, dem es erklärtermaßen “egal ist”, was andere sagen?
Mann oh Mann.

 

Genauso verhält es sich mit seinen Äußerungen zum “besetzten” Deutschland:

 

Im Internet finden sich bereits mehrere dokumentierte Fälle, die klarmachen, dass der Musiker bei bemerkenswert vielen Themen einfach nicht informiert ist”

 

dokumentiert die Aufklärungsseite Sonnenstaatland.

 

Und was bei dem Mannheimer Vergleich ebenfalls nicht übersehen werden sollte:

 

Gleichwohl Naidoo nach Lesart von Beobachtern “das Gros seiner Forderungen durchsetzen konnte”, bleibt doch die Tatsache, dass die Amadeu Antonio Stiftung weiterhin auf “antisemitische Anknüpfungspunkte” in Naidoo-Texten hinweisen darf.

 

Und dass auch andere Medien auf den “Krypto-Antisemitismus” des Sängers aufmerksam machen, zum Beispiel hier und hier.

 

Sollte es Naidoo wirklich ernst sein mit seiner Empörung (“”Glaubst Du wirklich, dass ich Antisemit bin?”), dann wäre jetzt wohl der richtige Zeitpunkt, sich klar zu positionieren und von allen “Reichsbürger”-Flirts und anderen Narreteien Abstand zu nehmen.

 

Und zwar in Wort und Tat.

 

Bis das geschieht, spielen wir weiterhin das Xavier-Naidoo-Bullshit-Bingo.

 

Zum Weiterlesen:

 

  • Xavier Naidoo und Amadeu Antonio Stiftung einigen sich auf Vergleich vor Gericht, Amadeu Antonio Stiftung am 20. August 2015
  • Xavier Naidoo: „Ich bin doch kein Antisemit“, morgenweb am 20. August 2015
  • Xavier Naidoo: „Heldenverklärung statt kritischem Journalismus“, GWUP-Blog am 2. Juli 2015
  • Xavier Naidoo erklärt sich – und doch: „Ein religiöser Esoteriker bleibt ein religiöser Esoteriker“, GWUP-Blog am 16. März 2015
  • Naidoo darf wieder für VOX johlen, Ruhrbarone am 19. Mai 2015
  • Xavier Naidoo spricht bei den „Reichsbürgern“ in Berlin, GWUP-Blog am 4. Oktober 2014
  • Lieber Xavier Naidoo, du redest Unsinn, Huffington Post am 23. Juni 2015
  • Xavier Naidoo, Reichsbürger und Verschwörungen, GWUP-Blog am 24. August 2014
  • Die Eso-Oscars 2014: And the Winner is Xavier Naidoo, GWUP-Blog am 26. November 2014
  • Dieser Weg wird kein leichter sein—die langsame Selbstdemontage des Xavier Naidoo, Vice am 16. Oktober 2014
  • Wir haben Xavier Naidoos Interview im Stern gelesen, damit ihr euch die 3,90 Euro sparen könnt, Vice am 12. März 2015
  • Antisemitische Liedzeilen: Xavier Naidoo verbreitet judenfeindliche Klischees, Huffington Post am 16. Oktober 2014
  • Rothschild-Verschwörungen bei Xavier Naidoo, Telepolis am 11. Dezember 2014
  • Die Rothschilds, die FED und die jüdische Hochfinanz, GenFM am 11. Juli 2015
  • 11. September: Warum stürzte WTC 7 ein? GWUP-Blog am 1. September 2011