Die dritte Verhandlungswoche im 129er-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen unsere Gefährtin Latife sollte im Zeichen einer ersten Zeugeneinvernahme am fünften Prozesstag stehen. Am fünften Prozesstag sollte ein BKA-Beamter aussagen und die Verhandlung nach Verlesung der Anklage und der Vorführung von Videos damit in eine neue Phase eintreten. Doch es kam überraschend anders.
Fragwürdige Zeugen und Aussagen
Die Vernehmung der BKA-Beamten ist ein Knackpunkt im Prozess gegen Latife wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereingung. Sie ist auch für den Staat eine heikle Angelegenheit. Handelt es sich bei den zu erwartenden Aussagen doch vor allem um Berichte von BKA-Konsultationen türkischer Sicherheitsdienste wie dem berüchtigten Geheimdienst MIT oder um Vernehmungsprotokolle angeblicher Kader der DHKP-C. Der juristische Wert dieser Aussagen, die für die Konstruktion der von der Generalstaatsanwaltschaft konstruierten «Deckungsgleichheit» zwischen dem militärischen Arm der DHKP in der Türkei und dem deutschlandweit tätigen migrantischen Verein Anatolische Föderation entscheidend sein sollen, muss bezweifelt werden.
In mehreren Prozessen, in denen die auch diesmal wieder zu erwartenden Aussagen der BKA-Polizisten bereits Verwendung fanden, um den Angeklagten eine Unterstützung terroristischer Aktivitäten nachzuweisen, wurde u.a. die Glaubwürdigkeit der in den Aussagen zitierten Zeugen von der Verteidigung stark angezweifelt. Auch die Umstände, unter denen einige der verwendeten Aussagen zustandekamen, halten rechtsstaatlichen Kriterien häufig nicht stand: Einige der herangezogenen Aussagen wurden unter Folter gemacht, andere waren Bestandteil fragwürdiger «Deals» mit türkischen Stellen.
Zuletzt musste ein deutsches Gericht vor der Fragwürdigkeit der Aussagen türkischer Kronzeugen kapitulieren: Nach sieben Jahren, in denen versucht wurde, Faruk Ereren wegen angeblichen Mordes zu verurteilen, kassierte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Faruk Ereren in dem er zunächst eine lebenslange Haftstrafe kassiert hatte. Im Revisionsverfahren wurde die Nichtverwendbarkeit einer zentralen, in der Türkei getätigten Aussage vom Gericht bestätigt; nach sieben Jahren kam Faruk Ereren schließlich frei.
Gebrüll vom Richtertisch
All das weiß natürlich auch das OLG Düsseldorf – schließlich war es sein Urteil gegen Faruk Ereren, das vom BGH kassiert wurde. Vielleicht erklärt das die ungewöhnliche Rüpelei, mit der der Vorsitzende Richter Schreiber im Prozess gegen Latife für eine erste Überraschung sorgte. Waren die bisherigen Prozesstage auf der affektiven Ebene irgendwo zwischen skurril, formalistisch und öde anzusiedeln, so verlief dieser fünfte Prozesstag hochemotional und explosiv – es gab heftiges Gebrüll von Richter Schreiber in Richtung von Latifes Anwalt Roland Meister.
Anlass für den Eklat war ein Streit zwischen RA Meister und dem Gericht über eine so genannte «Strukturakte» – eben jener Akte, in denen die Aussagen türkischer Verbindungsbeamter – bzw. eines MIT- und BND-Agenten – über die Struktur der DHKP/C als Beweismittel in den Prozess eingeführt werden. Nach einem Antrag Meisters auf Aussetzung des Verfahrens, der u.a. auch mit den durch die zu vernehmenden Beamten geführten Telefonaten mit dem Gericht begründet wurde, eskalierte Richter Schreiber für alle Beobachter*innen überraschend die Situation. Im Laufe der Auseinandersetzung verlor Schreiber vollkommen die Contenance und ging in beleidigender Weise auf Latifes Rechtsanwalt los. Das Ganze mündet schließlich in der Androhung, den Anwalt durch das Gericht selbst von seinen Aufgaben als Pflichtverteidiger entbinden zu lassen. Für die Zuschauer*innen war am Ende nicht herauszufinden, worum es eigentlich ging: Fehlten Akten, fehlte Zeit, oder waren Akten vielleicht nur unterschiedlich bezeichnet worden?
Die Androhung, Meister zu entpflichten, ist jedenfalls ein außergewöhnlicher Vorgang. Die Entpflichtung der Verteidigung wird in der Regel vom Gericht abgelehnt – gerade ist die Posse um Beate Zschäpe und ihre Verteidiger ein Lieblingssujet der Presse. Selbst Faustschläge eines Angeklagten gegen einen ungeliebten Verteidiger reichen nicht aus, eine Entpflichtung – und damit einen notwendigen Verfahrensneustart – zu erreichen. Das mussten Ronald Fritzsch, Ralf Reinders und Fritz Teufel 1978 im Lorenz-Drenkmann-Prozess vor dem Berliner Kammergericht erfahren, als sie selbst durch einen Angriff auf ihre ungeliebte Zwnagsverteidigung deren Entpflichtung nicht erreichen konnten.
Was bezweckt das Gericht?
Wenn nun das OLG Düsseldorf selbst eine Entpflichtung Roland Meisters androht, stellen sich den Beobachtern einige Fragen: Was bezweckt das Gericht mit dieser Eskalation? Woraus erklärt sich die bemerkenswerte Nervosität des Gerichts? Welche Motive könnte es ganz entgegen der üblichen Interessen haben, das Verfahren durch eine Entpflichtung Meisters zu kippen und damit neu starten zu müssen? Erhofft sich die Staatsanwaltschaft zu einem späteren Zeitpunkt weitere Beweise gegen Latife, die ihr zur Zeit offenbar nicht vorliegen? Steht der Prozess gegen Latife vielleicht auf sehr tönernen Füßen und will das OLG damit einer Entwicklung zuvorkommen? Hatte RA Meister mit einer sehr politischen Argumentation, in der er u.a. auf die Zusammenarbeit des BND mit dem türkischen Geheimdienst MIT hinwies, einfach einen Nerv getroffen? Oder war es nur ein Versuch des Richters, das gute Verhältnis zwischen Angeklagter und Verteidigung zu stören?
Zunächst einmal führte der Wutausbruch des bis zu diesem Donnerstag eigentlich ruhig agierenden Vorsitzenden Richters dazu, dass der geladene BKA-Zeuge an diesem Tag nicht vernommen wurde. Richter Schreiber selber vertagte seine Vernehmung. Klar ist: Eine Absetzung des Verteidigers gegen den Willen der Angeklagten dürfte juristisch schwierig sein und produzierte zudem mglw. einen gewichtigen Revisionsgrund. Und ein Neustart des Verfahrens würde der Generalstaatsanwaltschaft zwar mehr Zeit geben, nach neuen Beweismittel zu suchen; die Anklageschrift könnte sie jedoch nicht nachbessern. Doch auch ohne eine Entpflichtung Roland Meisters wird es schwer werden, an den nächsten Prozesstagen zu einem normalen Umgang zurückzukehren. Zu heftig war der Angriff des Vorsitzenden Richters auf den Rechtsanwalt, als dass darüber einfach so hinweggesehen werden könnte.
Nerven liegen blank
Das Geschehen am fünften Verhandlungstag bleibt daher etwas dubios. Nach einer zweimaligen Unterbrechung zur Beratung und der schließlichen Vertagung auf die folgende Woche blieb ein – diesmal erfreulich zahlreiches – Prozessbeobachtungsteam irritiert zurück. Sicher ist: Bei der Strafkammer des OLG liegen die Nerven offenbar blank, was für Latifes Verfahren auch ein ganz gutes Zeichen sein könnte. Und nachdem nun scheinbar ein Kampf zwischen Verteidigung und Richter geführt werden wird, scheint die weitere Entwicklung vollkommen offen – weitere Überraschungen sind jederzeit möglich.
Die nächsten Verhandlungstage sind Donnerstag, 30.7. und Donnerstag, 6.8., jeweils um 10:30 Uhr am OLG Düsseldorf (Kapellweg 36). Anschließend ist erneut eine dreiwöchige Prozesspause geplant.
Weitere Berichte zum Verfahren gegen Latife auf der Website zum Prozess:
Alles Terrorismus! (zum Prozessauftakt/ Verlesung der Anklage)
Geforderte Prozesseinstellung (zum 2. Verhandlungstag/ pers. Erklärung von Latife)
Aufgetürmte Leichen (zum 3. Verhandlungstag/ Verfahrensstrategie der Staatsanwaltschaft)
Die Angst des Staates (zum 4. Verhandlungstag/ Angst vor migrantischer Selbstorganisation)
Großes Interesse am Prozess (Bericht zur Info-Veranstaltung am 14.7.)