Richter droht Vertei­di­ger von Lat­ife zu entpflichten

Sultan Erdogan

Am 23.7. kam es in Düs­sel­dorf zu einem Eklat. Mit sel­tener Schärfe ging das Gericht gegen den Anwalt von Lat­ife vor, dro­hte damit ihn von seinen Auf­gaben zu ent­binden, ihm die Kosten des Ver­hand­lungstages aufzuer­legen und ihn bei der Anwalt­skam­mer anzuzeigen.

 

Gle­ich zu Beginn stellte RA Meis­ter einen Antrag, in dem er mit­teilte, daß ihm eine wesentliche Prozes­sakte — die soge­nan­nte Struk­tu­rakte — nicht zugestellt wor­den sei und er somit nicht in der Lage sei, sich an der vorge­se­henen Befra­gung eines BKA-​Beamten zu beteili­gen. In dieser Akte gehe es um einen möglichen Haupt­be­las­tungszeu­gen, einen Agen­ten von BND und MIT. Zus­pitzend stellte der Anwalt die Frage, ob die Zurück­hal­tung der Akte etwas damit zu tun haben könne, daß die Türkei aktuell gegen Kur­den und Rev­o­lu­tionäre in der Türkei und in Syrien vorgehe. Außer­dem rügte er, daß der Berichter­stat­ter dem Zeu­gen vorab tele­fonisch die The­men der Befra­gung mit­geteilt habe, damit dieser sich eine entsprechende Aus­sage­genehmi­gung ein­holen könne.


Das Gericht hielt dem Anwalt vor, daß er selbst den Erhalt einer Liefer­ung (Postzustel­lung­surkunde) mit zwei CDs quit­tiert habe, die bewusste Akte also erhal­ten habe. RA Meis­ter bestand darauf, in der Liefer­ung sei nur eine statt zwei CDs enthal­ten gewe­sen.


Nach einigem Hin– und Her wurde der vor­sitzende Richter hochemo­tional und laut. Er wies jeden Zusam­men­hang mit poli­tis­chen Ereignis­sen zurück und bedro­hte RA Meis­ter mas­siv. Er warf ihm grobe Ver­let­zung seiner anwaltlichen Verpflich­tun­gen vor, da er sich nicht angemessen auf den Prozeß vor­bere­itet habe. Schließlich sei schon in der Anklageschrift von der Struk­tu­rakte die Rede. Jetzt sei die vorge­se­hene Befra­gung des Zeu­gen vom BKA unmöglich gemacht wor­den. Er über­lege sich dies­bezüglich die Anwalt­skam­mer anzuschreiben und dro­hte damit, ihn zu entpflichten — aus Für­sorge für die Angeklagte. Auch kön­nten ihm die Kosten des geplatzten Ter­mins aufer­legt werden.


Den Angrif­fen des Gerichts schloss sich die Bun­de­san­waltschaft an und stellte RA Meis­ter als jeman­den hin, der noch nicht ein­mal die Anklageschrift gele­sen habe und somit eine Gefahr für die Angeklagte sei.


Dieser mas­sive Angriff auf Lat­ifes Vertei­di­ger hat seinen Grund offen­sichtlich in dessen poli­tis­cher Prozess­führung. Er soll entweder ent­fernt wer­den oder sich auf ein unpoli­tis­ches Vorge­hen verpflichten.


Man will sich auf keinen Fall mit dem Charak­ter des türkischen Regimes auseinan­der­set­zen und mit der Frage der Legit­im­ität bewaffneten Wider­standes gegen dieses Regime, denn wenn es sich beim türkischen Regime um ein Unrecht­sregime han­delt und beim mil­i­tan­ten Wider­stand um einen Befreiungskampf, ist die DHKP-​C eine Befreiung­sor­gan­i­sa­tion und ebenso deren Unter­stützung kein Ver­stoß gegen $129b.


Eine solche Ein­schätzung würde das Gericht aber in offe­nen Gegen­satz brin­gen zur poli­tis­chen Vor­gabe der 129b-​Prozesse, der von USA, NATO und Bun­desregierung erstell­ten „Ter­rorliste“, also der Auflis­tung der­jeni­gen Organ­i­sa­tio­nen, die nach aktueller Inter­essen­lage als feindlich=terroristisch gekennze­ich­net wer­den.


Da der blutige Charak­ter des türkischen Regimes sich leicht bele­gen läßt, muß es das Gericht unter allen Umstän­den ver­mei­den, daß über diese Frage befun­den wird, denn andern­falls müsste es sich entweder in Gegen­satz zu seinen Vor­gaben set­zen oder aber das faschis­tis­che türkische Regime offen als demokratisch rein­waschen.


Diese poli­tis­che Grund­vo­raus­set­zung des Prozesses war gle­ich am 1. Ver­hand­lungstag von RA Meis­ter mis­sachtet wor­den.


Davon völ­lig unab­hängig ist die Frage, ob der Verein Ana­tolis­che Föder­a­tion eine „Tarnor­gan­i­sa­tion“ der DHKP-​C ist und Lat­ife als dessen Vor­sitzende irgen­det­was mit der DHKP-​C zu tun hat.


Die geschilderte poli­tis­che Moti­va­tion für das mas­sive Vorge­hen gegen den Anwalt muß ver­mutet wer­den, weil der Angriff auf ihn in gar keinem Ver­hält­nis zum eigentlichen Anlass steht. Grund­sät­zlich kann immer ein Verse­hen in den Post­stellen des Gerichts oder der Anwalt­skan­zlei zur Nichtzustel­lung einer Akte führen. Sich auf die Postzustel­lung­surkunde zu berufen ist for­mal richtig, doch prak­tisch falsch. Wollte ein Empfänger vor einer Unter­schrift wirk­lich prüfen, ob in der Liefer­ung alles enthal­ten ist, müsste er das Paket öff­nen, die CDs im PC auf Voll­ständigkeit prüfen und den Boten solange warten lassen. Da das offen­sichtlich nicht prak­tik­a­bel ist, wird ungeprüft unter­schrieben in der richti­gen Annahme, daß es jed­erzeit möglich ist eventuell fehlende Unter­la­gen sich erneut zustellen zu lassen.


Wollte man aus einem solchen eher banalen Vor­gang dem Anwalt keinen Strick drehen, hätte man ihm die, wie sich her­ausstellte nur in dig­i­taler Form vor­liegende, Struk­tu­rakte erneut über­mit­teln kön­nen. Zwar hätte der aktuelle Ter­min aus­fallen müssen und der Zeuge neu geladen, doch kommt es wegen gerin­geren Anlässen zu Aufhe­bun­gen und Neuanset­zun­gen von Ter­mi­nen.

Schließlich ist der Angriff auf RA Meis­ter auch deshalb unangemessen, weil über­haupt nicht klar ist, daß seine Kan­zlei ein Ver­schulden trifft und nicht etwa die Post­stelle des Gerichts — aber ganz offen­sichtlich wird der Umstand einer der Vertei­di­gung nicht vor­liegen­den Akte zum Anlass genom­men, auf Biegen und Brechen eine poli­tis­che Prozess­führung durch einen engagierten Anwalt zu verhindern.

 

http://www.linkezeitung.de/index.php/justiz/129-prozesse/4261-richter-droht-verteidiger-von-latife-zu-entpflichten