Gab es neben dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) weitere Neonazi-Terrorzellen – und existieren sie weiter? Ein heute enthüllter Waffendeal zwischen zwei „Combat 18“-Anhängern wirft diese Frage neu auf.
Von Andrea Röpke
„Der Kasseler Michel F. will in den nächsten Tagen zwei halbautomatische Pistolen vom Kaliber 9 mm samt zugehöriger Munition an Alexander G. verkaufen“, schreibt die „Autonome Antifa Freiburg“ in einem vor wenigen Stunden veröffentlichten Communiqué. F. galt jahrelang als wichtiger Neonazi-Drahtzieher in Nordhessen, er könnte im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss noch eine wichtige Rolle spielen, da einer seiner engen Kameraden der V-Mann Benjamin Gärtner war. Der telefonierte am Mordtag im April 2006 zweimal mit seinem Verfassungsschutzführer Andreas Temme, bevor der sich sofort an den Tatort des Mordes an Halit Yozgat aufmachte und unauffällig wieder verschwand. Der Vorfall ist bis heute nicht aufgeklärt, auch bleibt die Frage, ob Kasseler Neonazis von dem geplanten NSU-Mord wussten.
In seiner Vernehmung gegenüber dem BKA gab der mutmaßliche Waffendealer Michel F. vor Jahren an, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekannt zu haben. Wenige Wochen vor dem Mord organisierte er gemeinsam mit anderen ein Rechtsrock-Konzert mit der berüchtigten Dortmunder Band „Oidoxie“ im Clubhaus des Kasseler Ablegers des MC Bandidos. Nur knapp einen Kilometer vom späteren Tatort entfernt. V-Mann Gärtner und auch F. räumten ein, dass die NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt entweder gemeinsam oder einer von ihnen dabei gewesen sein könnte.
Security-Gruppe „Oidoxie Streetfighting“
Der mutmaßliche Waffenempfänger Alexander G. spielte als Bassist bei ebendieser Dortmunder Band „Oidoxie“. Zwischen Dortmund und Kassel waren die Verbindungen besonders eng. Gemeinsam wurde eine dubiose Security-Gruppe namens „Oidoxie Streetfighting“ gegründet. G. stammt wie F. aus Thüringen. Er wurde in Leinefelde geboren und lebte dann in der Schweiz, inzwischen aber in der Nähe von Augsburg. Aus der Mitte von „Oidoxie“ heraus entstand bis mindestens 2006 eine kleine „Combat 18“-Terrorzelle. Zu der gehörten nicht nur der Sänger von „Oidoxie“, sondern auch ein V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes sowie der spätere Brieffreund von Beate Zschäpe, Robin Schmiemann.
Im Abstand von nur zwei Tagen waren im April 2006 Mehmet Kubasik in Dortmund und danach Halit Yozgat in Kassel mutmaßlich vom NSU erschossen worden. Die Taten waren ungewöhnlich auffällig durchgeführt worden, mit dem Tod des jungen Yozgat endete anscheinend die rassistische Mordserie. Seit langem wird angenommen, dass die beiden Täter, Mundlos und Böhnhardt, Helferstrukturen in den beiden Neonazi-Hochburgen hatten.
Obwohl F. durchaus noch im Fokus engagierter NSU-Aufklärer steht, soll er laut den Freiburger Antifa-Recherchen seit dem 20. Juni den Waffendeal mit G. vorangetrieben haben. An diesem Abend wurden demnach die ersten Details mitgeteilt: „Para 9mm. 1600 soviele du willst ... mit muni … wird noch geklärt wieviele jeweils dabei sind. Haken...Vorkasse ... weil dann einfuhr erst“.
Pistolen für 1600 Euro pro Stück
Demnach bot der Kasseler Neonazi eine beliebige Anzahl Pistolen vom NATO-Standardkaliber 9 mm Parabellum für 1600 Euro pro Stück samt Munition ausgerechnet einem Kameraden an, der tief verwurzelt im braunen Sumpf ist. Angeblich ist F. ja längst ausgestiegen. Nach einem Gefängnisaufenthalt zwischen 2007 und 2009 will er mit der Neonazi-Szene nichts mehr zu tun gehabt haben, machte er Vernehmern vom BKA im Zuge des NSU-Verfahrens weis. Erzählte sogar etwas von einer Bedrohung, um seine Behauptung zu unterstreichen.
Tatsächlich bewegt sich F. seither verstärkt in der Rocker-Szene. 2012 zählte er zum „MC Bandidos“ in Kassel, inzwischen scheint er sich allerdings im Umfeld der „Hells Angels“ zu bewegen. Bei Facebook posiert er cool mit schwarzer Kutte und Patch der „Hardcore Crew Cassel“. Auf der Brust trägt der ehemalige Hooligan ein Tattoo mit dem Leitspruch von „Combat 18“: „Mögen sie mich hassen, solange sie mich fürchten“.
Für den Waffendeal forderte der Kasseler Vorkasse vom Kameraden aus Bayern. Erst wenn das Geld per Post an seinem hessischen Wohnort eingetroffen sei, sollte kurz Zeit darauf ein Mittelsmann im Ausland die Pistolen bestellen. Innerhalb von zwei bis fünf Tagen sollte die Sendung dann ankommen. Mindestens eine Waffe wollte G. anscheinend mit einem Aufschlag von 100 Euro in Nazi-Kreisen weiterverkaufen. Für den Fall eines erfolgreichen Geschäftes hieß es: „Kein Problem ... wenn die klappen kann man auch über was anderes reden ;-)“