Rassistische Hetze, Beleidigungen, Gewaltaufrufe: Hass-Postings in sozialen Netzwerken nehmen zu. Dabei ist das Internet kein rechtsfreier Raum. In Sachsen wird die Fahndung aber offenbar der Netzgemeinde überlassen.
Vergangene Woche beklagte der Europarat eine dramatische Zunahme von Antisemitismus, Islamophobie und Rassismus im Internet. Derlei Inhalte seien demnach längst nicht mehr auf die Internetauftritte rechtspopulistischer Parteien und Organisationen beschränkt - vor allem soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter würden vermehrt als Plattformen eines Alltagsrassismus missbraucht, der auch in Deutschland merklich schärfer geworden sei.
In Sachsen sind zahlreiche islam- und asylfeindliche Facebook-Gruppen aktiv, in denen mitunter unverhohlen zu Gewalt gegen Asylsuchende aufgerufen wird oder grundlegende Menschenrechte von ethnischen oder religiösen Minderheiten massiv in Frage gestellt werden. "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen" - so beginnen oder enden etliche öffentlich zugängliche Kommentare, deren Verfasser sich durch das in Deutschland per Grundgesetz verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung auf der sicheren Seite wähnen. Doch dieses Recht endet, wo §130 StGB beginnt:
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1.
gegen
eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft
bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen
Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe
oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder
Willkürmaßnahmen auffordert
oder
2.
die Menschenwürde
anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der
Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer
vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft,
böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Das Internet ist kein straffreier Raum
Bei der Reform des §130 StGB im Jahre 1960 war an Verbreitungswege wie Facebook, Twitter & Co. noch nicht zu denken. Doch das Internet ist kein "rechtsfreier Raum". Sämtliche Kommentare in sozialen Netzwerken, die auch in Deutschland frei zugänglich sind, gelten im juristischen Sinn als öffentlich geäußert. Selbst australische oder kanadische Staatsbürger wurden deswegen schon von deutschen Gerichten wegen Volksverhetzung verurteilt.
Wie schmal der Grat zwischen einer"unschönen Meinungsäußerung" und einer strafrechtlich relevanten Volksverhetzung ist, darüber informiert der renommierte Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben von der juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden in folgendem Interview für den MDR SACHSENSPIEGEL.
Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben hatten wir zuvor rund 20 Kommentare aus verschiedenen, öffentlich zugänglichen Facebook-Gruppen gezeigt, die wir hier - weniger aus juristischen, sondern vielmehr aus ästhetisch-moralischen Gründen - nicht wiedergeben möchten. Mit Ausnahmen von zwei Fällen erfüllten nach der Auffassung von Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben diese Facebook-Postings allesamt den Straftatbestand der Volksverhetzung.
Wächter sammeln Kommentare
Einige "Watchblogs" - also kommentierte Beobachterseiten im Internet- verfolgen aufmerksam die Diskussionen in den einschlägigen Facebook-Gruppen, deren Namen wie "Nein zum Heim!" schon eine ablehnende Haltung zum Asylrecht erkennen lassen. "Wir sind viele", "Freital Nazifrei" oder "PEGIDA#watch" gehören zu diesen Watchblogs.
Für große Aufmerksamkeit sorgte aber auch "Perlen aus Freital - Besorgte Bürger zeigen sich von ihrer allerbesten Seite". Die Betreiber dieses Watchblogs sammeln und archivieren rassistische und gewaltverherrlichende Kommentare rund um die Unterbringung von Asylbewerbern im ehemaligen Freiberger Hotel "Leonardo". Diese werden auf perlen-aus-freital.tumblr.com veröffentlicht, teilweise mit Klarnamen und Profilfoto des Verfassers.
Aus Angst vor Übergriffen von Rechtsextremisten standen die Betreiber der Seite nur für ein schriftliches Interview zu Verfügung.
Interview "Perlen aus Freital": Mahnen statt Löschen
Die Proteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Freital haben bundesweit Schlagzeilen gemacht. Die Gegner tummelten sich nicht nur vor dem Heim, sondern auch im Netz. Das Watchblog "Perlen aus Feital" sammelt und veröffentlicht die Postings. Aus Angst vor Übergriffen von Rechtsextremisten standen die Betreiber der Seite nur für ein schriftliches Interview zu Verfügung.
Warum macht ihr euch die Mühe, derart unerfreuliche "Hass-Postings" zu sammeln, zu archivieren und öffentlich zu machen?
Wir möchten hier eine Gegenöffentlichkeit erzeugen. Je bekannter das Blog wird, je eher müssen sich die Kommentatoren vielleicht auch mal im realen Lebensumfeld für ihre Aussagen zur Rechenschaft ziehen lassen. Es kann doch deutlich unangenehmer sein, gegenüber Partner, Freunden oder Arbeitgeber zu solchen Aussagen zu stehen, als gegenüber vielen anderen Gleichgesinnten und vor allem scheinbar anonym agierenden Personen im Internet.
Warum ausgerechnet Freital? Ist der zunehmend fremdenfeindliche Ton in Internet-Foren und Netzwerken nicht ein bundesweites, ein europäisches Problem?
Dieser Trend ist sicherlich kein Phänomen, welches nur in Freital beobachtet werden kann. Freital sticht aber in mehreren Punkten deutlich aus der aktuell zu beobachtenden Abneigung und dem Hass gegen Flüchtlinge hervor. Dort scheint man zu großen Teilen dazu bereit zu sein, die Hassreden aus dem Internet auch in reale körperliche Gewalt umzusetzen. Und das nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen alle Andersdenkenden. Und das ist für uns genug Anlass, ausgerechnet Freital in Sachsen als Paradebeispiel für diese fatale Entwicklung zu wählen. Mittlerweile nehmen wir aber auch schon Beispiele aus anderen Regionen mit ins Blog.
Die meisten Sozialen Netzwerke - wie auch Facebook - bieten die Möglichkeit, anstößige oder rassistische Beiträge löschen zu lassen. Warum reicht euch das nicht?
Es passiert dann so gut wie nie etwas greifbares, es wird selten gelöscht. Facebook ist sehr liberal, ein amerikanisches Unternehmen halt. Bevor Facebook eingreift, muss schon etwas wirklich gravierendes passieren. Außerdem verschwinden die Inhalte nach einer Löschung, ggf. organisieren sich die Kommentatoren einfach neu in geschlossenen Gruppen. Uns geht es aber darum, diese Inhalte greifbar zu machen, ein Archiv anzulegen. Hier kann man dann nachlesen, wie sich die Stimmung hochgeschaukelt hat. Lieber als Mahnung erhalten, anstatt einfach zu löschen.
Seid ihr überrascht, wie offen viele Nutzer Sozialer Netzwerke ihren Rassismus zur Schau stellen und teilweise sogar mit ihrem Klarnamen posten?
Ja, wir sind völlig verblüfft, dass offenbar keinerlei Hemmschwelle mehr besteht, unter seinem eigenen Namen solche Dinge in das Internet zu posten. Viele scheinen sich gar nicht bewusst zu sein, welche Konsequenzen sowas im privaten und beruflichen Umfeld haben kann. Das geht über die einfache Suche bei Google eines zukünftigen Arbeitgebers über die soziale Isolation, falls das eigene Umfeld doch kein so rechtes sein sollte. Völlig vernachlässigt wird unserer Ansicht nach auch der strafrechtliche Aspekt. Gerade gestern Abend haben wir noch einen Screenshot gepostet, in dem von einer aktuellen Hausdurchsuchung des LKA berichtet wird - wegen Hassreden und Aufforderung zur Gewalt im Internet.
In zahlreichen Fällen benennt ihr die Verfasser solcher Hass-Postings namentlich, zeigt sie mit ihren Profilfotos. Habt ihr keine Angst vor denjenigen, die ihr öffentlich an den Pranger stellt? Gab es deswegen schon konkrete Drohungen?
Wir verpixeln die Fotos, nennen aber bei belegbarer Quelle auch den vollen Namen. Rechtlich sind wir damit auf der sicheren Seite, das wurde bereits von Anwälten (auch für entsprechende Medienberichte) geprüft. Die Aussagen sind öffentlich, das Interesse der Öffentlichkeit überwiegt. Es wird nichts aus dem Zusammenhang gerissen, jeder von uns veröffentlichte Ausschnitt steht für sich alleine. Es scheint mittlerweile geschlossene Gruppen auf Facebook zu geben, die sich auf der Suche nach uns organisieren wollen. Uns wurden auch schon ganz konkrete Morddrohungen zuteil. Dort war die Rede davon, dass man uns und unsere Familien lynchen würde. Es gäbe Leute, die würden uns in Rage prügeln, bis wir krepieren. Sowas zu lesen, ist natürlich harter Tobak. Wir sind uns aber ganz sicher, dass es sich um leere Drohungen verzweifelter Rechter handelt, weil uns halt niemand enttarnen kann. Es gab auch Vorwürfe, wir würden uns hinter unserer Anonymität verstecken. Das ist richtig, leider ist eine Auseinandersetzung mit dem speziellen Thema aber nicht unter Realnamen möglich - oder nur unter einer enormen Gefahr für Leib und Leben.
Einige haben sich offenbar beim Facebook-Konzern über eure Seiten beschwert. Hat die Facebook Germany GmbH darauf reagiert?
Nein, Facebook Deutschland hat in keiner Form Kontakt mit uns aufgenommen. Es gab eine Beschwerde, weil wir die Privatnachricht mit der konkreten Morddrohung auf Facebook selbst veröffentlicht hatten. Facebook hat daraufhin unseren Account 24 Stunden (scheinbar automatisiert) gesperrt in der Hinsicht, dass wir selber keine neuen Postings verfassen konnten. Dabei ging es aber ausschließlich darum, dass Facebook nicht möchte, dass Inhalte aus privaten Nachrichten per Screenshot auf der Plattform geteilt werden. Dieser Screenshot steht nun auf unserem Blog und auf vielen anderen Seiten von Unterstützern. Denn auch hier erheben wir den Anspruch, eine Straftat entsprechend öffentlich dokumentieren zu dürfen.
Viele der Postings, die ihr gesichert und veröffentlicht habt, erfüllen nach Auffassung von Rechtsexperten klar den Tatbestand der Volksverhetzung. Erstattet ihr auch Anzeige?
Wir selber erstatten keine Anzeigen. Das Risiko, so unsere persönlichen Daten zu erhalten, ist einfach zu hoch. Wir erhalten aber täglich Meldungen, wonach Unterstützer mit Realnamen oder in anonymer Form Strafanträge stellen oder die Ermittlungsbehörden über Offizialdelikte in Kenntnis setzen. Zuletzt gab es hier über Mittelsmänner Rückfragen des LKA Berlin zu einem Screenshot, in dem ein Nutzer unter Bezug auf Gaskammern und Zyklon B ganz konkret und wie wir finden widerwärtig zu Straftaten aufforderte.
Wie ihr auf eurer Seite mitgeteilt habt, hat sich das LKA Berlin schon an Euch gewandt und um Mithilfe gebeten. Welche anderen Polizeibehörden interessieren sich noch für eure Recherche-Ergebnisse - auch sächsische wie zum Beispiel das Operative Abwehrzentrum?
Aus Sachsen oder vom OAZ haben wir noch keine Rückfrage erhalten.
Was ratet ihr Nutzern Sozialer Netzwerke, wenn sie auf Hass-Postings stoßen? Wie geht ihr vor, wenn ihr die Beweise sichert?
Wir machen einen Screenshot der Seite, speichern die URL zu diesem Screenshot (dem Ort der Veröffentlichung und zum Profil des Nutzers). Wenn jemand Hasspostings findet, kann er auf den allermeisten Plattformen diese an den Betreiber melden. Das ist für den normalen User die sinnvollste Form, gegen so etwas aktiv zu werden. Alternativ kann man mit diesen Daten Anzeige erstatten. Dabei raten wir aber zu erhöhter Vorsicht, da in dem Fall auch die eigenen persönlichen Daten angegeben werden. Gegebenenfalls kann man unangenehmen Hausbesuchen der Kommentatoren dann mit der Angabe einer anderen, ladungsfähigen Anschrift aus dem Weg gehen. Gerne kann man die Screenshots aber auch an uns weitergeben inklusive des Links zur Quelle.
Vielen Dank für das Interview!
Wir danken für die Aufmerksamkeit für unser Projekt. Vielen Dank!
Sachsens Polizei geht im Netz ohne Anlass nicht auf Streife
Die Betreiber des Watchblogs "Perlen aus Freital" haben in dem Interview angedeutet, was uns das LKA Sachsen sowie das 2013 gegründete Operative Abwehrzentrum gegen Extremismus in Leipzig bestätigen: Die sächsische Polizei hat die einschlägigen Foren und Facebook-Gruppen selbst nicht unter Beobachtung.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen wären gegeben. Die Seiten sind öffentlich zugänglich. Es bräuchte somit weder Gesetzesänderungen, noch richterlicher Genehmigungen, mit Polizeicomputern darauf zuzugreifen und nach eventuellen Gesetzesverstößen zu suchen. Das Landeskriminalamt Bayern geht beispielsweise schon seit 1998 auf "virtuelle Streifenfahrten", Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und mehrere andere Bundesländer folgten diesem Beispiel.
"Anlassunabhängige Recherche" nennt sich das Verfahren im polizeilichen Fachjargon. Warum sich ausgerechnet die Polizei im Freistaat nicht daran beteiligt, wollten wir vom Pressesprecher des Sächsischen Innenministeriums wissen.
Eine Begründung, warum die Sächsische Polizei keine "virtuellen Streifenfahrten" durchführt, blieb uns das Innenministerium trotz mehrfacher, konkreter Nachfragen schuldig. Der journalistischen Ethik verpflichtet steht es uns nicht zu, diesbezüglich zu spekulieren, doch die größte Oppositionspartei im Sächsischen Landtag hat dazu ihre eigenen Theorien. Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Rico Gebhardt, zeigte sich überrascht, dass die sächsische Polizei keine anlassunabhängigen Recherchen im Internet durchführt.
Linke fordert Aufklärung
"Der Freistaat vergibt die Chance, endlich mal ein Stoppzeichen zu setzen", meint Gebhardt. "Es kann nicht sein, dass wir hier unsere Kultur den Bach runter gehen lassen." Gebhardt fordert deshalb von der Regierung die Bildung einer Ermittlungseinheit, die Straftaten im Internet verfolgt. "Gewalttaten und Morddrohungen gehören zur Anzeige gebracht und zur Verurteilung."
Bis sich der Freistaat an "virtuellen Streifenfahrten" beteiligt, bleibt die Suche nach volksverhetzenden Postings allein der Netzgemeinde und den zahlreichen Watchblogs überlassen. Auch und vor allem in Sachsen - aber ohne die sächsische Polizei.