Freital ist gar nicht so weit. - Am Freitag, dem 10.07. wurde in Jenfeld, Hamburg, ein Flüchtlingscamp errichtet, organisiert vom DRK und dem THW. Gegen 16.00 Uhr wurde auch vom kollektiven Zentrum aus an den Ort des Geschehens mobilisiert, weil ein Anwohner_innenmob sich den Aufbauarbeiten in den Weg stellten, am Zaun schüttelnd und pöbelnd gegen den Aufbau von etwa 50 Großzelten vorgingen.
Keine Argumente aber viel Wut
Die Anwohner_innen waren nicht über das Camp informiert worden und reagierten zum Teil sehr aggressiv. Ein Spaziergang um das entsprechende Gelände offenbart mensch alles, was an deutschen Ressentiments, Vorurteilen und Ängsten zu bieten ist. Von „meine Nachbarin kann ihre Kinder nicht ernähren und die Flüchtlinge bekommen alles, was sie haben wollen“, über „ich habe so viele Wertsachen in meinem Haus, wie soll ich die denn jetzt schützen?“ bis hin zu „egal wo man hingeht, überall machen die alles kaputt, klauen und passen hier einfach nicht rein“. Ein erschreckendes Konglomerat, in bloßer Wut jedem entgegengehustet, der es hören will oder auch nicht.
Was man daran erkennen kann, ist nicht nur offener Rassismus der in Erscheinung tretenden Anwohner_innen, sondern auch eine ebenso dumpfe wie gefährliche Kanalisierung der eigenen sozialen Misere gegen Unbeteiligte – in diesem Fall die Geflüchteten . Es ist davon auszugehen, dass die Hamburger Stadtpolitiker_innen entweder noch dümmer sind als angenommen oder bewusst eine solche gesellschaftliche Eskalation herausgefordert haben und nun durch bürgerliche Medien anheizen lassen. Im Vorfeld informierten sie nicht die Anwohner_innen und leisten keine Aufklärung. Deren Zusammenrottung sucht nach Handlungsoptionen und ist deshalb offener denn je gegenüber organisierten Nazistrukturen.
Gefahr für die Geflüchteten
Damit ist schon fast jede Chance vertan, die Empörung der Anwohner_innen über die Errichtung des Camps und die Fassungslosigkeit über die Errichtung von ganz und gar unmenschlichen Flüchtlingslagern in ganz Hamburg, zurück an die Verantwortlichen in Bezirkspolitik und Senat zu tragen. Denn sicher ist, dass Massenunterbringungen in Zelten absolut keinen Lösungsansatz darstellen, sondern eher einen viel zu späten Versuch, an der seit Jahren vernachlässigten Flüchtlingspolitik herumzudoktern. Statt die kurzzeitige Unterbringung zu akzeptieren sind die am Zeltlager anwesenden Jenfelder_innen schon längst bei massiven Drohungen gelandet: „dieses Camp wird hier nicht lange stehen, hier wird keiner wohnen, dessen könnt ihr euch mal sicher sein. Da gibt es verschiedene Mittel und Wege.“
Flüchtlingscamps und Leerstand
Wir, Nutzer_innen des koZe, können es nicht fassen, dass über 800 Menschen allein in Jenfeld in Zelten untergebracht werden sollen, während die Stadt nach wie vor in strategischem Leerstand versinkt. Allein in dem Schulgebäude um uns herum könnten viele Menschen Platz finden, denn die Schulräume stehen leer – hätte die Stadt nicht mehr Interesse daran, mit der Privatisierung ein bisschen schnelle Kohle zu machen.
Es ist die Aufgabe aller hier Lebenden, solidarisch mit anderen Menschen umzugehen, aber es ist die Verantwortung der Stadt, den Schaden, den sie mit jahrelanger Privatisierung ihres Grundbesitzes gemacht hat, nun auszubaden.
Vielleicht ist es endlich an der Zeit aufzuwachen: Hallo Hamburg, hier ist genug Platz, hier ist genug Leerstand und hier ist genug öffentlicher (also unser aller) Besitz, der hier endlich mal zum Einsatz kommen müsste. Eure fehlgeleitete Wohnungspolitik der letzten Jahre ist aufgeflogen und deren alternative sowie selbstinitiierte Nutzung ist auch mit engstirnigen „auf dem linken Auge blind“ - CDU - Gelaber nicht mehr so leicht zu kriminalisieren in Anbetracht der staatlichen Verantwortungslosigkeit.
Braun macht sich breit
Wie wir in den letzten Wochen feststellen mussten, trauen sich mehr und mehr Nazis auch nach Hammerbrook. Sei es, um die SPD – Zentrale zu besetzen oder demonstrativ an unseren Zaun zu pinkeln. Auch und gerade im Vorfeld des 12.09.: Seid aufmerksam, übt euch in euren Argumenten und seid auf Begegnungen vorbereitet. Denn Jenfeld zeigt: Momentan ist alles möglich, die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht bei wüsten Beschimpfungen aus fahrenden Autos heraus oder bloßen Drohungen bleibt, ist hoch.
Antifa heißt Angriff
Antifaschistische Arbeit vor allem in Ecken wie Jenfeld ist nicht leicht und auch am Freitag war viel Hilflosigkeit in den Gesichtern zu erkennen. Zwar ist es ein schönes Signal in Richtung des lokalen Deutschmobs, ein paar Feldbetten mit aufzubauen, doch worum es uns hier gehen muss, ist, nationalsozialistischer Argumentation und verbrecherischer Gewaltphantasien solidarische Empathie und selbstorganisierte Verbesserung des eigenen Lebens entgegenzusetzen.
Denn bei aller Hilfbereitschaft antirassistischer und antifaschistischer Aktivist_innen sollte nicht unreflektiert beim Aufbau von scheiß Zeltcamps geholfen werden. Das DRK gibt Daten Geflüchteter an Bullen und Behörden weiter, die Bullen haben Zugang zum Gelände und Lager sind kein Konzept der gelebten Solidarität linksradikaler Lebensentwürfe und entpolitisieren den Konflikt um einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten.
Denn Fakt ist, dass von der Stadt bzgl. der Lösung dieser Probleme nicht viel zu erwarten ist, ist sie doch selber Teil dessen. Also müssen wir tun, was wir können.
Solidarisch, radikal und langfristig.