Sonntagmittag, 5.7.2015, Berlin-Neukölln:
Tropische Hitze, viel interessante interessierte Leute, gute Atmosphäre, viel Wut in den Herzen der Menschen angesichts des Ausverkaufs der Stadt und des anhaltenden finanziellen Drucks, vor allem durch die stetig steigenden Mietkosten und die Arroganz der Herrschenden.
Die kämpferische Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54, die sich weiterhin gegen die Modernisierung und die damit einhergehenden Mieterhöhungen und Verdrängungen offensiv zur Wehr setzt (siehe: http://friedelstrasse54.blogsport.eu) hatte zur offenen Versammlung im dort ansässigen Kiezladen F54 (siehe: http://friedel54.noblogs.org) eingeladen.
Nachdem zunächst gemütlich zusammen gegessen und getrunken wurde und sich viele Nachbar_innen kennenlernen und sich über die Probleme in ihrem Kiez, allem Voran die Explosion der Mieten, austauschen konnten, füllte sich der Kiezladen und der Gehweg davor zunehmend. Auch die politische Polizei ließ es sich nicht nehmen, mal in zivil vorbeizugucken. Welchen (tiefergehenden) Umfang diese Überwachung hatte, ist jedoch leider nicht bekannt.
Offensichtlich hatte diese Versammlung jedenfalls den Nerv der Zeit in diesem Kiez getroffen: Der Raum war eigentlich zu klein, 60 Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft drängten sich zusammen, manche blieben lieber draußen und guckten von Zeit zu Zeit mal rein. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn die hohen Temperaturen (Richtung 40´C) die Leute nicht an schöne Seen und in kühle Keller getrieben hätte… Die Kiezversammlung „Bizim Kiez“ im Wrangelkiez hat ja ebenfalls in diesen Tagen gezeigt, dass das Thema Verdrängung durch Profitlogik und Eigentumsdenken durchaus die prärevolutionären Massen hinter ihren Tablets und Spielekonsolen hervorlocken kann und hat sich mehrmals erfolgreich die Straße angeeignet. Ein Szenario, welches in vielen Teilen von Berlins Innenstadt denkbar wäre. Schließlich jammert, ächzt und meckert beinahe die gesamte Bevölkerung dieser Stadt, quer durch unterschiedliche Milieus, Subkulturen und sogar Klassen (von ganz, ganz unten über unten bis eher zur ökonomischen Mitte neigend) über die derzeitigen Verhältnisse. Es ist höchste Zeit, dass diese Menschen ihre Faust aus der Tasche ziehen und selbstorganisiert und solidarisch den Druck auf Regierende, Eigentümerlobby und Investmentfonds erhöhen bzw. generell andere Handlungs- und Widerstandsformen entdecken und ermöglichen. Dies wurde ansatzweise auch in der Kiezversammlung am 5.7. im Friedelkiez besprochen und diskutiert. Parteiangehörige und Quartiersmanagement-Kollaborateure waren zwar vereinzelt anwesend, jedoch hielten sie sich dankenswerterweise weitgehend an den eingangs geäußerten Wunsch der Organisator_innen, sich auf ihre Rolle als Nachbarn zu reduzieren. Die kritische Rolle des QM in Bezug auf Aufwertung und Umstruktierung der (ehemaligen) „Problemkieze“ in Bezug auf die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsteile aus der Innenstadt (Stichwort Gentrifizierung) war vielen Anwesenden ohnehin bekannt. Ein Umstand der zu einer kontroversen hitzigen Diskussion führte, die jedoch abgebrochen wurde, als deutlich wurde, dass das Thema in diesem Rahmen nicht abschließend ausdiskutiert werden kann. Ebenso konnte nicht abschließen geklärt werden, wie „unser“ Verhältnis zu politischen Parteien aussehen kann bzw. sollte. Hier reichte das Spektrum von kompromissloser Ablehnung jeglicher Kooperation und der Ablehnung des Adressieren von Forderungen an die Herrschenden (die über alle Parteifarben hinweg ja für die derzeitige Situation (mit-)verantwortlich sind) , über punktuelle Zusammenarbeit z.B. in Bezug auf Milieuschutzentwicklung, bis hin zum Fokus auf die (lokalen) Parlamente und Fraktionen (v.a. der anwesenden Parteimitglieder).
Generell war das Klima aber konstruktiv und von gegenseitigem Interesse und allgemeiner zwischenmenschlicher Solidarität bestimmt. Einige Mieter_innen aus Nord-Neukölln, aber auch aus Kreuzberg erzählten von ihren aktuellen Problemen und Kämpfen, gaben sich gegenseitig Tipps und Tricks und vernetzten sich untereinander. Eine Bewohnerin der Friedelstraße 54 hob die Wichtigkeit der Kommunikation im Haus miteinander und der Mitgliedschaft in einer Mietergemeinschaft hervor. Generell wurde von vielen Anwesenden der Wunsch nach mehr Widerstand im Kiez und nach mehr und z.T. offensiveren Aktionsformen geäußert. Besetzungen als Handlungsoption wurden ebenso vorgeschlagen wie „Tumulte“ zur Verhinderung von Zwangsräumungen und der Umwandlung in Eigentumswohnungen (z.B. in der Weserstraße).
Abschließend wurde übereinstimmend der Wunsch geäußert, dass es am ersten Sonntag im September in einem größeren Raum eine weitere selbstorganisierte Kiezversammlung geben soll und in Zukunft noch weitere.
Nun kommt es darauf an, dass die zarte Pflanze „Selbstorganisierte Kiezversammlung“ im nordneuköllner Kiez nicht vertrocknet und weiter gedeihen kann.
Wünschenswert wäre es, wenn es solche Veranstaltungen öfter und in der ganzen Stadt verteilt geben würde. Nur so kann auch endlich etwas verändert werden in dieser Stadt.
Gemeinsam statt vereinzelt!
Schafft 1,2,3,4 viele Kiezversammlungen!
Selbstorganisiert in Richtung befreite Gesellschaft!