Am 7. Mai 2015 hat der Bundestag beschlossen eine Petition zur Änderung der Strafprozessordnung zu unterstützen (BT-Drucksache 18/4698), mit der es künftig wieder drogenabhängigen Gefangenen ermöglicht werden soll, so bald als möglich eine Therapie zu beginnen.
Rechtslage bis zur BGH-Entscheidung 2010
§35 Betäubungsmittelgesetz ermöglicht es Verurteilten, deren Taten in Verbindung stehen mit einer Betäubungsmittelabhängigkeit, die Strafe "zurückstellen" zu lassen um eine (stationäre) Therapie durchzuführen. Ist diese erfolgreich beendet, wird die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Nicht selten kommen mehrere Verurteilungen zusammen und dann kann es auch passieren, daß eine oder mehrere Strafen nicht in Zusammenhang mit der Drogensucht stehen. Bis zu einer Entscheidung des BGH (vgl. https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/10/5-ar-22-10.pdf) war es üblich, daß jene Strafen, welche "nicht zurückstellungsfähig" waren, quasi vorweg und bis zum jeweils letzten Tag vollstreckt wurden, um im Anschluß die zurückstellungsfähigen Strafen nicht verbüßen zu müssen, sondern in eine Therapie gehen zu können.
Beispiel
Eine Verurteilte hatte zwei Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr in Zusammenhang mit der Drogenabhängigkeit zu verbüßen, sowie eine weitere von einem Jahr, die in keinem Konnex zur Drogenabhängigkeit stand. Auf formlosen Antrag einigten sich die ggf. verschiedenen Vollstreckungsbehörden dann, das eine Jahr vorweg zu vollstrecken, auch wenn die Strafe eigentlich nach StPO und Strafvollstreckungsordnung erst an zweiter oder dritter Stelle der Reihenfolge zur Vollstreckung angestanden wäre.
So konnte die Verurteilte nach einem Jahr ihre Therapie antreten, also die Haftanstalt verlassen und in eine Klinik wechseln.
BGH-Entscheidung von 2010
Die erwähnte BGH-Entscheidung untersagte diese Praxis, denn nach Ansicht des BGH verstieß die formlose Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gegen den Wortlaut des § 454 b Absatz 2 StPO.
Die Folge
In dem erwähnten Beispiel würde dies dazu führen, daß erst alle Strafen bis zur Hälfte zu verbüßen wären. Muss, aus vollstreckungsrechtlichen Gründen, die "nicht rückstellfähige" Strafe zudem als letzte verbüßt werden, kommt praktisch keine Möglichkeit in Betracht in den Genuß des § 35 BtMG zu kommen, da ja erst die anderen Strafen (voll) verbüßt werden müssen.
Ganz praktisch bedeutete also die Entscheidung des BGH, das Aus für viele dringend auf Therapie angewiesene inhaftierte Frauen und Männer. Anstatt zeitnah eine externe Drogentherapie beginnen zu können, werden sie seitdem in den Gefängnissen eingesperrt, ohne adäquat behandelt zu werden.
Die Petition
Im Jahr 2011 forderte ich in einer Petition den Bundestag auf, die entsprechende gesetzliche Regelung in der StPO zu ändern, damit künftig wieder therapiebedürftige Drogenabhängige alsbald die ihnen zustehende Therapie beginnen könnten. Nach immerhin vier Jahre dauerndem Beratungsprozess entschied nun der Bundestag das Anliegen zu unterstützen (vgl. die PDF-Datei im Anhang).
Resümee
Es ist ärgerlich und auch bedrückend, wie formalistisch seitens des BGH eine gut geübte Praxis auf dem Rücken von behandlungsbedürftigen Inhaftierten beendet wurde - nicht weniger ärgerlich ist es, daß schon ein halbes Jahrzehnt ins Land gegangen ist, ohne daß - trotz erkennbaren Handlungsbedarfs - sich etwas getan hätte. In der Fachliteratur wurde die Entscheidung des BGH deutlich kritisiert.
Es steht zu hoffen, daß nun alsbald eine gesetzliche Änderung erfolgen wird.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, 79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
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