Sebastian Krumbiegel: "Nur auf Randale aus"

Erstveröffentlicht: 
18.06.2015

Trägt die linksalternative Szene eine Mitschuld an den Krawallen? Fragen an den Musiker und Aktivisten Sebastian Krumbiegel Interview: Stefan Schirmer

 

DIE ZEIT: Herr Krumbiegel, Leipzig gilt als links geprägte Metropole. In dieser Stadt engagieren Sie sich als Linker schon seit vielen Jahren politisch. Hat dieses Leipzig ein Gewaltproblem?

 

Sebastian Krumbiegel: Ich wundere mich schon, wie leichtfertig von "linker Gewalt" gesprochen wird. Nach meinem Eindruck haben wir es derzeit mit Chaoten zu tun, die mit Politik aber auch gar nichts am Hut haben. Das sind Leute, die schlicht Gewalt suchen – wie wir das zum Beispiel auch aus Fußballstadien kennen. Für mich und auch für die Menschen, mit denen ich politisch zusammenarbeite, will ich festhalten, dass wir uns klar von Gewalt distanzieren. Schon aus Eigennutz: Würden wir gewalttätige Ausschreitungen dulden, würde das doch die eigentlichen Ziele, die wir haben, diskreditieren. Davon abgesehen, passt es auch nicht zu den Errungenschaften Leipzigs.

 

ZEIT: Welche meinen Sie?

 

Krumbiegel: Die Idee der Friedlichen Revolution, dieser Geist von 1989, hat Leipzig wesentlich geprägt. Vor allem zwei Slogans waren entscheidend: "Wir sind das Volk" und "Keine Gewalt!". Diese Slogans sind für mich auch heute noch essenziell. Das bedeutet, dass wir uns gegen Dinge auflehnen, die uns nicht passen; und das Ganze gewaltfrei tun. Dass das funktioniert, haben wir 1989 im Osten eindrucksvoll bewiesen.

 

ZEIT: Zurück ins gegenwärtige Leipzig und sein Gewaltproblem: SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung sagt: "Hier sind Kriminelle am Werk."

 

Krumbiegel: Das kann ich so unterschreiben. Noch einmal: Ich glaube nicht, dass diese Leute, die zuletzt am 5. Juni randaliert haben, politische Aktivisten waren; sondern dass diese Leute ganz primitiv Rabatz gemacht haben und dabei so taten, als geschehe dies im Namen linker Ideale.

 

ZEIT: Was bedeutet Linkssein für Sie?

 

Krumbiegel: Nicht auszugrenzen, sich etwa auch um Randgruppen zu kümmern. Das verträgt sich niemals mit Gewalt – solange wir hier nicht von Selbstverteidigung sprechen. Klar, wer auf der Straße von einem Dutzend Neonazis körperlich angegriffen wird, ist schlecht beraten, denen allein mit dem Peace-Zeichen begegnen zu wollen.

 

ZEIT: Kann man die Leipziger Krawalle wirklich, wie Sie es tun, so schnell als unpolitisch abtun? Die Ereignisse der vorletzten Woche etwa fanden immerhin parallel zum G-7-Gipfeltreffen statt.

 

Krumbiegel: Wer gegen diesen Gipfel protestieren will, soll es tun – ich selbst war 2007 bei den Protesten in Heiligendamm und habe mich dort musikalisch positioniert. Protest? Na klar! Aber dann sollen die Leute dorthin gehen, wo der Gipfel stattfindet! Möglichst in Hör- und Sichtweite des Geschehens. Und bitte ausnahmslos friedlich. Es ist doch Wahnsinn, den Protest gegen den G-7-Gipfel von Elmau mit Gewalt in Leipzigs Innenstadt tragen zu wollen.

 

ZEIT: Was also zeigt das?

 

Krumbiegel: Dass diese Leute höchstens politische Trittbrettfahrer sind. Oder vielmehr, wie gesagt, in Wahrheit nur auf Randale aus sind.

 

ZEIT: Muss die linke Subkultur in Leipzig nicht dennoch aufpassen, dass sie nicht in ein falsches Licht gerückt wird?

 

Krumbiegel: Ja, das kann man so sehen.

 

ZEIT: Was folgt daraus?

 

Krumbiegel: Was ich bereits gesagt habe: Dass wir uns ganz klar von den betreffenden Gewalttätern distanzieren. Eine Frau wie Juliane Nagel von der Linkspartei, die von manchen zu Unrecht als Radikale beschimpft wird, hat sich ebenfalls deutlich von den Ausschreitungen distanziert. Bisweilen sitze ich zwischen allen Stühlen. Wenn etwa die Fassaden von Banken oder Bauunternehmern mit Farbbeuteln beworfen oder Menschen bedroht werden, kann ich das nicht unterstützen.

 

ZEIT: Allein seit Jahresbeginn gab es in Leipzig ein halbes Dutzend Vorfälle, für die "Linksautonome" verantwortlich sein sollen. Haben Sie und andere anfangs zu lange dazu geschwiegen?

 

Krumbiegel: Nein, ich habe doch meine Stimme erhoben. Wie ich mich immer gegen Gewalt ausgesprochen habe. Auch aus leidiger Erfahrung heraus. Beim Courage-Festival, das ich in den 1990er-Jahren mit gegründet habe, um Nazi-Aufmärsche vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal zu verhindern, hatten wir auch schon einmal Probleme mit Randalierern, die Sachen zertrümmert oder sich mit der Polizei angelegt haben. Was sie taten, war völlig kontraproduktiv. Kontraproduktiv wie übrigens auch Teile der Extremismusdebatte in Sachsen.

 

ZEIT: Wie meinen Sie das?

 

Krumbiegel: Wer sich in Sachsen als Antifaschist engagiert, gerät schnell in Rechtfertigungszwänge. Wer gegen Rechtsradikale vorgeht, ist doch nicht automatisch linksradikal! Leider haben das viele aus Politik und Justiz im sehr konservativ regierten Sachsen immer noch nicht begriffen.

 

ZEIT: Worauf spielen Sie an?

 

Krumbiegel: Denken Sie nur an Jugendpfarrer Lothar König, von dem ich weiß, dass er kein radikaler Heißmacher ist. Er wurde, ebenso wie das Bündnis "Dresden Nazifrei", mit Prozessen überzogen. Wenn man friedliche Demonstranten kriminalisiert, geht das nach hinten los. In Sachsens Justiz oder auch in der Landesregierung agiert man in diesem Punkt wenig sensibel. Übrigens auch nicht bei der Aufarbeitung der NSU-Morde. Aber das ist ein anderes Thema.

 

ZEIT: Ist es wirklich abwegig, Kämpfer gegen Rechtsradikalismus auch mal nach ihrer Haltung zum Linksradikalismus zu befragen?

 

Krumbiegel: Mein Problem damit ist, dass dann meist sehr formal argumentiert wird, anstatt mit Inhalten. Es gibt doch zum Beispiel Statistiken darüber, wie viele Menschen seit dem Mauerfall in Deutschland durch Rechtsradikale getötet worden sind. Weit mehr als hundert! Ich möchte Linksradikalismus keineswegs bagatellisieren, aber so etwas gibt es da nicht.

 

ZEIT: Was passiert, wenn die Ausschreitungen in Leipzig weitergehen, also immer wieder gewalttätige Gruppen durch die Stadt ziehen? Wäre nicht auch dies einmal ein Anlass für eine Aktion – zum Beispiel für ein Konzert gegen Gewalt?

 

Krumbiegel: Wenn ich Konzerte gegen Neonazis organisiere, entspringt das meiner tiefen Überzeugung, die sich gegen deren Menschenbild und politische Ziele richtet. Wer mich fragt, warum ich nicht mal ein Konzert gegen linksradikale Gewalttäter mache, dem würde ich entgegenhalten: Ich glaube nicht, dass das wirklich Linksradikale sind. Für mich sind das angry young men, die nur vorgeben, dass sie politische Inhalte hätten. Ein Festival gegen Linksradikalismus? Nein, das würde den Kern des Problems nicht treffen.