Berliner Polizeiführer rebellieren gegen das Präsidium

Erstveröffentlicht: 
19.06.2015

Die Polizei leidet unter großem Personalmangel - und am Wochenende warten gleich mehrere Großveranstaltungen. Heftiger Widerstand kommt nun aus den eigenen Reihen.

 

Polizeiführer begehren gegen das Polizeipräsidium auf. Der Grund: Personalmangel und Organisations-Chaos. Anlass dafür ist die internationale Laufveranstaltung Nike Women’s Run, die an diesem Sonnabend in Berlin stattfindet. Nach Informationen der Berliner Zeitung kann die Polizeidirektion 4, die für Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf zuständig ist, nicht genügend Beamte stellen.

Der Lauf soll vom Tempelhofer Feld auf einer Zehn-Kilometer-Strecke durch Kreuzberg und zurück führen. Im Polizeipräsidium bemerkte man nun, dass mehr Einsatzkräfte benötigt werden als geplant, weil noch mehr Veranstaltungen und Demos betreut werden müssen. Deshalb bekamen am Donnerstag die Abschnitte der Direktion 4 die Anweisung, spontan für den Dienst am Sonnabend 20 Beamte einzuteilen. Die Polizisten sollten nicht auf Streife gehen, sondern sich in einer Abschnittshundertschaft melden, um die Laufveranstaltung von 15 bis 23 Uhr zu begleiten. Das erzeugte Ärger, den es in diesem Ausmaß noch nicht gab: Die Leiter mehrerer Abschnitte „remonstrierten“, wie es im Beamtendeutsch heißt.

 

Remonstrieren ist keine Befehlsverweigerung, das ist verboten, sondern eine Einwendung gegen eine Weisung, wenn ein Beamter Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat. Die Dienststellenleiter beschwerten sich und begründeten ihr Handeln auch mit ihrer sozialen Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern. Denn die Dienststellen sind nach Angaben von Mitarbeitern personell am Ende. „Wir können einfach nicht mehr!“ war am Freitag aus mehreren Abschnitten zu hören.

Erfolgreicher Protest

Der Protest der Polizeichefs, dem sich der Direktionsleiter anschloss, war erfolgreich. Am Freitagmorgen verschickte die Einsatzsteuerung intern eine E-Mail: „Nach Remonstration mehrerer Abschnitte (...) ergeht folgende Weisung: Die am gestrigen Tag aufgestellten Teilkräfte der Abschnittshundertschaft werden hiermit abgesagt!“ Auch der Versuch, aus anderen Bereichen Leute zu holen, blieb erfolglos. Jetzt sollen sich Einheiten gegenseitig unterstützen.

 

Kurzfristige Alarmierungen wie jetzt häuften sich in letzter Zeit. Laut Gewerkschaft der Polizei wurden 2014 in 125 Fällen Beamte der 37 Berliner Abschnitte für Alarmdienste heran- und den Bürgern entzogen. Dies gehe zulasten der Sicherheit im Kiez. 2012 waren es noch 99 Alarmdienste. Anfang des Monats kritisierte der Gesamtpersonalrat in einem Brief an Polizeipräsident Klaus Kandt die chaotische Einsatzplanung. Es komme zu „völlig ungehemmten extrem kurzfristigen Alarmierungen“, die die betroffenen Familien der Beamten schwersten Belastungen aussetze.

„Natürlich gibt es eine hohe Einsatzbelastung gerade im Sommer bei Veranstaltungen“, sagt dagegen Polizeisprecher Volker-Alexander Tönnies. „Gerade wenn wir deshalb zusätzliche Leute in den Dienst holen, versuchen wir das mit Augenmaß zu machen.“

 

Mehrere Straßenfeste zeitgleich

An diesem Sonnabend ist die Polizei mit mehreren hundert Beamten stadtweit im Einsatz. Sie muss die Fête de la Musique betreuen, das Schwul-Lesbische Stadtfest oder das Motzstraßenfest. All diese Veranstaltungen sind sicher nicht krawallträchtig.

Vor allem aber hofft die Polizei, dass nichts Größeres passiert. Denn immer öfter gelangt sie personell an die Grenzen. So musste sie Anfang vergangener Woche eine Massenschlägerei vor einem Festsaal an der Tempelhofer Ullsteinstraße schlichten. Sie musste Kräfte aus der ganzen Direktion 4 zusammenziehen. Auch aus Zehlendorf kamen die Funkwagen.

Als es am vergangenen Wochenende eine Razzia gegen eine Bande gab, musste das Nachbarland aushelfen. In einem verwahrlosten Haus an der Grunewaldstraße waren zwei Familien aneinander geraten. Ein Spezialeinsatzkommando aus Brandenburg musste dort die Tür einrammen, weil die Berliner SEK-Leute schon mit der Razzia zu tun hatten.