Bundesregierung will Ulbig stoppen - keine verstärkten Grenzkontrollen

Erstveröffentlicht: 
16.06.2015

Schengen-Ausnahmen: Sachsens Innenminister bleibt trotz Gegenwind bei seinen Forderungen

 

Von Andreas Debski und Jürgen Kochinke


Dresden. Sachsen lässt es zur Machtprobe mit der Bundesregierung kommen: Kaum hatte Innenminister Markus Ulbig (CDU) gestern seine Forderung nach verstärkten Grenzkontrollen exklusiv in der Leipziger Volkszeitung öffentlich gemacht, reagierte die Bundesregierung - mit deutlicher Ablehnung und harscher Kritik. Es werde "keine Veränderung des Schengener Grenzkodex" angestrebt, hielt Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin entgegen und betonte, dass die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an "außergewöhnliche Umstände und strenge Bedingungen" geknüpft sei. Und da die Kontrollen bis gestern liefen, seien die Berichte über die Folgen sowieso "nur vorläufiger Natur".


Die bisherigen Zahlen sprechen allerdings eine klare Sprache. Im Umfeld des G7-Gipfels im bayerischen Elmau waren die Kontrollen seit dem 26. Mai verstärkt worden, um gewalttätige Gegner des Treffens zu stoppen. Fündig wurden die Polizisten zwar - aber nicht bei Gipfelgegnern. Deutschlandweit wurden allein bis zur Halbzeit 6600 Menschen wegen unerlaubter Einreise aufgegriffen, so das Bundespolizeipräsidium. Daneben gingen den Beamten etwa doppelt so viele Kriminelle wie unter normalen Umständen ins Netz. Auf Sachsen entfiel der größte Anteil (300 von 450 Straftaten). Verstöße waren unter anderem Drogen- oder Waffenbesitz, Urkundenfälschung, Fahren ohne Fahrerlaubnis. Außerdem wurden 50 Personen, die zur Fahndung ausgeschrieben oder per Haftbefehl gesucht waren, festgenommen. Laut Ansicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) haben die Kontrollen "große Sicherheitslücken" aufgedeckt.


Kein Wunder, dass Ulbig von einem erfolgreichen Einsatz spricht. Nach den Erfahrungen rund um den G7-Gipfel könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, hatte der Innenminister gegenüber der LVZ klargemacht - und stellt sich damit gegen die Bundesregierung, die ihn nun stoppen will. Zwar könne das Schengen-Abkommen nicht ausgehebelt werden, erklärte Ulbig, es müsse aber darüber nachgedacht werden, bestehende Ausnahmeregelungen zu erweitern. Deshalb wird Sachsen bei der Innenministerkonferenz in der nächsten Woche an seinen Plänen festhalten: Mit seinem bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann (CSU) wird Ulbig eine entsprechende Initiative starten.


Die Stoßrichtung ist eindeutig: Ausnahmen von Schengen sind nur mit sehr triftigen Gründen möglich - etwa bei der Bedrohung der inneren Sicherheit, und darauf scheinen Sachsen und Bayern abzuzielen. "Durch stärkere Kontrollen steigen die Chancen, Straftäter zu fassen", trotzt Sachsens Innenminister dem Gegenwind aus Berlin. Das sieht die Handwerkskammer Dresden genauso. "Diesen Vorstoß kann das Handwerk nur befürworten", sagt Kammerpräsident Präsident Jörg Dittrich. Zahlreiche Betriebe seien in den vergangenen Jahren zum Teil mehrfach durch Kriminalität betroffen gewesen, so Dittrich. "40 Prozent der Handwerksbetriebe in Ostsachsen bewerten die Sicherheitslage als schlecht. In den Regionen in Grenznähe fallen die Bewertungen noch negativer aus."


Änderungen können allerdings nur durchgesetzt werden, wenn die Bundesregierung mitzieht - und dafür müssen sich die Innenminister im Grundsatz einig sein. Fest steht bereits: Thüringen und Niedersachsen sind von den Plänen aus Dresden und München nicht begeistert. Widerstand baut sich ebenfalls in der sächsischen Regierungskoalition auf: "Ich bin da skeptisch, wir sollten das Schengen-Abkommen nicht aushöhlen. Wir sollten nicht mit undifferenzierten Forderungen nach mehr Kontrollen Mauern in den Köpfen wieder hochziehen", fährt SPD-Innenexperte Albrecht Pallas dem CDU-Minister in die Parade.


Die sächsische Opposition kritisiert Ulbig heftig - und weist umgehend auf hausgemachte Personaldefizite hin. "Die Forderung nach mehr Grenzkontrollen ist nicht mehr als eine aufmerksamkeitsheischende Scheinlösung. Der Fahndungsdruck auf den Straßen in Sachsen wurde längst dem finanzpolitischen Paradigma des Personalabbaus geopfert", kontert der Linken-Innenexperte Enrico Stange. "Nun soll der muffig-konservative Rückgriff auf anti-europäische Kleinstaaterei ihn ersetzen. Statt dieses Irrwegs brauchen wir eine besser ausgebildete und ausgestattete Polizei."


Auch Valentin Lippmann, der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, geht Ulbig hart an: "Wer seit Jahren Stellen bei der Polizei abbaut, braucht nicht wieder das Lied von den Grenzkontrollen zur Bekämpfung der Kriminalität zu singen. Diese Diskussionen gehen komplett am Problem vorbei." Das Fazit von Lippmann ist eindeutig: "Mit der Forderung nach mehr Grenzkontrollen versucht die CDU, ihr eigenes Versagen in der Sicherheitspolitik zu kaschieren."