Sachsen und Bayern wollen Grenzen stärker kontrollieren

Erstveröffentlicht: 
15.06.2015

Vor G7 doppelt so viele Kriminelle dingfest gemacht / Innenminister Ulbig: Brauchen weitere Ausnahmen

 

VON ANDREAS DEBSKI UND JÜRGEN KOCHINKE


Dresden. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) drängt auf stärkere Grenzkontrollen. Nach den Erfahrungen rund um den G7-Gipfel könne man "nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen", sagte Ulbig der Leipziger Volkszeitung. Zwar könne das Schengen-Abkommen nicht ausgehebelt werden - es müsse aber darüber nachgedacht werden, bestehende Ausnahmeregelungen zu erweitern. Sachsen plant bei der bevorstehenden Innenministerkonferenz eine entsprechende gemeinsame Initiative mit Bayern. Vor 30 Jahren war das Schengen-Abkommen zur Reisefreiheit unterzeichnet worden.


Hintergrund ist, dass zuletzt rund um den G7-Gipfel im oberbayerischen Elmau an den deutschen Grenzen vorübergehend die Kontrollen wieder eingeführt wurden. Damit sollten gewalttätige Demonstranten an der Einreise gehindert werden. Dabei gingen den Beamten etwa doppelt so viele Kriminelle ins Netz wie unter normalen Umständen. Dies nimmt Ulbig zum Anlass seiner Initiative. "Mit Hilfe dieser zeitlich begrenzten Ausnahme von der allgemeinen Schengen-Regelung konnten viele Straftäter dingfest gemacht werden", begründete der Innenminister seinen Vorstoß. "Wir werten das als Signal dafür, uns in Zukunft verstärkt diesem Problem zu widmen."


Das soll so rasch wie möglich geschehen. "Ich habe mich mit meinem bayerischen Ministerkollegen Joachim Herrmann von der CSU darauf geeinigt, das Thema bei der Innenministerkonferenz in Mainz auf die Tagesordnung zu setzen." Gleichzeitig warnt Ulbig vor Schnellschüssen: Bei den aktuellen Fahndungstreffern handele es sich nicht selten um sogenannte Kontrolldelikte. "Wenn wir allerdings kontinuierlich Kontrollen durchführen würden, hätten sich die Kriminellen irgendwann wieder darauf eingestellt." Damit stellt sich der Minister gegen weitergehende Forderungen aus der Sachsen-CDU. So forderte der Leipziger EU-Abgeordnete Hermann Winkler (CDU) die Wiedereinführung der Grenzkontrollen. Ähnlich äußerte sich auch der Bautzner CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann. Ulbig hält davon nichts. "Wir können Schengen nicht einfach aushebeln, sondern müssen nach Möglichkeiten suchen, die Regelung den aktuellen Problemlagen anzupassen." Ziel der Initiative sei es, eine Diskussion anzustoßen: Man müsse sich anschauen, welche Ausnahmen die Schengen-Regelung zulässt. Es sei zu prüfen, ob diese nur für G7-Gipfel gelten oder ob es weitere Möglichkeiten gebe. "Dahinter steht die Frage, ob man die Ausnahmemöglichkeit erweitern und etwas häufiger davon Gebrauch machen kann", so Ulbig.


Erst kürzlich hatte sich auch der Chef der Gewerkschaft der Bundespolizei, Jörg Radek, für dauerhaft verstärkte Stichproben-Kontrollen in einem 30-Kilometer-Radius an den deutschen Außengrenzen ausgesprochen. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Strobl, äußerte sich ähnlich. Schlagbäume soll es demnach zwar nicht wieder geben. Doch mehr Kontrollen seien "durchaus sinnvoll", sagte Strobl. FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete die Unionspläne allerdings als "mittelalterliche Kleinstaaterei".


 

 

Wenn Bürger nachts auf Streife gehen

Angst vor Kriminalität: Bürgerwehren patrouillieren in Ostsachsen / Polizei warnt vor Selbstjustiz

Von Rolf Ullmann


Rothenburg. Weil sich die Einwohner an den Grenzen zu Polen und Tschechien nicht mehr sicher fühlen, werden sie selbst aktiv - und patrouillieren in Ost- sachsen auf eigene Faust.


Es wird Nacht im kleinen Rothenburger Ortsteil Dunkelhäuser. Entlang der Straße reihen sich auf beiden Seiten Einfamilienhäuser. Ein weißer Kleintransporter mit polnischem Kennzeichen rollt vorbei. Nicht ungewöhnlich - ist die Grenze zu Polen doch nur wenige Kilometer von dem Ort in der Oberlausitz entfernt. Doch der Wagen fährt auffällig langsam. Grund genug für eine selbsternannte Bürgerwehr, aktiv zu werden. Hände greifen zum Handy. Nur wenige Minuten später erscheint eine neue Nachricht auf der Facebook-Seite "Gegen Diebstahl in Rothenburg". "Achtung ein weißer Transporter fährt auffällig langsam durch Dunkelhäuser", ist im Internet zu lesen.


Seit Anfang des Jahres gibt es die Seite. Innerhalb weniger Tage schlossen sich ihr mehr als 1000 Nutzer an. Inzwischen ist sie nicht mehr öffentlich, sondern nur noch als geschlossene Gruppe mit derzeit knapp 1100 Mitgliedern aktiv. Längst gehören ihr auch Menschen aus anderen ostsächsischen Orten wie Niesky, Kreba-Neudorf oder Trebus an. Ihr Motto, so steht es auf der Seite: "Grenzkriminalität stoppen!" Ins Leben gerufen haben die Bürgerinitiative Eric Roitsch und Henry Witschel. Weil sie und andere, so sagen sie, sich in Rothenburg nicht mehr sicher fühlen und etwas gegen die Grenzkriminalität tun wollen. Die Gruppe besteht aus einem festen Kern von etwa zehn Leuten. Regelmäßig gehen sie nachts mit zwei Autos "auf Streife". Dabei gebe es feste Regeln, so die Gründer: Keine Gewalt, keine ausländerfeindlichen Parolen - und niemals allein unterwegs sein.


Bestätigt sieht sich die Bürgerwehr durch Zahlen der Polizeidirektion in Görlitz: Gab es von November 2014 bis Mitte Januar in der Gegend 34 Fälle von Eigentumskriminalität, wurden seit Januar bis Anfang Juni noch etwa 20 Fälle registriert, darunter vor allem Fahrraddiebstähle. "Inzwischen stellt Rothenburg in diesem Bereich keinen Schwerpunkt mehr dar", sagt Andrè Schäfer von der Polizeidirektion Görlitz. Von Beginn an arbeitet die Bürgerinitiative eng mit Polizei und Stadt zusammen. Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums agieren die Bürgerwehren aber ohne rechtliche Grundlage. Zwar sei die Wachsamkeit der Bevölkerung wichtige Voraussetzung für polizeiliche Arbeit. Dennoch dürften die Bürgerwehren nicht die Grenze zur Selbstjustiz übertreten.


Das Landeskriminalamt hat keinen Überblick, wo überall in Sachsen Bürger Wache schieben. In Ostritz nahe der polnischen Grenze gibt es seit Ende 2014 die Initiative "Sicheres Ostritz". In dem 2450-Seelen-Städtchen waren viele schon von Einbrüchen und Diebstählen betroffen. Hartmut Ehrentraut, der das Hotel Neisseblick direkt an der Grenze leitet, führt Statistik: Zwischen 2011 und 2015 zählte er 16 Einbrüche. Die drei Einbrüche in diesem Jahr hat Ehrentraut gar nicht erst zur Anzeige gebracht. "Solche Anzeigen haben gar keinen Zweck. Denn die Täter werden doch nicht gefunden."


Die Sorge kann Reinhard Gärtner vom Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft verstehen - wenn er auch nichts von den Bürgerwehren hält. "Vor allem an der Grenze werden die Leute selbst aktiv. Personalabbau der letzten Jahre und Einsparungen rächen sich nun." Gerade in Ostsachsen seien die Einsatzgebiete groß und die Wege so weit, dass es mitunter lange dauere, bis die Polizisten etwa bei einem Einbruch vor Ort seien. "Das Problem lässt sich nur durch mehr Personal lösen", so Gärtner.


In den Städten und Gemeinden, die sich im grenznahen Bereich zu Polen befinden registrierte die Polizei 2013 insgesamt 13182 Straftaten - davon etwa zwei Drittel Eigentumsdelikte. 2014 lag die Zahl der Straftaten mit 14324 deutlich höher. Die Polizei vor Ort sieht die Tätigkeit der Bürgerwehr mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite begrüßt sie das Engagement, auf der anderen Seite sei bei der Bekämpfung der Kriminalität die Polizei verantwortlich. Der rechtliche Rahmen, in denen sich solche Bürgerinitiativen bewegen, wird durch das "Jedermannsrecht" geregelt. Demnach hat jeder Bürger das Recht, einen Tatverdächtigen so lange festzuhalten, bis die Polizei eintrifft. Wird der Täter beim Festhalten oder einer Verfolgung verletzt, kann sich der selbsternannte Aktivist strafbar machen. Zudem müssen auch Mitglieder der Bürgerwehren damit rechnen, angegriffen zu werden. Schäfer rät, abzuwägen, wie viel einem Rasenmäher oder Auto wert sind. "Sicher nicht die Gesundheit und schon gar nicht das eigene Leben."