Die linksradikale Szene will sich in Leipzig selbst überbieten, warnt Polizeichef Bernd Merbitz.
Seit Jahren gibt es in Leipzig immer wieder Randale und gewalttätige Übergriffe von Jugendlichen. In den vergangenen Monaten eskalierte die Situation. Nun will die Polizei eine Sonderkommission bilden, um gegen die Ausschreitungen effektiver vorzugehen und deren Urheber zu ermitteln.
Herr Merbitz, Leipzig erlebt immer schlimmere Gewaltausbrüche von Linksautonomen. Gerichte, Polizeistationen, selbst Reisebusse werden attackiert. Was ist da los?
Ausufernde Schneeballschlachten samt brennender Mülltonnen, Gewalt in Silvesternächten, Angriffe auf Supermärkte und Sanierungsobjekte kennen wir leider seit Jahren in Connewitz. Beinahe jedes staatliche Handeln gegen sogenannte Aktivisten in Deutschland und Europa führt zu Resonanz-Aktionen der linken Szene in Leipzig. Und weil Staat und Polizei ohnehin an allem Schuld tragen, gibt es noch Versammlungen gegen Repression und angebliche polizeiliche Willkür. Wir erleben also leider nichts Neues, sondern eine Häufung.
Warum jetzt?
Den Beginn kann man an einem Gewaltaufruf zu Silvester 2014 festmachen. Ungefähr zu der Zeit wurde bekannt, dass Legida ab Januar in Leipzig in Erscheinung treten will. Da liegt es auf der Hand, dass Pegida und Co. für die linksextremistische Szene und ihr aggressives Agieren als eine Art Katalysator wirken. Gleichzeitig erleben wir ein Anschwellen der Flüchtlingswelle, eine Wiederkehr von Kultur- und Religionskonflikten, Wirtschaftskrisen und Kriegshandlungen, ein wachsendes Wohlstandsgefälle sowie eine Politik, die Antworten teils schuldig bleibt. Für Linksextremisten und ihr anarchistisches Weltbild sind es damit wahrhaft „goldene Zeiten“, um vermeintliche Gründe für Gewalt zu finden.
Wer sind die Leute, wie setzt sich die Szene zusammen?
Prinzipiell bewegen sich die Täter in einer überschaubar strukturierten Welt und folgen einfachen Regeln. Sie fühlen sich ein Stück weit auserwählt. Andersdenkende oder Vertreter verhasster Institutionen sind verachtenswerte Feinde, die es mit Gewalt zu bekehren oder mundtot zu machen gilt. Aber es würde zu kurz greifen, die Szene als Ansammlung verwirrter Dummköpfe abzutun. Im Gegenteil, viele Aufrufe und Bekennerschreiben lassen hochintelligente Taktgeber erkennen. Als Kriminalist glaube ich nicht an Zufall, wenn gleich mehrfach Spontanversammlungen, die Gewalttätigkeiten nach sich zogen, in direkter Nähe einer geisteswissenschaftlichen Studieneinrichtung ihren Auftakt nahmen. Die Szene verfügt über ein großes Potenzial an gebildeten Führungspersönlichkeiten: „geistige Brandstifter“.
Aber sie sind gewalttätig.
Durch sehr aggressives Vorgehen oder häufige Teilnahme an Gewalttaten versuchen sich Mitglieder als besonders aktiv zu profilieren. Dies bedingt ein gegenseitiges Sich-Überbieten. Zudem müssen wir von Magnetwirkungen ausgehen. Die Gewalttätigkeiten der Leipziger Szene machen sie für Gleichgesinnte interessant, dass mit einem Zuzug von außen zu rechnen ist. Es tritt ein sich selbst verstärkender Effekt ein.
Wie reagiert die Polizei auf die neue Stufe der Gewalt?
Es ist nicht allein die Aufgabe der Polizei, den Linksextremismus zu bekämpfen. Diesen Kampf muss die Gesellschaft ausfechten. Damit meine ich im Speziellen auch linkspolitische Kräfte. Die Polizei steht dabei unstrittig an vorderster Front. Diese kriegerischen Begriffe verwende ich bewusst, weil das Vorgehen der Szene gegen die Polizei kriegerische Züge trägt. Da kann ich es einem Streifenbeamten nicht zumuten, einem militant auftretenden Mob gegenüberzutreten, der sein Vorgehen bis ins Detail abgesprochen hat. Ich brauche den auf Dauer angelegten Einsatz geschlossener Einheiten in Leipzig. Neben den drei Einsatzzügen der Polizeidirektion sind damit Kräfte der Bereitschaftspolizei gemeint. Für die Ermittlungsarbeit habe ich die Gründung der elfköpfigen Soko „Johanna-Park“ initiiert, die die jüngste Randale aufarbeiten soll.
Warum gelingt es der Polizei nicht, stärker einzugreifen, wenn es brennt?
Wir haben es mit einer Klientel zu tun, die in größeren Gruppen gezielt Gewalt verübt, somit das Erscheinen der Polizei provoziert und dann eintreffende Beamte massiv und vorzugsweise durch Bewurf aus größerer Entfernung attackiert. Zudem agieren die Täter mit eigenen Aufklärungspersonen, die ihre Kumpane vor Polizeibeamten warnen. Das Vorgehen ist detailliert abgestimmt. Diese Faktoren überraschen uns nicht, aber wir haben leider noch nicht die Glaskugel gefunden, die uns den nächsten Ort und Zeitpunkt verrät. Daher betrachte ich den Einsatz vom letzten Freitag auch als Erfolg, weil wir den Radius der Täter erheblich einschränken und einen Täter festnehmen konnten.
Fühlen Sie sich von ihrem Innenminister ausreichend unterstützt?
Es muss umgehend dafür Sorge getragen werden, unsere Präsenz durch geschlossene Einheiten zu erhöhen. Die Staatsregierung und besonders das Innenressort haben mir öffentlich und im Vertrauen die volle Unterstützung zugesagt. Ich habe keinerlei Grund, daran zu zweifeln.
Haben Polizei und Stadtpolitik zu lange bei Linksextremisten weggeschaut, weil sie ein Pfund sind in der Bekämpfung des Rechtsextremismus?
Fakt ist, dass weder die Leipziger Polizei noch die Stadt Leipzig über viele Jahre verhindert haben, dass sich die Szene bis zu ihrer heutigen Blüte entwickelt hat. Das ist für beide Seiten kein Ruhmesblatt. Wegschauen war dies aber nicht, beide Seiten haben die Thematik schon früher besprochen. Jedoch hat das Problem immer wieder einen Bedeutungsverlust und eine gewisse Verharmlosung erfahren. Dafür sorgen leider auch Mandatsträger. Wenn die Landtagsabgeordnete der Linken, Juliane Nagel, hinter den Angriffen auf Gerichte und die Ausländerbehörde ein politisches Ziel sehen kann, ist das Ermutigung der Täter und eine Rechtfertigung ihrer Taten.
Interview: Sven Heitkamp