Das Problem mit der gewaltbereiten linksautonomen Szene in Leipzig lässt sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht kurzfristig lösen. "Allein mit harter Repression und der schnellen Verurteilung von Straftätern, so wünschenswert diese auch ist, kann man dem nicht beikommen", sagte Martin Döring, Leiter des Stabsstelle beim Landesamt für Verfassungsschutz gegenüber der LVZ.
"Die linksautonome gewaltbereite Szene hat in Leipzig einen ganz konkreten, geografisch fassbaren Rückzugsraum", so Döring. "In dieser Ausprägung, in dieser Geschlossenheit, wie das in Connewitz der Fall ist, kann man das bundesweit nur ganz selten feststellen." Die Extremisten versuchten, Räume zu okkupieren, dort kulturell auszustrahlen, Politik zu machen, um zu signalisieren: Hier kann uns niemand etwas, hier agieren wir autonom.
Vielleicht sei Leipzig dieser gefährlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren nicht mit dem nötigen Nachdruck begegnet, so Döring. "Die offene Bürgergesellschaft muss dem etwas entgegensetzen", sagte er. "Die Polizei hat das getan, indem sie eine Dienststelle eingerichtet hat." Dies dokumentiere den Willen, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Zum kollektiven Selbstverständnis von autonomen Linksextremisten gehöre aber, dieses staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen. Deshalb würden neben Polizeidienststellen nun auch verstärkt Gerichte und die Staatsanwaltschaft angegriffen.
"Dass die autonome Szene in Leipzig so homogen und aktionsstark ist, hat auch etwas damit zu tun, dass sie es nicht beim Theoretisieren belässt, sondern Hassobjekte dieses staatlichen Gewaltmonopols angreift", schilderte der Geheimdienstmann. "Dabei nimmt man zunehmend auch Schäden an Leib und Leben anderer Menschen in Kauf, in Leipzig hat es da durchaus eine wachsende Militanz und Radikalisierung dieser Szene gegeben."
Geplant und vorbereitet würden Aktionen wie am vorigen Freitag von
einem kleinen und konspirativ agierenden Kreis. Dazu gehöre
Recherchearbeit, auch um das eigene Entdeckungsrisiko zu minimieren. Die
Szene gehe arbeitsteilig vor: Es gebe Ideologen, Planer, Rechercheure
und Leute für Öffentlichkeitsarbeit. "Hier kann man der Leipziger Szene
eine gewisse Professionalität attestieren", sagte Döring. "Die
Initiatoren können über 30 oder 40 Jahre alt sein und über eine längere
Szenezugehörigkeit verfügen."
Es sei sein ausdrücklicher Wunsch an die offene Bürgergesellschaft in
Leipzig, dass sie sich politisch engagierter und offener mit diesem
gewaltbereiten Linksextremismus auseinandersetzt, so Döring. "Vielleicht
zeigen die normalen Bürger von Connewitz mal klare Kante, organisieren
sich und sagen: Connewitz ist auch unser Connewitz." Allerdings sei in
dem Stadtteil auch ein bedauerlicher Gewöhnungseffekt eingetreten: "Es
kann nicht sein, dass es zur Folklore gehört, wenn Gewalttäter im
öffentlichen Raum randalieren, Eigentum von anderen zerstören und
Menschen angreifen."
Laut Verfassungsschutzbericht ist die Zahl der linksextremistischen
Straftaten in Leipzig 2014 auf 227 (Vorjahr: 186) gestiegen, davon 67
Gewalttaten (Vorjahr: 42). Frank Döring
Linkspolitikerin: Ich kann das nicht einordnen
Juliane Nagel rät zu Gespräch mit Polizei und Stadt
Von Jens Rometsch
Sie gilt als bestens vernetzt in der Connewitzer und Plagwitzer Szene.
Doch auf den Gewaltausbruch vom letzten Freitag kann sich Juliane Nagel,
Landtagsabgeordnete der Linken, nach eigener Auskunft keinen Reim
machen. "Wenn eine Gruppe einen Reisebus angreift und die Scheiben
zerstört, ist für mich dahinter kein politisches Motiv erkennbar", sagte
die 36-Jährige der LVZ. "Offenbar ist da eine neue Generation
entstanden, die nur gezielt Gewalt ausüben will."
Bei vorangegangenen Attacken auf Gerichte oder Leipzigs
Ausländerbehörde sei das noch anders gewesen. "Auch wenn Gewalt für mich
kein Mittel ist, war da ein politisches Ziel zu sehen." Zu den Ursachen
und handelnden Personen der jetzigen Ausschreitungen sagte Nagel: "Ich
kann das nicht einordnen. Mit blinder Gewalt erzeugen sie genau das,
wogegen sie sich vermutlich wenden: mehr Druck gegenüber alternativen
Ansätzen und selbstverwalteten Projekten."
Durch mehr Polizei allein dürften sich Zerstörungszüge aber nicht
verhindern lassen. Die Zahl der Beamten in Leipzig müsse aus anderen
Gründen erhöht werden: Weil die Stadt wächst und wegen einer
misslungenen Polizeireform. Für eine Entspannung wären laut Nagel
gemeinsame Gespräche zwischen Polizei, Stadt und Bürgerbündnissen ein
Ansatz. So bemühe sich die Initiative "Leipzig nimmt Platz" gerade um
ein Treffen mit der Polizei, bei dem es um Probleme bei den Protesten
gegen Legida gehen soll. Als Unfug bezeichnete die Politikerin die
Theorie, Teile der Leipziger Linken, Grünen und Jusos hätten - etwa
durch ein aggressives Auftreten gegenüber der Alternative für
Deutschland (AfD) - den Boden für heutige Probleme mit bereitet. Nagel:
"Die demokratischen Parteien haben stets klare Prämissen gesetzt, was
zum Protest gehört und was nicht."