Syrische Flüchtlingsfamilie darf nach missglückter Abschiebung vorerst in Stollberg bleiben
Von Roland Herold
 Leipzig. Der Begriff "gelebte Integration auf Sächsisch" stammte
 von Innenminister Markus Ulbig (CDU) selbst. Ulbig war Anfang April 
unter dem Eindruck der Pegida-Demonstrationen in Dresden bei der 
syrischen Flüchtlingsfamilie Merjan in Stollberg zu Besuch gewesen. Dort
 hatte er ein "Herzlich Willkommen" auf eine Tafel geschrieben, sich auf
 der Couch und in freier Natur mit den Syrern ablichten lassen und 
anschließend die Begegnung PR-wirksam auf Facebook gepostet. 
 Die syrische Familie - der depressive und suizid-gefährdete Vater, die 
risikoschwangere Mutter sowie die vier Kinder - hatten gerade eine neue 
Wohnung bezogen. Die drei älteren Kinder sprechen bereits sehr gut 
Deutsch, die anderen warteten auf einen Deutschkurs, der am 20. Mai 
beginnen sollte. 
Zwei Tage zuvor jedoch, in der Nacht vom 18. zum 19. Mai, klopfte die 
Polizei an der Tür der Familie und brachte sie in einer 
Nacht-und-Nebel-Aktion zum Flughafen Berlin-Schönefeld, von wo aus sie 
nach Bulgarien abgeschoben werden sollte. Denn die Merjans waren von 
dort eingereist und hätten demzufolge auch dort einen Asylantrag stellen
 müssen. Selbst Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth hob die 
Hände. Der Härtefallkommission sei es nicht möglich, einzugreifen. Die 
Merjans wussten darum, hofften nach dem Besuch Ulbigs, dem sie das 
Problem anvertrauten, jedoch auf ministeriale Gnade. Stattdessen kam die
 Polizei.
Auf dem Flughafen in Berlin eskalierte die Situation dann. Die vier 
syrischen Kinder mussten mit ansehen, wie sich ihr Vater und ihre 
schwangere Mutter so sehr gegen die Beamten wehrten, dass sich 
schließlich die Besatzung der bulgarischen Maschine weigerte, die 
Abgeschobenen an Bord zu nehmen.
Der öffentliche Aufschrei der Empörung danach war entsprechend groß: Die
 Grünen und Linken sprachen von einer inhumanen Abschiebepolitik des 
Freistaats und davon, dass der Familie falsche Hoffnungen gemacht worden
 seien. Die Kirche in Stollberg, die sich um die Flüchtlinge kümmerte, 
kritisierte  die "Realitätsferne" des sächsischen Ausländergesetzes.
Nur Innenminister Ulbig ging auf Tauchstation. Seine Sprecher erklärten,
 der Fall sei zwar misslich, aber rechtens.Gestern nun zog das 
Verwaltungsgericht in Chemnitz die Reißleine. Die 5. Kammer ordnete die 
aufschiebende Wirkung der Klage der syrischen Familie gegen deren 
Rückführung nach Bulgarien bis zur Entscheidung der Verfahren in der 
Hauptsache an. Die Merjans gehörten laut Begründung aufgrund ihrer 
besonderen familiäre Situation zu einer Personengruppe mit gesteigertem 
Schutzbedürfnis, der im Einzelfall eine Rückführung nicht zuzumuten sei,
 hieß es weiter. 
Die Freude im Innenministerium über die Atempause der Besuchten  las 
sich dann gestern so: "Nach gescheiterter Durchsetzung der 
Ausreisepflicht wird routinemäßig vorübergehend eine Duldung nach § 60a 
Aufenthaltsgesetz erteilt. Die zuständige Untere Ausländerbehörde des 
Landkreises Erzgebirgskreis prüft bei veränderten Lebensumständen daraus
 resultierende Reflexe auf das künftige Aufenthaltsrecht der Familie."
Für die Merjans geht damit das Bangen in eine neue Runde. Die Familie 
befindet sich gegenwärtig in Stollberg in Obhut der Kirche. Von der 
"gelebten Integration auf Sächsisch" hat sie aber bereits mehr als genug
 erlebt.
