Am Wochenende zogen Randalierer eine Spur der Verwüstung durch Leipzig. In einem offenen Brief wehrt sich Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) gegen Vorwürfe, Leipzig habe "Wohlfühlräume" für Chaoten geschaffen. Gleichzeitig müsse Leipzig offen für linke und alternative Lebensformen bleiben.
Leipzig. In einem offenen Brief an die Leipziger hat Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) am Mittwoch die Krawalle des vergangenen Wochenendes als „Angriff“ auf die Stadt verurteilt. Die Bürger dürften zu Recht erwarten, dass den Chaoten Grenzen aufgezeigt würden. Vorwürfe, Leipzig habe „Wohlfühlräume“ für derartige Auswüchse geschaffen, weist Jung vehement zurück.
„Kriminell ist kriminell, ob mit oder ohne politischen Hintergrund, ob von rechts oder links“, heißt es in seinem Statement. Auch bei der Gewalt vom linken Rand brauche Leipzig offene Augen und Ohren. Sie sei menschenverachtend und bedrohe das friedliche Zusammenleben. Für Prävention sieht das Stadtoberhaupt keine Spielräume mehr – deshalb sei die Verhinderung solcher Gewaltexzesse „in erster Linie eine Polizeiaufgabe“. Darin sei man sich mit den Gesetzeshütern einig.
Alternative nicht verteufeln
Jung begrüßte die Bildung der Sonderkommission „Johannapark“, in der elf Beamte des vom Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz geführten Operativen Abwehrzentrums und des Staatsschutzes zusammenarbeiten. „Mit entsprechender personeller und finanzieller Ausstattung bin ich mir sicher, dass es auch Ergebnisse geben wird“, so Leipzigs Oberbürgermeister.
Merbitz hatte am Dienstag im Interview mit LVZ.de geäußert, die Bekämpfung des Linksextremismus sei nicht allein Polizeiaufgabe, „sondern aller Leipziger Bürger, Funktions- und Verantwortungsträger“. Schöne Worte seien nicht genug. Der Polizeichef betonte, er wolle „ganz speziell die linkspolitischen Kräfte“ nicht aus der Verantwortung lassen.
Oberbürgermeister Jung warnt nun in seinem Brief allerdings auch davor, alles was „links“ und „alternativ“ sei, zu verteufeln. Menschen in alternativen Lebensformen dürften nicht mit Chaoten und vermummten Randalierern in einen Topf geworfen werden, heißt es weiter. Raum für die verschiedensten Lebensentwürfe zu bieten, mache Leipzig attraktiv. „Es ist auch von jeher Selbstverständnis Leipzigs.“
Der Brief von OBM Jung im Wortlaut
OBM Jung: "Angriff auf unsere Innenstadt"
Oberbürgermeister Jung zum linksextremen Anschlag des 5. Juni 2015
Liebe Leipzigerinnen, liebe Leipziger,
rund hundert höchst gewalttätige Chaoten haben am vergangenen Wochenende unsere Innenstadt angegriffen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Ich sage ganz bewusst "angegriffen", weil es aus meiner Sicht so verstanden werden muss. Und weil sich diese Kriminellen wohl auch selbst so verstehen: Sie erkennen diesen Staat nicht nur nicht an, sondern sie greifen ihn an. Eingeschlagene Scheiben, Brandsätze, verletzte Polizisten - diese Kriminellen kennen kaum noch eine Grenze. Respekt vor Eigentum darf man gar nicht erwarten, Respekt vor anderen Menschen und deren Gesundheit offenbar auch nicht. Das ist erschreckend, das macht mich traurig und wütend.
Sie als Bürgerinnen und Bürger der Stadt können und dürfen zu Recht erwarten, dass diesen Chaoten Grenzen aufgezeigt werden. Wir tolerieren keine rechtsfreien Räume! Es macht mich sprachlos, wenn behauptet wird, hundert Chaoten brächten doch den Rechtsstaat nicht ins Wanken. Ich bin in enger Abstimmung mit der Polizei vor Ort und wir tauschen uns aus, wie wir diese unerträglichen Gewaltexzesse künftig verhindern können. Wir sind uns auch darin einig, dass dies in erster Linie eine Polizeiaufgabe ist. Für Prävention ist es bei diesen Gewalttätern zu spät.
Ich habe in den vergangenen Monaten mehrfach an das Innenministerium in Dresden appelliert, dass das Polizeikonzept und vor allem die Personalausstattung in Leipzig überdacht werden muss. Jetzt wurde eine eigene Sonderkommission gegründet, die sich mit dem militanten Linksextremismus befasst, welche die Attacken der vergangenen Monate aufklären und die Drahtzieher identifizieren soll. Das ist ein guter und richtiger Schritt. Mit entsprechender personeller und finanzieller Ausstattung bin ich mir sicher, dass es auch Ergebnisse geben wird.
Mir ist aber zugleich wichtig, dass jetzt nicht alles, was "links" oder "alternativ" genannt wird, verteufelt wird. Leipzig wird auch weiterhin vielen Lebensformen und -entwürfen Raum bieten. Das macht unsere Stadt nicht nur attraktiv, sondern es ist auch von jeher Selbstverständnis Leipzigs. Menschen in alternativen Lebensformen in einen Topf zu werfen mit Randalierern und vermummten Chaoten ist unredlich. Ich wehre mich dagegen, dass Leipzig angeblich Wohlfühlräume für gewalttätige Chaoten geschaffen habe. Kriminell ist kriminell, ob mit oder ohne politischen Hintergrund, ob von rechts oder links.
In der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus haben wir in den vergangenen Jahren viel erreicht. Vor allem ist mittlerweile eine Alltagsaufmerksamkeit selbstverständlich, die Rassismus oder klammheimliche Sympathie erkennt und klar benennt. Auch bei der Gewalt vom linken Rand brauchen wir offene Augen und Ohren. Und wir müssen sie als das benennen, was sie ist: menschenverachtend und eine Bedrohung für unser friedliches Zusammenleben.
Ihr Burkhard Jung