Burschenschaften: Zwischen Aufbruch und Mythos

Das Burschenschaftsdenkmal in Eisenach wurde 1902 zugleich als Nationaldenkmal der Deutschen Burschenschaft zur Erinnerung an die Reichseinigung errichtet.
Erstveröffentlicht: 
24.05.2015

Im Juni feiert die Urburschenschaft in Jena den 200. Jahrestag ihrer Gründung. Eine kritische Bestandsaufnahme zur Entwicklung der deutschlandweiten Bewegung.

 

Auch dieses Jahr bleibt die Wartburg der Deutschen Burschenschaft für ihren Festakt verwehrt. Wie schon 2014 treffen sich dazu die Teilnehmer des Burschentages am Burschenschaftsdenkmal auf der Göpelskuppe. Von dort aus ist der Blick frei auf die Burg, die seit dem Wartburgfest von 1817 eng mit der Geschichte der Burschenschaft verbunden ist. Doch seit diesem Treffen haben die studentischen Verbindungen eine Entwicklung durchgemacht, die sie – zumindest in Teilen – vom Gründungsimpuls von 1815 deutlich entfernte.

Anhaltender Kritikpunkt ist vor allem die Nähe zu rechtsex­tremistischen und rassistischen Auffassungen in einigen der heutigen Verbindungen. Zu den jüngeren Beispielen dafür gehören die öffentlich gewordenen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen um den Ausschluss einer Mannheimer Burschenschaft aus dem Dachverband wegen eines Mitglieds mit chinesischer Abstammung. Die letztlich folgenlose Debatte vor vier Jahren entzündete sich besonders am „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff“ und dessen Auslegung.

 

Die Deutsche Burschenschaft als einer der Dachverbände zählt nach eigenen Angaben in 120 Verbindungen an mehr als 50 Hochschulorten über 15 000 Mitglieder. Zum alljährlichen Burschentag treffen sich Studenten und Alte Herren seit 1991 regelmäßig am Wochenende nach Pfingsten in Eisenach. Zumindest noch in den nächsten Jahren, denn der Mietvertrag für die Veranstaltungshalle läuft nach Kündigung durch die Stadt nur noch bis 2017.

Gegen die Treffen in Eisenach und andernorts regt sich immer wieder Protest. Doch bei der Rückkehr dreier Burschenschaften an ihren Gründungsort Jena nach dem Verbot in der Nazizeit und in der DDR habe es „manche Überreaktionen“ gegeben, sagt rückblickend der Jenaer Geschichtsprofessor Werner Greiling. 1994 richteten sich die Aktionen gegen einen Umzug von der Universität zur „Grünen Tanne“, der dem historischen Studentenzug vom 12. Juni 1815 nachgestaltet war. Damals gründeten im Gasthaus am anderen Ufer der Saale über 140 Studenten die erste Burschenschaft – das war über die Hälfte aller damaligen Jenaer „Burschen“.

Der Protest gegen die Burschenschaft in der Gegenwart sei zwar „oft reflexartig und undifferenziert“, aber angesichts unbestreitbarer rechtskonservativer Tendenzen in Teilen der Verbindungen durchaus erforderlich, sagt Greiling: „Da sind Kritik und ein waches Auge berechtigt und angesagt.“ Zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch sei das Anliegen der Urburschenschaft mit der Trias von Ehre, Freiheit und Vaterland „ausgesprochen progressiv“ gewesen.

Nach dem Wiener Kongress und den unerfüllten Hoffnungen auf ein geeintes Deutschland wurde der Begriff „Burschenschaft“ zum Markenzeichen einer deutschlandweiten studentischen Einigungsbewegung, die auf die politische Bühne ausstrahlen sollte. Unter den Farben Schwarz, Rot und Gold des Lützower Freikorps nahmen die Studenten die Idee von einem gemeinsamen Vaterland auf und trugen sie weiter. Dazu gehörten nicht zuletzt die Überwindung der Handelsschranken, die Aufhebung der Leibeigenschaft und liberale Verfassungen.

Die Gründung der ersten Burschenschaft ausgerechnet in Jena begünstigte zweifellos das offene Klima an der Universität. Das Herzogtum Sachsen-Weimar und Eisenach mit Carl August an der Spitze, das 1815 zum Großherzogtum wurde, galt als ein durchaus liberales Staatswesen. In dem Historiker Heinrich Luden (1778-1847) hatten die Studenten einen markanten Fürsprecher. Der Zulauf zu seinen Vorlesungen war legendär. Schon 1808 hatte er den Studenten zugerufen: „Solange es Menschen gibt, die lieben, achten, fühlen und weinen können, werden die Völker nicht verdammt werden, die für Freiheit und Selbständigkeit und für ihre eigentümliche Kultur gekämpft haben und gefallen sind.“

 

Des Weimarer Herzogs „Kultusminister“ Johann Wolfgang Goethe indes, seit 1807 offiziell auch für die Jenaer Universität zuständig, sah den patriotischen Optimismus nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon eher skeptisch. Der Verstand bemühe sich in dieser „konfusen Zeit“ vergebens herauszufinden, „wie hieraus eine neue Gestaltung der Dinge sich ergeben möchte“. Und Professor Luden fragte er in Anlehnung an eine seiner Formulierungen: „Ist denn wirklich das Volk erwacht?“ Der Dichter-Minister und Napoleon-Freund zweifelte, ob „das Volk“ überhaupt weiß, „was es will und was es vermag“. Denn: „Wir sprechen nicht von den Tausenden gebildeter Jünglinge und Männer, wir sprechen von der Menge, von den Millionen.“

Gleichwohl wurden der studentische Freigeist und der antifeudale Impuls der Burschenschaften vom österreichischen Staatskanzler Clemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich (1773-1856) argwöhnisch beäugt und massiv verfolgt. Der Fürst im fernen Wien setzte als maßgeblicher Kopf des Deutschen Bundes unter dem ständigen Vorsitz Österreichs in den kleinen deutschen Staaten auf eine Restauration der alten Verhältnisse. Die Verfolgung von freiheitlichem Gedankengut fand ihren Höhepunkt nach dem Wartburgfest von 1817.

Dort trafen sich 300 Jahre nach der Reformation 500 Studenten aus ganz Deutschland, um mit der Erinnerung an Luthers Thesenanschlag und an die Völkerschlacht bei Leipzig die „Wiedergeburt des freien Gedankens“ zu feiern. Mit heiligem Ernst und nationalem Pathos plädierten sie gegen die Kleinstaaterei und für demokratische Freiheiten. Damit lieferten sie der Reaktion Angriffspunkte zur Genüge. Zwei Jahre nach dem Eisenacher Treffen bot die Ermordung des Erfolgsschriftstellers und russischen Staatsrates August von Kotzebue (1761-1819) den willkommenen Anlass für eine weitere Verschärfung der Repressionen.

Das Attentat des fränkischen Theologiestudenten Karl Ludwig Sand (1795-1820) in Mannheim galt vor allem der Spitzeltätigkeit Kotzebues für den Zaren. Metternich kündigte nach dem politischen Mord unmissverständlich an, er werde in dieser Sache „nicht lau vorgehen“. Das Ergebnis waren die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse vom September 1819 mit dem Verbot der Burschenschaft und strengeren Gesetzen für Presse und Universitäten.

 

Einen Neubeginn erlebte die Burschenschaft im Mai 1832 auf dem Hambacher Fest. Was jedoch damals progressiv war, habe sich in den nachfolgenden Jahrzehnten einerseits – wie die „Gießener Schwarzen“ – radikalisiert und sei andererseits zusehends „ins Deutschnationale gekippt“, sagt Greiling. Mit der Reichsgründung von 1871 habe die Burschenschaft ein wichtiges Ziel als erreicht angesehen. Zugleich sei die einstige Oppositionsbewegung „sehr staatsnah geworden und hat sich gewissermaßen als Elite dieses Kaiserreichs verstanden“. Seither sei „ein großer Teil der Burschenschaft sehr konservativ und in ihrem Selbstverständnis ‚sehr deutsch‘“.

Zum 200. Jahrestag der Urburschenschaft am 12. Juni wollen wieder Studenten und Alte Herren in vollem Wichs und den Farben ihrer Verbindungen durch Jena ziehen. Die dortigen historischen Burschenschaften „Arminia“, „Germania“ und „Teutonia“ stehen ebenso wie die anderen studentischen Verbindungen in der Stadt auf dem Boden des Grundgesetzes, versichert ein Universitätssprecher. Zum Jubiläum bemüht sich die Uni mit Vorträgen unter dem Motto „Aufbruch – Tradition – Mythos“ um eine differenzierte und sachliche Information.

Thomas Bickelhaupt / 24.05.15 / TLZ