Rund 400 Menschen haben nach Angaben der Polizei am Sonntag in Bitterfeld-Wolfen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Zuvor seien etwa 80 Neonazis zu einer Mahnwache zusammengekommen. Personen aus dem linken Spektrum und Journalisten wurden bedroht.
Bitterfeld. Seit Wochen steht Bitterfeld im Fokus politischer Demonstrationen und Ausschreitungen. Am Sonntag haben nach dem Mittag etwa 80 Rechtsextreme eine Kundgebung auf dem Markt abgehalten. Gegen 15 Uhr versammelten sich rund 400 Anhänger des linken Spektrums am Bahnhof, um bei einem Zug durch die Stadt gegen rechte Gewalt zu demonstrieren. Die Polizei sicherte die angemeldeten Veranstaltungen ab.
Gegen 13 Uhr hatten sich einschlägige Gruppierungen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen auf dem Markt aufgestellt. Darunter die Brigade Halle - nach Einschätzung von Experten eine Gruppierung der „rechtsextremen Hooligan-Szene“. Ganz offen wurden Personen aus der linken Szene und Journalisten bedroht. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel, dessen Wahlkreis Bitterfeld umfasst, wurde beleidigt, einem Fotografen die Kamera aus der Hand geschlagen. Beide erstatteten Anzeige. Weiterhin sangen Kundgebungs-Teilnehmer alle drei Strophen der Nationalhymne. Dies ist nicht verboten, allerdings steht vor allem die erste Strophe in deutlichem Bezug zum Nationalsozialismus.
Polizei muss Pfefferspray einsetzen
Während sich die Versammlung langsam auflöste, setzte sich der Demonstrationszug der Linken mit Zwischenkundgebungen in Bewegung. Unter anderem über die Bahnhofstraße, Bismarckstraße, Markt, Am Gelben Wasser verlief die Route, die am Bahnhof endete. Die Polizei begann zu filmen, weil sich Einzelne vermummt haben sollen. Gegen Ende setzten die Beamten Pfefferspray ein. „Eine Gruppe wollte sich aus dem Zug lösen und zu einem Wohnhaus mit rechten Störern gelangen. Um zu verhindern, dass es zu einem gewalttätigen Aufeinandertreffen kommt, wurde Pfefferspray eingesetzt“, so Polizeisprecherin Doreen Wendland. Bereits vor dem Beginn des Demonstrationszuges seien 170 Personen in Richtung Innenstadt gelaufen, so Wendland. „Weil zu befürchten war, dass sie auf den Marktplatz wollten und es dort zu Störungen kommt, wurde dies unterbunden.“
Bis zum frühen Abend sei es zu keinen weiteren Zwischenfällen gekommen. Insgesamt seien die Versammlungen weitgehend störungsfrei verlaufen. Doch die Landtagsabgeordneten Striegel und Henriette Quade (Die Linke) kritisierten den Ablauf der Einsätze. „Während sich drohende Nazis frei bewegen konnten, wurden die Teilnehmer der Demonstration eingekesselt.“ Die Polizei sei auf dem Marktplatz zu wenig präsent gewesen, habe bei Bedrohungen nicht eingegriffen. Quade will gegen den Beamten, der Pfefferspray eingesetzt hatte, eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen.
Die Polizei weist die Kritik zurück: „Auf dem Markt wurde keine Bedrohungssituation festgestellt. Allerdings wird die Staatsanwaltschaft prüfen, ob eine Straftat vorliegt“, so Wendland. Zur Einsatzstärke äußerte sie sich nicht: Allerdings seien mehr Polizisten für den Aufzug benötigt worden.
Immer wieder Übergriffe
Bitterfeld ist seit Wochen Schauplatz von gewalttätigen Übergriffen. So wurden Anhänger des linken Spektrums verletzt, Ende April gab es einen Brandanschlag auf das Alternative Kulturwerk. Außerdem flog in der vergangenen Woche ein Gullydeckel in das Gebäude mit dem Wahlkreisbüro der Linken, während ein Mann am Computer saß. In der Stadt wurden ebenso Fassaden mit politischen Graffiti besprüht, die auf das Konto Linksgerichteter gehen sollen.
Doch von dieser Szene gehe keine Gewalt aus, sagt der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion Sebastian Striegel. Er kritisiert die Kommunalpolitiker der Stadt. Bitterfeld habe ein Nazi-Problem. In den vergangenen Wochen sei massiv Gewalt ausgeübt und auch für diesen Sonntag dazu aufgerufen worden. Doch die Kommunalpolitiker bezögen keine Position. „Das Problem verschwindet aber nicht einfach, indem man es ignoriert. Es müssen Aktivitäten entwickelt werden.“
Der Stadtrat Bitterfeld-Wolfens hatte kürzlich einen offenen Brief an die Einwohner verfasst. Er wendet sich gegen „jede Art von Gewalt“ und fordert zum Bekenntnis für Toleranz und Demokratie auf.
Laut der vom Bund und Land geförderten Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt seien bereits jetzt mehr rechte Übergriffe als im gesamten Vorjahr registriert worden. Waren es 2014 im Landkreis drei, so seien es seit Ende Februar allein in der Stadt Bitterfeld-Wolfen neun. (mz/lga)