Gentrifizierungsdebatte: Linken-Politiker fordert Einwohner zur Abwertung der Stadtteile auf

Erstveröffentlicht: 
11.04.2015

Leipzig. Beim Thema Mieten, Mietsteigerungen oder Verdrängung von sozial schwachen Einwohnern aus aufstrebenden Stadtteilen kommt es wohl immer auf die Perspektive an. Dieses Fazit zumindest lässt sich von einem Podiumsgespräch über "Gentrifizierung im Leipziger Westen" ziehen, das am Donnerstagabend mehr als 100 Zuhörer ins "Neue Schauspiel" an der Lützner Straße lockte.

 

Einen Knaller gab es kurz vor Ende der zweistündigen Debatte. Befragt, was sich gegen die Verdrängung angestammter Mieter tun lasse, meinte der Landtagsabgeordnete Marco Böhme (Linke), die Einwohner sollten "den Stadtteil einfach auch abwerten". Tipps dazu gebe es in einer Broschüre, die das Netzwerk Schlindewitz als Veranstalter auf allen Stühlen ausgelegt hatte.

Tatsächlich wird in dem Heft unter anderem zur "aktiven Abwertung" geraten. Auf Seite 3 steht: "Richtig eingesetzt hilft sie, das Erscheinungsbild deiner Wohnung und darüber hinaus zu verschlechtern und den Kiez von Yuppis, Hipstern und Bonzen zu säubern." Um "Doppelverdiener-Familien mit fetten Geländewagen" abzuschrecken, leisteten "Trainingsanzüge, Alditüten voller Bierdosen, Sperrmüll auf öffentlichen Grünanlagen und Pitbulls hervorragende Dienste."

Böhmes Empfehlung wurde aber nicht mal von Angela Seidel aufgegriffen, die als Vertreterin der Mietergemeinschaft Holbeinstraße 28 im Podium saß. Diese musste die alte Fabrik im Januar verlassen, ein Rechtsstreit läuft. "Ich wünsche mir mehr Positives, dass beide Seiten aufeinander zugehen und sich Immobilieninvestoren ihrer sozialen Verantwortung stellen", sagte sie.

Norbert Raschke vom Amt für Stadterneuerung (ASW) räumte ein, dass die Kommune nicht mit einem so starken Einwohnerwachstum gerechnet habe, wie es seit 2010 zu beobachten sei. Nun würden jährlich 5000 bis 6000 neue Wohnungen benötigt, während trotz des aktuellen Baubooms nur etwa 4000 durch Sanierungen und Neubauten hinzukämen. "Die Stadt ist aber für das Problem sensibilisiert, arbeitet am neuen wohnungspolitischen Konzept, um einen Ausgleich der Interessen zu befördern."

Heiko Müller, Quartiersmanager im Leipziger Westen, plädierte für Spinnstunden. "Wir reden immer nur über die gleichen Instrumente wie Milieuschutz oder Mietpreisbremse. Die stoßen aber alle schnell an Grenzen." Vielleicht ließen sich neue Formen für bewährte Dinge wie die Stiftung Meyer'sche Häuser erfinden?

FDP-Stadtrat René Hobusch nahm als Vorstandsmitglied des Eigentümerverbandes Haus & Grund teil: "Mit derzeit 5,08 Euro ist die Leipziger Durchschnittsmiete für viele Hauseigentümer nicht kostendeckend." Bei einer Internetabfrage erst am Vormittag habe er 185 Vermietungsangebote allein in Plagwitz für unter sechs Euro kalt gefunden. "Wir verfügen in Leipzig über 330000 Wohnungen bei knapp zehn Prozent Leerstand. Auf der Internetseite von unserer Moderatorin Juliane Nagel stehen ganze sieben Fälle von Verdrängungen in letzter Zeit. Worüber reden wir da überhaupt?"

Dies machte Norma Brecht vom Bündnis "Stadt für alle" klar. Sie sagte: "Wir haben nichts gegen schöne Fassaden, wenden uns aber gegen Spekulationen oder Profitmaximierung auf Kosten von Mietern." Das Bündnis fordere zum Beispiel, das städtische Liegenschaftsamt vom Verkaufsdruck im Wirtschaftsdezernat zu befreien und dem ASW zuzuordnen. Die kommunale Wohnungsgesellschaft LWB solle Grundstücke nur noch in Erbpacht oder per Konzeptvergabe an potenzielle Nutzer abgeben. Letzteres fand im Podium durchweg Zustimmung.Trotz aller verschiedenen Perspektiven.