Berlin: 12.000 beim Warnstreik

ver.di Jugend

/ In Berlin legen 12.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst die Arbeit nieder, darunter viele LehrerInnen und ErzieherInnen. Auch solidarische SchülerInnen sind dabei. //

Am gestrigen Donnerstag hätte Robert Hahn, Lehrer an der Sophie-Scholl-Oberschule in Berlin-Schöneberg, eigentlich Prüfungen abnehmen müssen. "Uns wird vorgeworfen, dass wir die Schüler im Regen stehen lassen", sagt der junge Pädagoge, denn er befindet sich zusammen mit Tausenden KollegInnen im Warnstreik. Deswegen steht Hahn tatsächlich im Regen – im kalten Nieselregen auf dem Molkenmarkt in Mitte, wo sich 12.000 Streikende des öffentlichen Dienstes versammeln.

 

Die Präsentationsprüfungen für den mittleren Schulabschluss an seiner Schule wurden auf Mittwoch oder Freitag verschoben – an anderen Schulen finden sie sogar erst nach den Osterferien statt. "Ein Streik, der nicht wehtut, ist kein Streik", so Hahn darüber, warum er an diesem Tag die Arbeit niederlegt. Von Hahns Schule sind mehrere SchülerInnen gleich mitgekommen, um sich für das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" einzusetzen. Denn angestellte LehrerInnen in Berlin verdienen jeden Monat bis zu 500 Euro weniger als ihre verbeamteten KollegInnen.

 

Im Jahr 2013 haben die angestellten Lehrer in Berlin an 17 Tagen die Arbeit niedergelegt, um gegen diese Ungleichbehandlung zu protestieren. Doch die Forderung ist immer noch nicht erfüllt und wird daher im Rahmen der Tarifrunde für die Landesbeschäftigten erneut laut vorgetragen. Jetzt wird auch in den Bürgerämtern, den Kfz-Zulassungstellen, den Kindertagesstätten sowie bei der Polizei und der Feuerwehr gestreikt. Vier Gewerkschaften haben in Berlin und Brandenburg insgesamt 18.000 Lohnabhängige auf die Straße gebracht. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di legten am Donnerstag 38.000 Beschäftigte die Arbeit nieder. Am Samstag findet die nächste Verhandlungsrunde mit der Tarifgemeinschaft der Länder statt.

 

Neben den ArbeiterInnen sind auch rund 50 SchülerInnen am Molkenmarkt dabei. Sie haben einem Aufruf der Jugendgruppe Red Brain gefolgt. "Es geht auch um unsere Zukunft", steht auf einem schwarzen Transparent, das sie kurz vor der Demonstration unter einer Brücke gemalt haben. Sie rufen "Lehrer, Schüler und Erzieher gemeinsam voran!" – ziemlich die einzige Parole, die während der Demonstration gerufen wird. Nur mit den streikenden PolizistInnen sind sie nicht solidarisch – "Bullen in die Produktion" wird zwischendrin auch skandiert. 

 

Von einer neunten Klasse an der Schliemann-Oberschule in Prenzlauer Berg sind gleich ein Dutzend SchülerInnen gekommen. "Der Unterricht ist komplett ausgefallen, da die Hälfte der Klasse nicht da war", erklärt die Schülerin Havana dazu. So haben die Jugendlichen, die am Vortag einen Flyer bekommen hatten, gleich das Prinzip einer Arbeitsniederlegung in der Praxis gelernt.

 

Zoé macht eine Ausbildung als Erzieherin an der Anna-Freud-Schule und ist doppelt vom Streik betroffen: Einerseits fällt ihr Unterricht aus, andererseits wird auch für die Entlohnung der ErzieherInnen gekämpft. "Es geht nicht nur um das Gehalt, sondern um Arbeitsbedingungen", erläutert sie. Ihre SchülerInnenvertretung hat sich am Montag getroffen und mit den Streiks solidarisiert.

 

Junge ErzieherInnen, die schon im Berufsleben sind, zeichnen nämlich ein düsteres Bild. "Wir brauchen mehr Leute", sagt Constanze Schwarzenberg, die in einer Kita arbeitet. "In der Regel sind wir drei oder vier Beschäftigte für 20 Kinder im Alter von bis zu bis drei Jahren, und dann kommen die Kinder und die Eltern alle zu kurz." Die ArbeiterInnen seien mit der großen Zahl an Kindern überfordert. "Da kann kaum pädagogische Arbeit stattfinden, das ist nur noch Aufbewahrung", so die junge Frau, die erst diese Woche in die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eingetreten ist. Wegen der niedrigen Bezahlung und des Personalmangels ist der Beruf sehr unattraktiv, aber sie ist da, weil sie eben Kinder liebt.

 

Den LehrerInnen und ErzieherInnen wird oft vorgeworfen, dass sie mit ihren Streiks den Kindern schaden. Doch unisono betonen sie, dass sie für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bildung kämpfen. Ein Schüler mit einem Megaphon sieht das genauso: "Eure schlechten Arbeitsbedingungen sind unsere schlechten Lernbedingungen." Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder wird vermutlich nicht mehr lange anhalten. Doch um die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen im Bildungssystem wird noch lange gerungen.

 

von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

 

eine kürzere Version des Artikels erschien in der jungen Welt am 27.3.