Berlin, 5. März 2015 - Presse-Erklärung der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) - c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalderstrasse 4, 10405 Berlin - An Print- und Onlinemedien - Punktsieg für die GG/BO – JVA-Leitung in Tegel rudert zurück - Auslegung und Verbreitung von Info-Materialien der GG/BO durch JVA-Bedienstete
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die Leitung der JVA Tegel hat ihre bisher praktizierte Blockadehaltung gegenüber der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) an einem Punkt aufgegeben müssen. Sie ist nach einem Rechtsstreit mit der GG/BO im Rahmen eines Verfahrens vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin dazu übergegangen, Info- und Werbe-Materialien des GG/BO-Sprachrohrs, „outbreak“, in den einzelnen Hafthäusern an für die Gefangenen allgemein zugänglichen Stellen auszulegen.
Mit diesem Punktsieg ist nun ein offenes und öffentliches Informieren über unsere Kernforderungen für eine Sozialversicherungspflicht für arbeitende Gefangene und die Einbeziehung von beschäftigten Inhaftierten in den seit Anfang des Jahres geltenden allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in der JVA Tegel möglich geworden.
Diese Werbetätigkeit für die Ziele der GG/BO wird allerdings nicht von den zum Billiglohn beschäftigten gefangenen Arbeiter_innen verrichtet. Nein, ein Rollentausch steht sprichwörtlich ins Haus: die angewiesenen Bediensteten der JVA werden tatkräftig und zahlreich unser Informationsmaterial an geeigneten Stellen aus- und nachlegen (müssen).
Der Sprecher der GG/BO, Oliver Rast, merkt hierzu an: „Die JVA-Leitung in Tegel befindet sich bereits seit einiger Zeit in einer Art – unfreiwilligen - Umorientierung, da sie mit einer selbst organisierten gewerkschaftlichen Akteurin, der GG/BO, zu rechnen hat, die kein bloßer Papiertiger ist.“ Und weiter führt er aus: „Den Bediensteten wird eine Anpassungsleistung an neue Begebenheiten abverlangt – richtig. Diese wird allerdings den therapeutischen Effekt mit sich bringen, dass es künftig als völlig normal gelten wird, Materialien der GG/BO auszulegen und in Umlauf zu bringen.“
Die Vorgeschichte dieser Verteilaktion begann damit, dass die JVA Tegel die GG/BO-Post mit „outbreak“-Flyern im vergangenen Dezember, die an den stellv. GG-Sprecher im Tegeler Knast, Badsha-h Hussain Zazai, und den GG/BO-Rechtssekretär, Mehmet Aykol, adressiert war, angehalten und mit der nachfolgenden Begründung nicht ausgehändigt hat: „Die Aushändigung der […] Flyer kommt gemäß § 31 Abs. 1 StVollzG nicht in Betracht, da die Verteilung von Flyern und Broschüren durch einzelne Inhaftierte die Gefahr der Polarisierung oder Verstrickung in subkulturelle Verflechtungen birgt. Einzelne Gefangene könnten unter Druck gesetzt oder in Abhängigkeit gebracht werden, wenn es z.B. um die Werbung von Mitgliedern oder um die Bezahlung von Mitgliedsbeiträgen oder eines Abonnements geht. Darüber hinaus könnten sich Gefangene durch ein penetrantes Auftreten der Agitatoren belästigt fühlen, was ein geordnetes und friedliches Zusammenleben innerhalb der Justizvollzugsanstalt erheblich beeinträchtigen würde, denn Inhaftierte können sich den Ihnen aufgedrängten Informationen nicht in gleicher Weise entziehen, wie in Freiheit lebende Menschen.“
Es ist immer wieder amüsant, mit welchen sprachlichen Stilblüten versucht wird, die gewerkschaftspolitische und –rechtliche Aktivität der GG/BO zu hintertreiben. Unser Sprecher hierzu: „Hinter diesem ´Behörden-Deutsch´ versteckt sich letztlich die Hilflosigkeit der Anstaltsleitung. Sie weiß so gut wie wir, dass wir nicht mehr - mit legalen Methoden - aus der Knastwelt zu schaffen sind. Und ihr ist desgleichen voll bewusst, dass es nichts (Re-)Sozialisierenderes geben kann, als sich in einem Projekt zu organisieren, in dem Begriffe wie Solidarität, Autonomie, Emanzipation und Sozialreform keine Sprechblasen sind.“
Gegen diese behördliche Schikane des Anhaltens und Nicht-Aushändigens von zugesandten GG/BO-Infos wurde durch den Kollegen Aykol im Namen der GG/BO ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG gestellt. Auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin (Gs: 592 StVK 682/14 VollzG) erklärte die JVA-Leitung in Tegel: „Eine Überlassung von Flyern für die Gewerkschaftszeitung an Inhaftierte käme nur in Betracht, wenn diese an die Anstalt selbst adressiert wären. Die Vollzugsbehörde hätte so die Möglichkeit, im Rahmen ihres Ermessens nach Ausschluss rechtswidriger, extremistischer oder verfassungsfeindlicher Inhalte die Flyer an für alle Inhaftierten allgemein zugänglichen Stellen auszulegen.“ Die GG/BO stützt sich auf die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Art. 9 Abs. 3 verankerte Koalitionsfreiheit, die die Gründung von Gewerkschaften und deren Organisierung garantiert. Auch Gefangenen steht dieses Grundrecht zu, so dass es wild herbeiphantasiert ist, uns eine Verfassungswidrigkeit - zumindest unterschwellig - zu unterstellen.
Unser Rechtssekretär hat am 2.2.2015 gegenüber der JVA-Leitung beantragt, dass eine Auslegung der „outbreak“-Flyer nun erfolgen müsse. Mit dem Bescheid vom 18.2.2015 hat die JVA-Leitung mitgeteilt, dass die besagten Flyer an für alle Inhaftierten allgemein zugänglichen Stellen ausgelegt werden. Ab Ende Februar ist dies in einigen Hafthäusern Tegels tatsächlich erfolgt.
Wir fassen zusammen: Es konnte weder die formaljuristisch korrekte Gründung und Ausrichtung der GG/BO, noch ihre massive Ausdehnung in der JVA Tegel unterbunden werden. Der derzeitige Organisierungsgrad liegt in Tegel bei etwa 25% der Inhaftierten, was mehr als 200 Mitglieder sind. Tendenz steigend! Die GG/BO wird nicht mehr nur stillschweigend durch den Justizapparat geduldet, sondern sie entwickelt sich zusehends zu einem eigenständigen und selbsttätigen Faktor, der nicht mehr ignoriert werden kann. Das ist kein Ausdruck von Hochmut; nein, so ist die (momentane) Lage.
„Wir wissen, die Durchsetzung der vollen Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern ist noch nicht zum Greifen nahe“, so Rast mit realistischem Blick auf das bislang Erreichte, „denn die JVA-Leitungen werden versuchen, einen Dreh zu finden, um diese Entwicklung wieder zurückzuschrauben.“ „Wir haben aber“, so Rast weiter, „im vereinten politisch-juristischen Kampf für das uneingeschränkte Gewerkschaftsrecht für Inhaftierte eine kleine, aber wichtige Etappe gewonnen!“
Wir halten fest: Jeder GG-Sprecher kann sich auf das oben genannte Gerichtsverfahren berufen und die jeweilige JVA-Leitung auffordern, in Zukunft postalisch zugegangene GG/BO-Materialien wie „outbreak“-Flyer und Mitgliedsanträge der GG/BO auszulegen sowie entsprechende Aushänge in den Haftanstalten anzubringen.
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation
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