Grüne fürchten um die liberale "Freiburger Linie"

Erstveröffentlicht: 
18.11.2009

Grüne fürchten um die liberale "Freiburger Linie"

 

Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 18.11.2009

 

Nachwehen Polizei, Politik und Juristen streiten über die Einkesselung der Antifa-Demonstration am Samstag.

 

Von Heinz Siebold

 

Die unschönen Szenen im schönsten Teil der Freiburger Altstadt haben ein Nachspiel: Gemeinderäte, Polizisten und Juristen streiten über die Einkesselung einer Demonstration der linksautonomen Antifa am vergangenen Samstag. Rund 800 Personen wollten gegen rechtsaußen demonstrieren, Ende August war ein Neonazi im benachbarten Weil am Rhein verhaftet worden, weil er vermutlich ein Sprengstoffattentat in Freiburg vorbereitet hat. Mit großem Aufgebot war die Polizei eingeschritten, weil einige der meist jungen Leute ihre Gesichter mit Schals, Theatermasken oder Sonnenbrillen unkenntlich gemacht haben.


Die Veranstalter der Demonstration hatten den Aufzug nicht angemeldet und die Vermummung mit der Furcht begründet, man könne von rechtsextremen Spitzeln fotografiert werden. Das ist eine nachvollziehbare, aber vom Versammlungsrecht nicht gedeckte Argumentation. Das weiß auch Maria Viethen, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Freiburger Gemeinderat. "Aber der martialische Polizeiaufmarsch war völlig überzogen", sagte sie der Stuttgarter Zeitung. Die Abgeordnete hat miterlebt, wie die Polizei mit großer Härte in die Versammlung einbrach, Vermummte herauszog und zur erkennungsdienstlichen Behandlung wegschleppte. Von 374 Personen wurden die Personalien überprüft, 40 wurden zeitweise festgenommen, ihnen drohen Strafverfahren. "Natürlich muss die Polizei Straftaten verfolgen", unterstreicht die Rechtsanwältin Viethen, "die Frage ist aber: wie?" Unter den Demonstranten seien minderjährige Jugendliche gewesen. "Die Polizei war von Anfang an auf Konfrontation aus", sagt Viethen. Sie habe schon länger den Eindruck, dass die Ordnungskräfte unter der Leitung von Polizeichef Heiner Amann von der früheren liberalen "Freiburger Linie" abgerückt seien. Mit dem vor fünf Jahren neu ins Amt gekommenen Polizeichef sind die Grünen schon mehrfach aneinandergeraten. "Seitdem Amann hier ist, gelten andere Gesetze", sagt der Grünen-Stadtrat Gerhard Frey. Er hatte sich am Samstag als Vermittler zwischen Polizei und Demonstranten angeboten. "Das war nicht gewünscht", hat der Kommunalpolitiker irritiert zur Kenntnis genommen. "Das war eine Null-Toleranz-Aktion." Im Gerangel, als die Polizei sich die Vermummten griff, wurde Frey selbst von Polizisten zu Boden gestoßen. "Wir werden diesen Einsatz von Juristen auf seine Verhältnismäßigkeit überprüfen lassen", kündigt Gerhard Frey an.

Der Freiburger Polizeichef Heiner Amann hält das alles für "ausgemachten Blödsinn, auf Alemannisch gesagt". Die Polizei könne Gesetzesverstöße nicht akzeptieren. Warum die Polizei bei anderen Gelegenheiten - etwa am 30. März vor dem Nato-Gipfel - im Interesse eines friedlichen Gesamtverlaufs den Straftatbestand der Vermummung bei einzelnen Demonstranten duldete, wird von Polizeisprecher Karl-Heinz Schmid so erklärt: "Da waren es eben mehr Demonstranten."

Die Freiburger Rathausspitze und die CDU stellen sich hinter die Polizei. "Die Polizei hat mit Augenmaß und verhältnismäßig gehandelt", sagte Bürgermeister Otto Neideck (CDU). Für CDU-Fraktionschef Wendelin von Grafeneck stellt das von Maria Viethen geäußerte Verständnis für die Vermummten sogar "den Boden unserer gemeinsamen Politik in diesem Bereich infrage". OB Dieter Salomon (Grüne) wollte sich gestern nicht direkt äußern, er ließ durch seinen Sprecher darauf hinweisen, dass "alles, was vor Ort geschieht, Sache der Polizei ist". Auf deren Strategie habe die Stadt keinen Einfluss und auch nicht den Eindruck, dass sich grundsätzlich etwas geändert hat. Im Übrigen habe man den Veranstaltern vor der Demonstration ein Gespräch angeboten. Das sei jedoch von den Linksautonomen abgelehnt worden.