Zum 25-jährigen Bestehen der Heilbronner Ortsgruppe der Roten Hilfe haben wir gemeinsam eine Broschüre veröffentlicht, in der wir die Arbeit der Roten Hilfe Heilbronn im Kontext der lokalen linken Bewegungen seit ihrer Gründung im Jahr 1989 beleuchten.
„Wir haben die Rote Hilfe in Heilbronn gegründet. Wir sind Mitglied der bundesweiten Roten Hilfe e.V. Wir träumen von einer Anti-Repressions- und Solidaritätsarbeit jenseits des Gezänks innerhalb der Linken, jenseits aller fraktionellen Abgrenzungen. Wir träumen davon zu einer starken, einigen, kämpferischen Linken beizutragen.“
(Aus einer Erklärung der Roten Hilfe Heilbronn zum Gründungsfest der Ortsgruppe am 15.12.1989 im Bürgerhaus Heilbronn-Böckingen)
Einleitung
Diese Broschüre ist anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Roten Hilfe in Heilbronn entstanden. 25 Jahre – das ist nicht viel für jene, die nur in großen historischen Dimensionen denken. Für eine linke Struktur ist dieses Vierteljahrhundert unserer Meinung nach aber doch bemerkenswert. In 25 Jahren kommen und gehen unzählige linke Gruppen, manchmal sogar Parteien. Ganz zu schweigen davon, dass 25 mehr ist als der Altersdurchschnitt auf so mancher Antifa-Demo.
Umso erfreulicher finden wir die Tatsache, dass es in der Roten Hilfe
Heilbronn Menschen gibt, die sich noch an die Gründungssitzung 1989
erinnern können – neben Menschen, die damals noch nicht einmal geboren
waren.
Kontinuität in der politischen Arbeit ist möglich. Die Voraussetzung
dafür ist, dass verbindliche Grundlagen vorliegen, die den Auftrag und
die Arbeitsweise einer Struktur definieren und dass diese Grundlagen auf
gemachten Erfahrungen und einer politischen Analyse beruhen.
Dies zu zeigen, war einer der Gründe für diese Broschüre.
Ein anderer Grund war der Kerngedanke der Roten Hilfe, den wir für so
wichtig halten, dass wir den 25-jährigen Versuch, ihn in die Praxis
umzusetzen, dokumentieren wollten.
Wir meinen damit das Prinzip der Solidarität jenseits aller linken Strömungsgrenzen.
Das ist der rote Faden, der sich durch die vergangenen 25 Jahre zieht.
Ob im Gebüsch beim Warten auf den Castor-Zug, im Getümmel auf der Straße
gegen einen Naziaufmarsch oder bei der Demonstration gegen die
NATO-Kriegspolitik – überall haben sich Menschen mit verschiedenen
Mitteln gegen die herrschenden Verhältnisse, gegen reaktionäre
Ideologien und für eine bessere Gesellschaft eingesetzt. Und bei allen
bestehenden Unterschieden, Abgrenzungen und vielleicht sogar Antipathien
war immer klar: wenn der Staat uns angreift, setzen wir dem unsere
Solidarität entgegen. Solidarität ist unsere Waffe. Dafür steht die Rote
Hilfe. Und dafür stand die Rote Hilfe in Heilbronn, unabhängig davon,
ob gerade viel los war oder ob die linken Bewegungen in der Stadt ums
Überleben kämpften.
Wir haben für diese Broschüre einiges herausgekramt, nachgelesen und zusammen gefasst. Eine lückenlose Darstellung und Aufarbeitung der Geschichte der Roten Hilfe in Heilbronn zu leisten, war dabei nicht unser Ziel. Damit sich auch in den nächsten 25 Jahren Menschen in der Roten Hilfe organisieren, braucht es aber ein Grundverständnis der eigenen Geschichte. Wir hoffen, dazu mit der vorliegenden Broschüre etwas beitragen zu können.
Rote Hilfe Heilbronn und Organisierte Linke Heilbronn (OL), November 2014
Kurze Geschichte der Roten Hilfe Deutschland
Die Vorläufer-Strukturen der Roten Hilfe entstanden in den
ereignisreichen ersten Jahren der Weimarer Republik. Überall in
Deutschland kam es ab 1919 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der
revolutionären ArbeiterInnenbewegung, der Reichswehr und rechten
Freikorps. Insbesondere die gewaltsame Zerschlagung der Räterepubliken
in Bayern und Bremen, die Abwehr des rechten Kapp-Putsches 1920 und die
Niederschlagung der „Märzkämpfe“ 1921 wurden vor allem für die
kommunistischen Organisationen zur Belastungsprobe. Unzählige Gefangene
und Untergetauchte mussten betreut und ihre Familien versorgt werden.
Die (Vereinigte) Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) rief im
Parteiorgan „Rote Fahne“ am 21. April 1921 zur Konstituierung einer
„Roten Hilfe“ und zu „Geld- und Lebensmittelsammlungen“ auf und
verkündete, dass bereits überall im Reich „Bezirkskomitees“ und ein
„Zentralkomitee“ in Berlin gegründet worden seien. Unter den Mitgliedern
des Zentralkomitees befanden sich namhafte Personen der kommunistischen
ArbeiterInnenbewegung wie Wilhelm Pieck oder Clara Zetkin.
Rasche finanzielle Unterstützung bekam die Rote Hilfe von der
Kommunistischen Internationale (Komintern) und den kommunistischen
Parteien in anderen Ländern. Ihre Solidarität – Hilfsgelder,
Lebensmittel, Kleiderspenden für Inhaftierte, Untergetauchte und ihre
Familien – ließ sie aber ohne Blick auf die Parteizugehörigkeit allen
Opfern des Klassenkampfes zukommen. Als länderübergreifende
revolutionäre Hilfsorganisation wurde im November 1922 auf dem 4.
Weltkongress der Kommunistischen Internationalen außerdem die
„Internationale Rote Hilfe“ (IRH) gegründet – nach ihrer russischen
Abkürzung MOPR genannt.
Das vorübergehende Verbot der KPD und der Roten Hilfe unter dem
sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert 1923 und die sich
anschließenden Verfolgungen gegen KommunistInnen führten dazu, dass die
Rote Hilfe sich organisatorisch besser aufstellte.
Die KPD forderte die „Schaffung eines festen, wirklich organisatorisch
arbeitenden Apparates in den Bezirken, Gruppen, bis in die letzte Zelle
hinein.“ Außerdem wollte man jetzt eine breite und überparteiliche
Mitgliederorganisation schaffen, die in der Nähe zur KPD verortet, aber
eigenständig sein sollte.
Am 1. Oktober 1924 wurde mit der „Roten Hilfe Deutschlands“ (RHD) diese
Organisation gegründet und ein verbindliches Statut verabschiedet. Zwar
waren auch SozialdemokratInnen, Parteilose oder AnarchistInnen
Mitglieder der RHD, der mit Abstand größte Teil der Mitglieder kam aber
aus den Reihen der KPD.
Im Jahr 1932 hatte die RHD mehr als eine Million Mitglieder und 3696
Ortsgruppen und war damit eine bedeutende proletarische
Massenorganisation.
Auch in Heilbronn, wo die KPD ab 1920 fest verankert war, gab es eine
Ortsgruppe der RHD. Die Heilbronner Ortsgruppe wurde vor allem von dem
als Ziseleur in der Silberwarenfabrik „Bruckmann“ beschäftigten Gustav
Theuß und dem Kraftfahrer Otto Balbach geleitet. Der Rechtsanwalt Dr.
Oskar Meyer, der in der Kaiserstraße 44 seine Kanzlei betrieb, war für
die juristische Beratung zuständig.
Die RHD organisierte Sammlungen für politische Gefangene und
initiierte Kampagnen zum Beispiel für das Leben der in den USA
arbeitenden Italiener Sacco und Vanzetti oder für den zu lebenslangem
Zuchthaus verurteilten Kommunisten Max Hoelz.
Um die Erholung von Kindern, deren Eltern Opfer politischer Verfolgung
geworden waren, gewährleisten zu können, baute die Rote Hilfe eigene
Kinderheime auf. Ein bekanntes Beispiel dafür war der „Barkenhoff“ in
Worpswede bei Bremen, wo Kinder aus ganz Deutschland und anderen
europäischen Ländern wohnten.
Ende der 1920er Jahre verschärfte sich die Situation für die
ArbeiterInnenbewegung. Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte zu
Arbeitslosigkeit und Verarmung. Geschehnisse wie der „Blutmai“ 1929 oder
die Einführung von „Sonder- und Schnellgerichten“ gegen politische
AktivistInnen zeigten, dass der bürgerliche Staat auch unter
sozialdemokratischer Führung alles tun würde, um eine Revolution in
Deutschland zu verhindern. Gleichzeitig nahmen die oftmals
bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit den deutschen Faschisten,
vor allem der paramilitärischen „Sturmabteilung“ (SA), zu.
Die KPD-Leitung rechnete seit dem Verbot des „Roten Frontkämpferbundes“
1929 mit einem möglichen Parteiverbot und versuchte, sich auf die
Illegalität vorzubereiten.
Das Ausmaß des rechten Terrors nach der Machtübernahme durch die
Faschisten am 30. Januar 1933 überraschte die Partei und ihre
Massenorganisationen allerdings.
Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 wurde die „Notverordnung
zum Schutze von Volk und Staat“ in Kraft gesetzt und damit die
demokratischen Grundrechte der Weimarer Republik ausgehebelt. In der
Folge wurden die KPD und alle ihr nahe stehenden Organisationen verboten
und ihre Funktionäre verhaftet.
Am 2. März 1933 besetzte die Polizei die Zentrale der RHD in der
Berliner Dorotheenstraße und Mitte März 1933 wurde die Rote Hilfe für
illegal erklärt.
Die Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung und der starken
kommunistischen Organisationen war ein wesentliches Ziel des deutschen
Faschismus und wurde mit aller Härte verfolgt. Die illegal weiter
hergestellte Rote Hilfe-Zeitung „Tribunal“ bilanzierte bereits im April
1933: „30.000 Gefangene in Kerkern und Konzentrationslagern, 300
Erschlagene, 150.000 Mißhandelte und Verletzte, 350.000 Haussuchungen,
600 Zeitungsverbote.“
Unter den vom faschistischen Regime Ermordeten waren zahlreiche wichtige
Funktionäre der RHD, darunter das Zentralvorstandsmitglied Erich
Steinfurth und das Mitglied der illegalen „Reichsleitung“ der Roten
Hilfe, Rudolf Claus.
Die führenden Mitglieder der Heilbronner RHD wurden durch
Untersuchungshaft bzw. sogenannte „Schutzhaft“ aus dem Weg geräumt: Otto
Balbach war vom 6. März 1933 bis Ende Juli 1933 im KZ Heuberg
inhaftiert, Gustav Theuß befand sich vom 13. Juli 1934 bis zum 14.
November 1934 in Haft. Auch der Rote Helfer Gustav Pfisterer wurde
Anfang März 1933 gemeinsam mit Genossen aus der KPD-Gruppe in
Heilbronn-Böckingen in „Schutzhaft“ genommen und im Juli 1934 erneut
verhaftet und zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt.
Trotzdem schaffte es die Rote Hilfe, ihre reichsweiten Strukturen unter den Bedingungen der Illegalität und des faschistischen Terrors aufrecht zu erhalten und weiter Unterstützung für Betroffene zu organisieren – unterstützt durch die Netzwerke der IRH und mehrere Außenstellen der RHD in den europäischen Nachbarländern.
Ab Mitte der 1930er Jahre änderte die Rote Hilfe im Zuge der
Umorientierung der kommunistischen Politik von KPD und Komintern ihre
Strategie. Bis dahin hatte den kommunistischen Kräften die SPD-Führung
gemäß der „Sozialfaschismus-These“ als Feind und als „faschistische
Schutztruppe des deutschen Kapitals“ gegolten. Zur Zusammenarbeit mit
sozialdemokratischen ArbeiterInnen war es nur vereinzelt auf regionaler
Ebene gekommen.
Angesichts der faschistischen Terrorherrschaft entschieden sich KPD und
Komintern jetzt allerdings dazu, eine „proletarische Einheitsfront“ und
„antifaschistische Volksfront“ für Demokratie und Frieden zu fordern.
Die RHD sollte als eng mit der KPD verbundene Struktur in einer noch
breiteren Hilfsorganisation für alle vom Faschismus Verfolgten aufgehen.
Als eine mögliche neue Taktik galt das sogenannte „Trojanische Pferd“
(Georgi Dimitroff), also die gezielte Mitarbeit in faschistischen
Massenorganisationen wie der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“
(NSV), um dort getarnt agieren zu können.
Am 2. September 1938 beschloss die RHD ihre offizielle Umbenennung in
„Deutsche Volkshilfe“. Unter diesem Namen wurde ein Hilfswerk aufgebaut,
das alle Gegner des faschistischen Regimes vereinen sollte –
KommunistInnen und SozialdemokratInnen, aber auch Parteilose oder
Angehörige katholischer Organisationen. Tatsächlich konnten im Rahmen
dieser spektrenübergreifenden Hilfs-Komitees AntifaschistInnen bis nach
dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aktiv sein – als dies für
kommunistisch orientierte Massenorganisationen wie die Rote Hilfe schon
längst nicht mehr möglich war.
Erst 32 Jahre nach der Auflösung der RHD sammelten sich unter dem
Namen „Rote Hilfe“ wieder AktivistInnen, um Solidaritätsarbeit für
politisch Verfolgte zu leisten.
Ab 1970 entstanden – zunächst in (West-)Berlin und später bundesweit –
Rote Hilfe-Gruppen. Diese waren vor allem eine Reaktion auf die
massenhaften Ermittlungsverfahren und Prozesse gegen Angehörige der ab
Mitte der 1960er Jahre auftretenden Außerparlamentarischen Opposition
(APO).
Die Demonstrationen der „68er Bewegung“ gegen den Vietnamkrieg, gegen
den Schah-Besuch am 2. Juni 1967 oder gegen den Springer-Medienkonzern
nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke hatten zu massiven staatlichen
Repressionen und ersten Haftstrafen geführt.
Zunächst kümmerten sich spontan gebildete Rechtshilfekomitees und
Zusammenschlüsse von linken RechtsanwältInnen und JurastudentInnen um
die Betroffenen. Sowohl von Seiten der undogmatischen, antiautoritären
Fraktion, als auch von Seiten der neu entstehenden
marxistisch-leninistisch bzw. maoistisch orientierten K-Gruppen wurde
dann ab 1970 der Aufbau einer Roten Hilfe forciert.
Auch in Heilbronn entstand zu dieser Zeit wieder eine Rote Hilfe-Gruppe.
Die Vorstellungen von einer linken Solidaritäts- und
Antirepressionsarbeit waren allerdings zu unterschiedlich, als dass sie
unter einem gemeinsamen Dach als Rote Hilfe umgesetzt werden konnten.
Die „Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation“ (KPD/AO)
rief Ende Januar 1971 die Rote-Hilfe-Komitees (RHK) ins Leben, um den
„Kampf der Arbeiterklasse gegen den Abbau demokratischer Rechte“ zu
führen. Aber auch Angriffe gegen die eigene Struktur hatte die KPD/AO
abzuwehren: immer wieder wurden von der KPD/AO angestoßene
Demonstrationen verboten oder aufgelöst und Parteifunktionäre verhaftet.
1973 strengte der Generalbundesanwalt ein Verfahren gegen die KPD/AO
nach § 129 StGB wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ an.
Im Sommer 1973 gründete die KPD/AO schließlich die Rote Hilfe e.V. mit Regionalbüros in mehreren Städten.
Auch aus der undogmatisch-linksradikalen Strömung heraus entstanden
ab 1970 Rote Hilfe-Gruppen. Anders als die straff organisierte Rote
Hilfe e.V. der KPD/AO waren diese eher locker zusammengeschlossen und
verfolgten keine einheitliche politische Linie. Die autonomen Rote
Hilfe-Gruppen leisteten Unterstützungsarbeit in den Auseinandersetzungen
im Zuge der zahlreichen Hausbesetzungen und bezogen sich relativ stark
auf die Situation in den Knästen.
Dort kam es zum einen immer wieder zu Kämpfen und Revolten von
Gefangenen gegen die alltäglichen Zustände im Gefängnis. Zum anderen
saßen dort seit 1971 politische Gefangene aus bewaffneten Gruppen. Vor
allem die Mitglieder der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) wehrten sich mit
Hungerstreiks und politischen Kampagnen gegen die Isolationsmethoden,
mit denen die Gefangenen aus der Stadtguerilla zermürbt werden sollten.
Die undogmatischen Rote Hilfe-Gruppen organisierten zwar Solidarität für
die Gefangenen, gerieten aber in vielen Städten auch in Konflikte mit
der politischen Linie der RAF, aus deren Umfeld deshalb ab 1973 eigene
„Anti-Folter-Komitees“ entstanden. Gleichzeitig gerieten die Rote
Hilfe-Gruppen gerade aufgrund ihres solidarischen Bezugs auf die
Gefangenen aus den bewaffneten Gruppen selbst ins Visier des Staates –
sie wurden als „Sympathisantenszene“ klassifiziert und zum Teil wegen
„Bildung“ oder „Unterstützung“ einer „kriminellen Vereinigung“ nach §
129 verfolgt.
Parallel arbeitete die „Kommunistische Partei
Deutschlands/Marxisten-Leninisten“ (KPD/ML) am Aufbau einer eigenen
Roten Hilfe und gab im Februar 1975 die Gründung der Roten Hilfe
Deutschlands (RHD) bekannt.
Die KPD/ML betrachtete die RHD als „revolutionäre Massenorganisation zum
Kampf gegen die politische Unterdrückung der Werktätigen durch die
Bourgeoisie“ und stellte diese bewusst in die Tradition der 1924
gegründeten historischen Roten Hilfe Deutschlands. Auch die KPD/ML wurde
regelmäßig selbst zum Ziel staatlicher Repression und Kriminalisierung
in Form von Verhaftungen oder Berufsverboten.
Ab 1980 begann die RHD, ihre Strukturen und ihre ideologische
Ausrichtung von der engen Anbindung an die KPD/ML zu lösen und erklärte,
nun eine Solidaritätsorganisation für die „gesamte
antifaschistisch-demokratische, gewerkschaftliche und Friedensbewegung“
sein zu wollen. Mit der Eintragung ins Vereinsregister hatte die RHD im
Februar 1979 außerdem bereits die formellen Grundlagen für die heutige
Rote Hilfe e.V. geschaffen.
Unter dem Dach dieser aus der RHD der KPD/ML hervorgegangenen,
parteiunabhängigen Roten Hilfe e.V. sammelten sich in den 1980er Jahren
schließlich AktivistInnen aus verschiedenen Strömungen. Zumal sich die
lose organisierten autonomen Rote Hilfe-Gruppen der undogmatischen Szene
als nicht sehr langlebig erwiesen hatten und auch die Zeit der
maoistischen Partei-Projekte vorbei war.
Mit der auf der Bundesdelegiertenkonferenz 1986 beschlossenen
Umbenennung der RHD in Rote Hilfe wurde diese Neuorientierung auch nach
außen hin sichtbar.
Auch wenn die internen Diskussionen um die Ausrichtung und Strukturierung der Organisation auf den Bundesmitgliederversammlungen 1992 und 1994 andauerten, traten immer mehr Menschen aus verschiedenen Teilen der Linken in die Rote Hilfe ein und gründeten – wie auch in Heilbronn – Ortsgruppen.
Literaturhinweise:
• Brauns, Nikolaus: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Bonn 2003
• Dieterich, Markus: Es kann uns den Kopf kosten – Antifaschismus und Widerstand in Heilbronn 1930 – 1939, Heilbronn 1992
• Rote Hilfe e.V. Bundesvorstand (Hg.): Vorwärts und nicht vergessen – 70/20 Jahre Rote Hilfe, Göttingen 1996
• Rübner, Hartmut: „Die Solidarität organisieren“ – Konzepte, Praxis und Resonanz linker Bewegung in Westdeutschland nach 1968, Berlin 2012
• Bambule (Hg.): Das Prinzip Solidarität. Zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD. Band II. Hamburg 2013
Die Gründung der Roten Hilfe Heilbronn
Am 20. September 1989 wurde in der Gaststätte „Lerchenberg“ in der Silcherstraße von rund 25 Menschen die Rote Hilfe Heilbronn gegründet. Was an diesem Mittwochabend geschah, war keinesfalls selbstverständlich. Aktive aus verschiedenen Gruppen und Spektren der Linken einigten sich darauf, Teil einer bundesweiten Antirepressions-Struktur zu werden, deren historische Wurzeln bis in die 1920er Jahre zurückreichten und die eine äußerst wechselhafte Geschichte hinter sich hatte.
Ende der 1980er Jahre war die Rote Hilfe immer noch auf dem Weg, ihre
Vergangenheit als parteikommunistisch angebundene Organisation hinter
sich zu lassen und sich für weitere politische Bewegungen zu öffnen –
vor allem für solche des undogmatischen und autonomen Spektrums.
In seinem Rechenschaftsbericht an die Bundesmitgliederversammlung am 9.
Juni 1990 in „Westberlin“ sprach der Bundesvorstand der Roten Hilfe von
„über 900 Mitgliedern“ – deutschlandweit. Heute sind es mehr als 6500.
1989/1990 existierten Rote Hilfe-Ortsgruppen in Städten wie
(West-)Berlin, Kiel, Hamburg oder Rendsburg. Der Südwesten war ein
weißer Fleck auf der Rote-Hilfe-Landkarte – bis ausgerechnet in der
120.000-Einwohner-Stadt Heilbronn die erste Ortsgruppe in
Baden-Württemberg gegründet wurde.
Verantwortlich dafür waren vor allem AktivistInnen aus
antifaschistischen Zusammenhängen und lokalen Knast-Initiativen. Sie
hatten zum Teil bereits jahrelang Erfahrungen mit staatlichen Angriffen
und Repressionen gemacht und erkannten die „Notwendigkeit einer
dauerhaften, von Höhen und Tiefen der politischen Auseinandersetzungen
unabhängigen Antirepressionsarbeit“, wie es im „Aufruf zur Gründung
einer Ortsgruppe Heilbronn“ 1989 hieß.
In dem Text, der vor allem über den damaligen Infoladen in der
Mozartstraße im Bahnhofsviertel verbreitet wurde, waren weitere
Argumente für eine kontinuierliche Antirepressionsarbeit zusammen
getragen. Diese sei wichtig, „weil Prozesse oft Jahre später anfangen,
Betroffene allein dastehen, wenn sie nicht in stabileren Zusammenhängen
sind, Betroffene neben Prozessvorbereitung, Öffentlichkeitsarbeit auch
noch die Kosten zu tragen haben, über regelmäßige Beiträge, Spenden und
Veranstaltungen die notwendigen Geldbeträge leichter beschaffbar sind
und überregionale Kampagnen oft an Heilbronn vorbeigehen“.
Diese allgemeinen Einschätzungen beruhten auf konkreten Ereignissen,
mit denen sich linke AktivistInnen in der Region beschäftigen mussten
und die letztlich entscheidend zur Ortsgruppengründung beitrugen.
Der Widerstand gegen die militärische Nutzung der „Waldheide“ und die
Stationierung von Pershing 2- Raketen hatte ab Mitte der 1980er Jahre zu
einer Flut von Ermittlungsverfahren und Prozessen geführt.
Im Februar 1989 begannen Auseinandersetzungen in und um die JVA
Heilbronn, die über mehrere Monate andauerten. Mehrere Gefangene der JVA
verweigerten die Arbeit, thematisierten die Haftbedingungen im
Heilbronner Knast und schlossen sich teilweise einem Hungerstreik von
Gefangenen aus der RAF und dem antiimperialistischen Widerstand in
anderen Gefängnissen an. „Draußen“ kam es zu mehreren Kundgebungen in
der Innenstadt und vor dem Knast und zur Gründung eines
„Hungerstreik-Plenums“.
Antifaschistische AktivistInnen mussten sich nicht nur mit einer
militanten Naziszene, sondern auch mit ständigen Repressionen durch den
Staat beschäftigen.
Ein besonders drastisches Beispiel dafür waren die sogenannten
„Siegle-Haus-Prozesse“, die sich zum Teil über Jahre hinweg zogen. Am
23. Dezember 1984 hatten 150 AntifaschistInnen das „Gustav-Siegle-Haus“
in Stuttgart besetzt, um eine dort angekündigte Veranstaltung der
faschistischen türkischen Organisation „Graue Wölfe“ zu verhindern.
Es kam zu wilden Auseinandersetzungen, teilweise machten mit Säbeln
bewaffnete Faschisten Jagd auf Antifas. Schließlich stürmte die Polizei
das Gebäude. Es folgten Festnahmen, Ermittlungsverfahren und Prozesse,
unter anderem auch gegen Heilbronner Antifa-AktivistInnen.
Im „Kommunalen ALLtag“, der Zeitung der damaligen „Alternativen Linken
Liste“ (ALL), kündigte die „Antifa Heilbronn“ bereits im Juni 1989 in
einem Artikel zu den „Siegle-Haus-Prozessen“ an:
„Angesichts dieser und vieler anderer z.T. laufender Prozesse gibt es in
Heilbronn derzeit eine Initiative zur Gründung eines Ortsverbands der
bundesweit tätigen Roten Hilfe, um auf diese Kriminalisierungen
kollektiv reagieren zu können.“ (Kommunaler ALLtag, Nr.5/89, S.3).
Die Gründung einer Roten Hilfe stieß in Heilbronn allerdings nicht
nur auf Zustimmung. In einer Erklärung vom 24. September 1989 nahm das
„Knastplenum Heilbronn“ Stellung zu dem in Antifa-Strukturen und dem
Infoladen kursierenden „Aufruf zur Gründung einer Ortsgruppe“:
„Das Knastplenum Heilbronn tritt jedem Versuch, die Gefangenenbewegung
zu spalten, mit aller Entschiedenheit entgegen. Insbesondere wenden wir
uns gegen alle Versuche, die Gefangenen nach dem Motto „Die Guten ins
Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ in „politische“ Gefangene auf
der einen Seite und „soziale“, „kriminelle“ oder wie auch immer benannte
Gefangene auf der anderen Seite zu sortieren. Es gibt keine
unpolitischen Gefangenen! (…) Wir sehen in dem Versuch, hier in
Heilbronn eine Ortsgruppe der Roten Hilfe Deutschlands e.V. zu gründen,
einen solchen Spaltungsversuch. (…) Wie in allen Bereichen geht es auch
im und zum Knast darum, eine starke und schlagkräftige Bewegung
aufzubauen. Wir brauchen keinen Verbandsplatz in der Etappe, der
ausschließlich den angeschlagenen Angehörigen der selbsternannten
politischen Avantgarde und Elite zur Verfügung steht“.
Die harten Vorwürfe des „Knastplenums“ warfen Fragen auf, an denen sich
innerhalb der radikalen Linken damals hitzige Debatten entfachten:
Sollen sich Solidaritäts-Strukturen auf die Unterstützung derer
beschränken, die wegen explizit politischen Aktivitäten von Repression
betroffen sind? Wie soll mit Leuten verfahren werden, die sich im Knast
politisieren?
Wie kann eine allgemeine Kritik am Knast-System der BRD im Rahmen der Antirepressionsarbeit formuliert werden?
Auch in der bundesweiten Roten Hilfe, die sich seit Mitte der 1980er
Jahre durch den Zuwachs vor allem aus autonomen und
antiimperialistischen Gruppen im Umbruch befand, wurden diese Fragen
diskutiert.
Nach der Gründungsversammlung im September 1989 und einem
Gründungsfest am 15. Dezember 1989 im Gewölbekeller des „Bürgerhauses“
in Heilbronn-Böckingen mit 200 BesucherInnen, machte sich die neu
entstandene Heilbronner Ortsgruppe zügig an die Erarbeitung eines
Selbstverständnisses. Dabei spielte auch die vom „Knastplenum“ und
anderen Kräften geäußerte Kritik eine Rolle.
In einem Papier mit dem Titel „In Heilbronn die Diskussion um die Rote
Hilfe Selbstdarstellung führen!“ nahm ein Mitglied der
„Koordinationsgruppe“ der Roten Hilfe Heilbronn
Stellung zu dem Vorwurf, die Rote Hilfe würde Gefangene in „politische“ und „soziale“ spalten.
In dem Text hielt der Genosse an der grundsätzlichen Unterscheidung
zwischen Leuten, die aufgrund von „Straftaten einfahren, die was mit
unserer politischen Arbeit auf allen Ebenen zu tun haben“, und „sozialen
Gefangenen“, die „bestehende bürgerliche Gesetze gebrochen haben“,
fest.
Linke sollten unabhängig von ihrer Partei- oder Strömungszugehörigkeit
einen Anspruch auf Unterstützung der Roten Hilfe erheben können.
„Soziale StraftäterInnen“ sollten einen solchen Anspruch aber nicht haben:
„Für die meisten StraftäterInnen ist die Entscheidung, eine Straftat zu
begehen, sofern ihnen überhaupt eine Wahl bleibt, eine höchst
individuelle. Es geht ihnen darum einer gesellschaftlichen Zwangslage,
dem Ausbeutungsverhältnis, zu entfliehen, einen Weg für sich selbst,
keinen mit gesellschaftlicher Perspektive, zu finden. Wir müssen unsere
beschränkten Kräfte zusammenhalten. Wir sind revolutionär, nicht
karitativ.“
Gleichzeitig kritisierte auch der Heilbronner Rote Hilfe-Koordinator,
dass den Kämpfen der „sozialen Gefangenen“ zu wenig Beachtung in der
Solidaritäts- und Antirepressionsarbeit geschenkt werde. Er forderte,
dass die Rote Hilfe die Gefangenenkämpfe im Knast unterstützen sollte:
„Die Rote Hilfe kann diese Gefangenenbewegung und die Gruppen, die sich
zu ihrer Unterstützung gebildet haben, nicht ersetzen. Sie hat andere
Aufgaben. Dennoch endet Klassenkampf nicht an den Gefängnistoren. Die
Rote Hilfe unterstützt streikende ArbeiterInnen, ohne vorher zu fragen,
ob die auch zweifelsfrei SozialistInnen sind. Die Rote Hilfe muss auch
den Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung im Knast
unterstützen.“
Anstatt die Unterscheidung der bürgerlichen Klassenjustiz zwischen dem
politisch bewussten und unbewussten „Aufbegehren der unterdrückten
Klassen“ einfach zu übernehmen, sollte sich die Linke klar für alle
einsetzen, die von Justiz und Polizei angegriffen würden:
„Das Eingreifen bei solchen Prozessen, deren erstrangiges Ziel nicht die
Vernichtung der Linken ist, zeigt letztendlich auch, wen wir als
gesellschaftliches Subjekt ernst nehmen, mit wem wir solidarisch sind.
Die Linke darf nicht in den – sicherlich notwendigen – Kämpfen um ihre
Selbstbehauptung stecken bleiben, sondern muss sich auch als Kraft, die
auf Seiten der Armen und Entrechteten kämpft, profilieren.“
Diese Diskussionen über den Aufbau einer bundesweiten Struktur, die
Definition von „politischen Gefangenen“ und die Unterstützung von
Knast-Kämpfen schlugen sich auch im Selbstverständnis der Roten Hilfe
Heilbronn nieder, das schließlich im April 1990 beschlossen und
veröffentlicht wurde.
Zum Charakter einer Solidaritätsorganisation hieß es darin unter
anderem, man brauche eine Struktur, „die unabhängig von politischen
Konjunkturen kontinuierlich arbeitet, die bundesweit organisiert ist und
nicht an die Großstädte gebunden ist, die aufgrund eines regelmäßigen
Beitrags- und Spendenaufkommens verlässlich auch langfristige
Unterstützungszusagen machen kann, die sich für die politisch Verfolgten
aus allen Teilen der Linken verantwortlich fühlt, die auf
Gesetzesverschärfungen und Prozesswellen bundesweit reagieren kann.“
In einem Abschnitt unter dem Titel „Nicht nur die politische Opposition
wird verfolgt“ ging es aber auch um eine Positionierung zum
Gefängnissystem:
„Die zähen Kämpfe der Gefangenen gerade auch im Heilbronner Knast finden
kaum Beachtung. Das Knastsystem hat zur Aufgabe, Menschen zu brechen,
ihre Renitenz zu zerstören, sie wieder zu nützlichen Mitgliedern der
Gesellschaft zu machen, was wiederum nichts anderes als die
Wiedereingliederung in die Ausbeutung heißen kann. Politische Arbeit zum
Knast heißt deshalb für uns auch die Kämpfe der Gefangenen zu
unterstützen, die sich gegen den Zwang zur Arbeit im Knast wehren, die
sich für eine tarifliche Bezahlung der Knastarbeit einsetzen, die sich
nicht brechen lassen wollen.“
Und weiter kritisierte die Rote Hilfe Heilbronn nicht nur die
„Staatsschutzfunktionen der Polizei“, sondern auch die „polizeiliche
Durchdringung des gesellschaftlichen Alltagslebens und der zunehmenden
Übernahme sozialpolitischer Funktionen durch die Polizei.“
Als Opfer dieser „Sozialhygiene“ wurden Schwule, AIDS-Kranke, „Berber
und Punks“, gegen den § 218 verstoßende Frauen und Flüchtlinge genannt.
Auch das Vorgehen von Polizei und Sicherheitsunternehmen gegen
Angetrunkene, Schwarzfahrer, Kleinkriminelle und den Einsatz von
Lockspitzeln auf dem Drogenmarkt zählte die Rote Hilfe Heilbronn zum
„staatlich geförderten Ungeist, wonach ein Existenzrecht nur besitzt,
wer Steuern zahlt, und wonach vogelfrei ist, wer nicht regelmäßig
arbeitet und undeutsch aussieht.“
Der „Angriff auf alles, was die bürgerliche Ordnung gefährdet“, sei „auch ein Angriff auf uns, auf unsere Klasse.“
Als Ortsgruppe einer bundesweiten Organisation hatte sich die Rote
Hilfe in Heilbronn allerdings auch an deren Beschlüssen zu orientieren.
Deshalb schaltete sich in die Debatte um das Selbstverständnis der Roten
Hilfe in Heilbronn der Bundesvorstand aus Kiel ein.
In einem Brief an die Ortsgruppe ging es vor allem um deren Aussagen zum
Knastsystem, zur „Sozialhygiene“ und zum politischen Auftrag der Roten
Hilfe.
Das Problem sei dabei nicht, dass die Aussagen falsch seien. „Aber es
gibt hierzu keine einheitliche Meinung der Roten Hilfe als Organisation
und es ist auch nicht nötig, sie anzustreben; denn dieser ganze Bereich
gehört nicht zu den Aufgaben der Roten Hilfe.“
Die Aufgabe der Roten Hilfe sei eben nicht generell die „politische
Arbeit zum Knast“, wie das im Selbstverständnis der Heilbronner
Ortsgruppe stand, sondern die Unterstützung von Gefangenen, die aufgrund
ihrer politischen Aktivitäten Repressionen erfahren würden.
Auch die Unterstützung von Flüchtlingen, „Berbern“ oder von sexistischen
Übergriffen betroffenen Frauen käme einer Ausweitung der Aufgaben der
Roten Hilfe gleich. Gegen diese Ausweitung äußerte der Bundesvorstand
starke Bedenken: „Die Rote Hilfe ist nicht die Linke, sondern nur ein
(relativ kleiner) Teil der Linken. Innerhalb der Linken ist
Aufgabenteilung notwendig, damit linke Politik effektiv bleibt.“
Neben der Diskussion um „politische“ und „soziale“ Gefangene
entfachte sich in Heilbronn auch an anderen Punkten Kritik am Aufbau
einer Ortsgruppe der Roten Hilfe.
Vor allem GenossInnen aus der autonomen Bewegung hatten Schwierigkeiten damit, übergeordnete zentrale Gremien zu akzeptieren.
Heftige Debatten gab es beispielsweise um die zentrale
Mitgliederverwaltung und Kassenbetreuung durch den Bundesvorstand.
Einige neue Mitglieder der Roten Hilfe machten ihre Mitarbeit von
weitgehenden Ortsgruppenrechten und vor allem dem Recht auf eine eigene
Kassenführung abhängig. Sie beharrten darauf, dass die Heilbronner
AktivistInnen die Unterstützung in Repressionsfällen selbst und mit
eigener Kasse regeln sollten. Teile der Heilbronner Szene vermuteten
hinter der bundesweiten Roten Hilfe gar eine „Tarnorganisation von
K-Gruppen“.
In einer internen schriftlichen Stellungnahme schilderte die Rote Hilfe Heilbronn die sich gegenüber stehenden Positionen:
„a) Aus einem generellen Misstrauen zentraler (zentralistischer)
Organisation gegenüber wird die Notwendigkeit dezentraler Kassenführung
und politischer Bestimmung abgeleitet.
b) Aus einem Befürworten organisatorischer Verbindlichkeit und dem
„Glauben“ an die Möglichkeit, „zentrale“ Strukturen demokratisch und
solidarisch zu gestalten, wird abgeleitet, dass der „Aufbewahrungsort“
der Gelder sekundär sei und politische Bestimmung und Kassenführung aus
Gründen der Effizienz „zentralistisch“ besser geregelt ist.“
Letztlich seien beide Positionen aber nicht für die Situation in
Heilbronn geeignet. Die Ortsgruppe sei aus der Notwendigkeit entstanden,
sich regional gegen Repression zu organisieren und repräsentiere ein
„buntes Sammelsurium von Personen und politischen Überzeugungen“.
In Kritik an der in der Linken weit verbreiteten „größtmöglichen
Unverbindlichkeit“ habe man in Heilbronn keine „Sonstwas-Prozesskasse“,
sondern eine Rote Hilfe mit verbindlichen Regelungen initiiert. Man
müsse allerdings den realen „beschissenen“ Organisationsgrad der Linken
berücksichtigen und den Ortsgruppen viel Eigenständigkeit einräumen.
Die Lösung des Konfliktes war schließlich eine Einigung mit dem Bundesvorstand der Roten Hilfe: Der Heilbronner Ortsgruppe wurde zugestanden, ihre Mitglieder vor Ort selbst „erfassen“ zu dürfen und nur die Anzahl der Mitglieder regelmäßig an den Bundesvorstand zu melden. Es wurde außerdem vereinbart, dass aus Heilbronn pro Mitglied der monatliche Mindestbeitrag an den Bundesvorstand zu zahlen sei. Da die meisten Mitglieder mehr als den Mindestbeitrag zahlten, blieb ein Restbetrag übrig, der nicht an die bundesweite Kasse abgeführt wurde, sondern über den die Rote Hilfe Heilbronn selbständig verfügen konnte.
In anderen Städten, in denen ähnliche Diskussionen geführt wurden,
kamen die lokalen Akteure zu anderen Ergebnissen. Sie wollten sich nicht
den zentralen Rote Hilfe-Strukturen anschließen, sondern riefen
unabhängige Antirepressionsgruppen ins Leben.
Nur wenige Tage nach der Gründung der Heilbronner Roten Hilfe wurde
beispielsweise im Theaterhaus in Stuttgart-Wangen am 6. Oktober 1989 die
„Bunte Hilfe Stuttgart“ gegründet. Diese bezog sich in ihrem Aufruftext
explizit auf die „Auseinandersetzung mit dem Gefängnissystem“ und auch
auf die Unterstützung von „Berbern“ und Flüchtlingen. Auch in ihrer
Satzung grenzte sich die „Bunte Hilfe Stuttgart“ vom Selbstverständnis
der bundesweiten Roten Hilfe ab und kündigte Unterstützung für alle an,
die „als Objekte sozialhygienischer Maßnahmen“ von Repressionen
betroffen waren.
Trotz der kritischen Debatten gelang es der Roten Hilfe Heilbronn
nach der Gründung im September 1989 recht schnell, eine Praxis zu
entwickeln und sich vor Ort zu verankern.
In einem Brief an den Bundesvorstand im Dezember 1989 hieß es über die eigenen Mitglieder:
„Die RH-Ortsgruppe ist wohl die „bunteste“ (und mitgliederstärkste)
linksradikale Organisation am Ort. Das Spektrum, aus dem die Mitglieder
stammen, reicht von autonomen bis zu gewerkschaftlich orientierten
Kräften und linken Grünen.“
Im August 1990 erschien die erste Ausgabe der „nix vergessen? –
Lokalzeitung der Roten Hilfe für Heilbronn“. In dem kleinen Heft ging es
unter anderem um Prozesse gegen „Waldheide“-BlockiererInnen,
Ermittlungsverfahren gegen Heilbronner Antifas und den Versuch des
Verfassungsschutzes, im Juli 1990 einen linken Aktivisten in Heilbronn
als Spitzel anzuwerben.
Die ZeitungsmacherInnen beklagten allerdings auch ein mangelndes
Interesse an den regelmäßig stattfindenden Mitgliederversammlungen der
Ortsgruppe. Sie drohten damit, zukünftig schriftliche Krankmeldungen
oder Vorträge über Karl Marx´ „Das Kapital“ von Mitgliedern zu
verlangen, die nicht zu den Versammlungen kämen.
Anstatt diese wohl eher humoristisch gedachten Drohungen in die Tat
umzusetzen, wurde als Reaktion auf die geringe Beteiligung an
monatlichen Mitgliederversammlungen eine „Org-Gruppe“ von 3 bis 5
Menschen innerhalb der Ortsgruppe gegründet.
Sie kümmerte sich um die Kommunikation mit den Mitgliedern, die
Erstellung von Flugblättern, die Verwaltung der Mitgliedsbeiträge, die
Mobilisierung zu anstehenden Gerichtsverfahren und um
Unterstützunganfragen.
Um die Beteiligung aller Mitglieder sicher zu stellen, entschied man
sich für die Durchführung von „Jahresmitgliederversammlungen“ – dies
wurde ohnehin durch die Satzung der bundesweiten Roten Hilfe festgelegt.
Der enge Kontakt zur „Bunten Hilfe Stuttgart“ führte dazu, dass Anfang
1991 deren fast zeitgleich gegründete Lokalzeitung mit der „nix
vergessen?“- Zeitung aus Heilbronn fusionierte. Im April 1991 erschien
die erste Ausgabe von „nix vergessen? BulleTäng – Zeitung der Bunten
Hilfe Stuttgart und der Roten Hilfe Heilbronn“. Dieses gemeinsame
Zeitungsprojekt existierte bis Ende der 1990er Jahre.
Zum Beispiel: Antifaschismus
Der Kampf gegen Nazis und rechte Gruppen zieht sich wie kein anderer Bereich linker Politik als roter Faden durch die Geschichte der lokalen Bewegungen und der Roten Hilfe Heilbronn. Und dies aus gutem Grund, weil sich die Notwendigkeit eines aktiven antifaschistischen Widerstands auch über die Jahre hinweg gehalten hat – und weil auf die Heilbronner Polizei und Justiz Verlass ist, wenn es darum geht, AntifaschistInnen zu kriminalisieren.
1990er Jahre: Antifas vor Gericht
In den 1990er Jahren formierte sich das wiedervereinte Deutschland, um zur europäischen Supermacht aufzusteigen.
Während Helmut Kohl „blühende Landschaften“ versprach und die
Treuhand-Anstalt alte DDR-Betriebe an das deutsche Kapital verteilte,
sahen sich Nazis und rechte Gruppen im Aufwind.
Sie versuchten, mit nationalistischen und rassistischen Parolen an den
schwarz-rot-goldenen Begeisterungstaumel, der vielerorts vorherrschte,
anzuknüpfen.
Es kam zu den schwersten rassistischen Pogromen der
Nachkriegsgeschichte. Die Bilder aus Rostock, Hoyerswerda oder Mölln
gingen um die Welt. Gleichzeitig hetzten auch PolitikerInnen der
„bürgerlichen Mitte“ gegen Flüchtlinge und MigrantInnen. 1993 wurde das
Recht auf Asyl in Deutschland de facto abgeschafft.
In fast jeder Stadt kam es zu Brandanschlägen und Übergriffen gegen MigrantInnen – auch in der Region Heilbronn.
Im Januar 1990 verprügelten Nazis auf offener Straße Asylbewerber in Neckargartach und in Heilbronn.
Am 24. September 1990 wurde ein türkischer Jugendlicher mitten in der
Heilbronner Fußgängerzone von faschistischen Skinheads mit einem Messer
niedergestochen.
Auch linke und alternative Strukturen wurden immer wieder zum Ziel
faschistischer Angriffe. Bereits im Herbst 1989 verübten Nazis
Brandanschläge auf linke Treffpunkte in Heilbronn – darunter den
Infoladen in der Mozartstraße. Ende April 1990 verschickten Nazis an
stadtbekannte Linke Drohbriefe. Als Absender der Drohbriefe hatten die
Faschisten eine Kontaktadresse der Roten Hilfe in Kiel angegeben.
Die Täter kamen nicht aus dem Nichts. In Heilbronn gab es damals verschiedene rechte und faschistische Gruppen. Mit dem „Bayerischen Keller“ in der Dammstraße hatte die militante Naziszene jahrelang auch einen festen Treffpunkt in der Stadt. Die „Republikaner“ (REP) erreichten bei den Landtagswahlen 1992 im Wahlkreis Heilbronn 14 Prozent und bei den Gemeinderatswahlen 1994 fast 10 Prozent.
Es war also kein Zufall, sondern bittere Notwendigkeit, dass sich die
linke Bewegung in der Region Heilbronn in dieser Zeit verstärkt mit dem
Thema Antifaschismus beschäftigte.
Antifa-AktivistInnen führten Demonstrationen, Kundgebungen und
Veranstaltungen durch – und traten den Nazis auch entschlossen entgegen.
Da die Antwort des Staates auf dieses Engagement nicht lange auf sich
warten ließ, hatte die noch junge Rote Hilfe Ortsgruppe einiges zu tun.
Polizei und Staatsanwaltschaft gingen mit zahlreichen Ermittlungsverfahren gegen Heilbronner Antifas vor.
Zum Beispiel stand am 29. Mai 1991 der Aktivist M. vor dem Heilbronner
Amtsgericht. Er war am 15. Februar 1989 Teilnehmer einer
Kurdistan-Solidaritäts-Veranstaltung in der Gaststätte „Wurm“ in
Heilbronn. Eine Gruppe von Nazis versuchte, den Veranstaltungsort zu
stürmen, wurde aber von engagierten AntifaschistInnen in die Flucht
geschlagen. Einem der angreifenden Nazis nahmen die Antifas dabei ein
„Nunchaku“ ab. Dabei handelt es sich um ein verbotenes Würge- und
Schlaginstrument, das eigentlich eher aus Ninja-Filmen bekannt sein
dürfte. Der entwaffnete Faschist hieß Jens Keilbach und kam aus dem
Umfeld der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN).
Keilbach zeigte den „Raubüberfall“ an und durfte sich bei der
Kriminalpolizei die Lichtbild-Kartei über stadtbekannte Linke ansehen.
Nachdem er den vermeintlichen „Täter“ identifiziert hatte, wurde gegen
M. ermittelt und zwei Hausdurchsuchungen durchgeführt.
Vor Gericht hatte sich M. dann nicht nur wegen der Abwehr des
Nazi-Angriffes zu verantworten. In einem zweiten Komplex wurde ihm
außerdem die Beteiligung an einer Baggerbesetzung vorgeworfen. Im März
1990 war M. beim Abriss von Sozialwohnungen auf dem Gelände der Firma
„Telefunken“ im Bahnhofsviertel festgenommen worden. Er hatte zusammen
mit anderen Heilbronner AktivistInnen gegen die Zerstörung sozialen
Wohnraums protestiert und zeitweise einen der Abriss-Bagger besetzt.
Auch am 17. Februar 1993 stand ein aktiver Antifaschist vor dem Amtsgericht in Heilbronn. Er hatte sich an einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der „Republikaner“ (REP) mit Harald Neubauer im „Kleintierzüchterheim“ in Heilbronn-Neckargartach am 21. September 1989 beteiligt. Der Nazi-Vortrag hatte nur unter erschwerten Bedingungen statt finden können, weil Unbekannte in der Nacht zuvor die Scheiben der Gaststätte eingeschlagen und mit Buttersäure gefüllte Glasröhrchen in die Räume geworfen hatten. Laut Ermittlungsakten vermutete die Kriminalpolizei die Täter damals „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ in der „linksextremen autonomen Szene Heilbronns“.
Auch wer sich als AnmelderIn für Demonstrationen zur Verfügung stellte, bekam es als AntifaschistIn schnell mit der Polizei zu tun: die Anmelderin einer Antifa-Demonstration in Heilbronn am 29. August 1992 bekam einen Strafbefehl, wegen der „abweichenden Durchführung von Versammlungen“. Die TeilnehmerInnen der Demo, die eine Reaktion auf das Pogrom gegen die Flüchtlingsunterkunft in Rostock-Lichtenhagen gewesen war, hatten auf ihrer Route unerlaubt die „gesamte Straßenbreite“ benutzt.
2000er Jahre: Antifaschismus bleibt kriminell
Im Oktober 2000 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder
(SPD) nach einem Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf einen
„Aufstand der Anständigen“ gegen „Rechtsextremismus“ gefordert. Am
Umgang der Staates mit denjenigen, die sich konsequent gegen Nazis
engagieren, änderte sich allerdings nichts.
Die antifaschistische Bewegung war auch in den 2000er-Jahren immer wieder von zum Teil umfangreichen Repressionen betroffen.
Dabei hatte es die Rote Hilfe Heilbronn durchaus auch mit grotesken Fällen zu tun. So wurde ein Antifaschist aus der Region im Jahr 2002 wegen Körperverletzung verurteilt, weil er bei einer Demonstration gegen einen JN-Aufmarsch in Heidelberg 2001 eine Mandarine auf den Brustpanzer eines Polizisten geworfen haben soll.
Zwischen 2003 und 2006 führten Faschisten in Schwäbisch Hall und
Heilbronn zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen durch – fast immer
unter der Führung des bundesweit vernetzten Nazis Lars Käppler.
Käppler war in den 1990er Jahren Kader der NPD-Jugendorganisation „Junge
Nationaldemokraten“ (JN) in Heilbronn gewesen, gründete 1999 allerdings
mit weiteren JN-Abkömmlingen seine eigene Organisation: die „Bewegung
Deutsche Volksgemeinschaft“ (BDVG). Später kehrte er wieder zur NPD
zurück.
Ausgangspunkt der rechten Aufmärsche in Schwäbisch Hall war die dort im
Sommer 2003 gastierende Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Nach
zwei Demonstrationen gegen die Ausstellung entwickelten Käppler und
seine BDVG-Kameraden die Idee, durch regelmäßige Aktionen die Stimmung
in der 37.000-Einwohner Stadt zu ihren Gunsten beeinflussen und sich
verankern zu können. Die Nazis stießen allerdings immer wieder auf zum
Teil heftigen antifaschistischen Widerstand.
Am 6. März 2004 wollte die BDVG unter dem Motto „Multi-Kulti-Diktat in
Hall brechen!“ durch die Stadt marschieren. Von ihrem Startpunkt am
„Holzmarkt“ in Schwäbisch Hall aus kamen die Nazis allerdings nicht
weit. Während ein breites BürgerInnenbündnis den als Sammel- und
Endpunkt der BDVG- Versammlung gerichtlich durchgesetzten Marktplatz
besetzte, blockierten über 200 entschlossene AntifaschistInnen die Route der Faschisten. Die
Polizei versuchte mit aller Gewalt, den Nazis den Weg frei zu räumen und
stürmte mehrfach mit Pferden und massivem Schlagstockeinsatz in die
Menge der BlockiererInnen.
Mehrere Personen wurden dabei durch die Polizei verletzt, unter anderem
kam es zu Rippenbrüchen, Quetschungen und Kopfplatzwunden.
Als sich abzeichnete, dass es die Polizei nicht schaffen würde, die
Menschenblockade zu räumen, kam es zu einer Einkesselung, die als
„Haller Kessel“ vielen Betroffenen in Erinnerung geblieben ist.
Insgesamt wurden 267 Menschen in Gewahrsam genommen, stundenlang
festgehalten und zum Teil erkennungsdienstlich behandelt. Der
Ermittlungsausschuss (EA) der Roten Hilfe Heilbronn war bis in den
späten Abend damit beschäftigt, den Überblick über die zahlreichen
Ingewahrsamnahmen zu behalten.
Und auch nach dem 6. März 2004 ging die Arbeit weiter: gegen viele
BlockiererInnen wurden zunächst Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Offensichtlich ging es den Behörden dabei vor allem darum, Daten zu
sammeln, Menschen einzuschüchtern und die erfolgreiche antifaschistische
Blockadeaktion zu kriminalisieren. Von den 267 in Gewahrsam genommenen
AntifaschistInnen bekam gerade einmal eine Hand voll Strafbefehle. Zum
Beispiel wurde einem Heilbronner Nazigegner wegen „Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte“ eine Geldstrafe von 300 Euro auferlegt.
Am 18. Juni 2005 marschierten die BDVG-Nazis gemeinsam mit der NPD durch Heilbronn. 400 AntifaschistInnen versuchten, die Demonstration der Faschisten vom Finanzamt zur Harmonie zu stoppen. Dabei wurden mehrere Personen festgenommen oder in Gewahrsam genommen. Ein Verfahren gegen einen Heilbronner Antifaschisten wegen „Verstoß gegen das Vermummungsverbot“ wurde später eingestellt. Im Prozess vor dem Heilbronner Gericht konnte die Verteidigung nachweisen, dass der Mann sein Gesicht vermummt hatte, um sich vor mehreren „Anti-Antifa“-Fotografen zu schützen, die mit Teleobjektiven versuchten, ihre Gegner ab zu fotografieren.
Nur 2 Monate nach ihrem von der Polizei durchgesetzten Aufmarsch, wurden die lokalen Nazis mitten in der Heilbronner Innenstadt mit handfestem Widerstand konfrontiert. Militante Antifas griffen am 13. August 2005 einen NPD-Infostand an. Mehrere NPD-Aktivisten wurden leicht verletzt, darunter der Kreisvorsitzende Matthias Brodbeck und der JNler Jonathan Stange. Ein Antifaschist wurde von der Polizei in „Tatort-Nähe“ festgenommen. Der von der Roten Hilfe begleitete Prozess gegen ihn wegen „gefährlicher Körperverletzung“ und „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ endete im März 2006 mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldbuße. Da alle Antifas bei dem Angriff auf die Nazis vermummt waren, konnte dem Angeklagten keine direkte Beteiligung an der „Körperverletzung“ gegen die NPDler nachgewiesen werden.
Gegen Ende der 2000er Jahre hatte sich die organisierte Naziszene weitgehend in verschiedene Dörfer und Kleinstädte im Landkreis zurückgezogen. Dort konnte sie allerdings ungestört agieren und offen auftreten. Zugute kam den Nazis, dass sich Repressionsmaßnahmen der Polizei immer wieder gegen die wenigen Versuche richteten, der rechten Präsenz auf den Dörfern etwas entgegen zu setzen.
Am 28. Juli 2009 kam es zu Hausdurchsuchungen gegen einen 19-Jährigen und einen 20-Jährigen in Obersulm-Sülzbach, weil der JN-Stützpunktleiter Marcel Müller sie bei der Polizei beschuldigt hatte, Anti-Nazi-Parolen gesprüht zu haben.
2010er Jahre: Der Feind steht links
Am 19. Mai 2010 outeten rund 20 Antifas den Nazi Marcel Müller mit
einem Transparent, Flugblättern und Böllern vor dessen Wohnung in
Obersulm-Willsbach. Festnahme-Versuche von eintreffenden Polizisten
konnten die AntifaschistInnen „durch gemeinsames entschlossenes
Auftreten“ verhindern, wie es in einer Erklärung im Internet hieß.
Auch darauf reagierten die Staatsschutzbeamten der Kriminalpolizei mit
einer Hausdurchsuchung. Diesmal traf es einen 19-jährigen
Antifaschisten, der von der Polizei an seinem Arbeitsplatz aufgesucht
und dessen Zimmer in seinem Elternhaus am 1. Juni 2010 durchsucht wurde.
Die Rote Hilfe Heilbronn kommentierte das Geschehen in einer Erklärung:
„Dabei geht es ihnen auch darum, Einblicke in die linke Szene zu
bekommen und Jugendliche einzuschüchtern.“
In einem anschließenden Verfahren wegen Landfriedensbruch wurde der
junge Antifa zunächst im Januar 2011 vom Amtsgericht wegen angeblicher
Teilnahme an der Outing-Aktion verurteilt. Am 11. April 2011 kassierte
das Heilbronner Landgericht in einem Berufungsverfahren allerdings
dieses Urteil.
Auch eine spontane Antifa-Demo durch die Heilbronner Innenstadt gegen ein Konzert des Nazi-Liedermachers Frank Rennicke am 1. Oktober 2010 endete mit einem Angriff der Polizei in der „Sülmer City“. Während die Polizei in der „Heilbronner Stimme“ später verkündete, mit der rechten Szene „im Moment keine Probleme“ zu haben, wurden gegen 4 festgenommene AntifaschistInnen Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Den bisherigen Höhepunkt staatlicher Repression bekamen dann am 1.
Mai 2011 hunderte AntifaschistInnen zu spüren. Mit dem über 2 Millionen
Euro teuren Einsatz von fast 4000 Polizisten setzten die Behörden einen
Großaufmarsch von rund 800 Faschisten in Heilbronn durch.
NazigegnerInnen, die versuchten, mit Blockaden den Aufmarsch zu
verhindern, wurden eingekesselt und zu hunderten in Gewahrsam genommen –
teilweise bis zu 12 Stunden lang in eigens dafür vorbereiteten
Turnhallen in der Karlstraße und auf einem zum Freiluftkäfig
umfunktionierten Sportplatz.
Möglich gemacht hatte dieses massive Vorgehen gegen AntifaschistInnen
der damalige Heilbronner Ordnungsbürgermeister und heutige
Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD), der mit einer „Allgemeinverfügung“
einen kompletten Stadtteil zur „No-go-area“ für AntifaschistInnen
erklärt hatte.
Auch nach dem 1. Mai 2011 gingen die Kriminalisierungsversuche gegen
eingekesselte AntifaschistInnen weiter. Vor dem Heilbronner Amtsgericht
fanden mehrere Verfahren gegen NazigegnerInnen wegen Vermummung,
Beleidigung von Polizeibeamten oder der versuchten Überwindung von
Polizeiabsperrungen statt. Auch gegen die SprecherInnen des
antifaschistischen Blockade-Bündnisses „Heilbronn stellt sich quer“
wurde bis März 2012 wegen des „Aufrufs zu Straftaten“ ermittelt.
Insgesamt zeigte die Dimension der Auseinandersetzungen den Heilbronner
Strukturen auch ihre (damaligen) Grenzen auf: ohne die Unterstützung
solidarischer Menschen aus anderen Städten wäre der 1. Mai 2011
sicherlich zur Zerreiss-Probe geworden. Damit meinen wir sowohl die
praktische Unterstützung durch auswärtige Rote Hilfe-AktivistInnen, als
auch die eigenständige Arbeit beispielsweise des „AK Kesselklage“, der
mit seiner Klage gegen den Heilbronner Polizeikessel am 1.Mai 2011
letztendlich juristisch scheiterte.
So bleibt festzuhalten, dass die Erfahrungen des 1.Mai 2011 auch genutzt
werden konnten, um sich politisch und organisatorisch besser
aufzustellen und dem Thema „Repression“ verstärkte Aufmerksamkeit zu
widmen.
Der erfolgreiche Aufbau antifaschistischer Strukturen in der ersten
Hälfte der 2010er Jahre führte wiederum zu einem Anstieg der
Ermittlungsverfahren gegen Heilbronner AktivistInnen.
Im Januar 2014 wurde ein junger Antifaschist vor dem Amtsgericht
Heilbronn wegen „Beleidigung“ verurteilt, weil er einen Vertreter der
rechtspopulistischen Gruppierung „Pro Heilbronn“ als „Rassist“
bezeichnet haben soll.
Auch die Beteiligung von Heilbronner Antifas an Aktionen gegen
Naziaufmärsche in anderen Städten wie Göppingen oder Karlsruhe führten
in den Jahren 2013 und 2014 zu Ermittlungsverfahren und Verurteilungen,
die die Rote Hilfe begleitete.
Gleich zwei Verfahren zur Folge hatte die Aktion eines Heilbronner
Aktivisten im Februar 2014. Er hatte dem baden-württembergischen
Innenminister Reinhold Gall (SPD) eine Sahnetorte ins Gesicht
geschleudert, um gegen die ausbleibende Aufklärung des Netzwerks des
„Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) zu protestieren.
Zum Beispiel Castor
Ab Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich – bundesweit und in der Region – ein Aktionsfeld, das die Rote Hilfe Heilbronn über viele Jahre hinweg beschäftigen sollte: der Widerstand gegen die Castor-Transporte.
1997 – Castor-Alarm in Neckarwestheim
Seit 1995 wurde Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken zu sogenannten
„Wiederaufbereitungsanlagen“ (WAA) im europäischen Ausland und in
Zwischenlager in Ahaus oder Gorleben transportiert – quer durch die
Republik und ohne ein Konzept für die Endlagerung des radioaktiven
Materials.
Die Castor-Behälter waren mit dem Zug und auf LKWs unterwegs und wurden
stets von großen Protesten der Anti-Atom-Bewegung begleitet. Neben
Bürgerinitiativen und UmweltaktivistInnen beteiligten sich immer auch
größere Teile der linken und radikal linken Bewegung an den Aktionen.
Entsprechend breit war auch die Palette der Aktionsformen – sie reichte
von Demonstrationen und Gleisblockaden bis hin zu kreativen Formen des
zivilen Ungehorsams und auch militanten Aktionen. Gemeinsames Ziel der
Aktionen war die Verhinderung oder zumindest zeitliche Verzögerung der
kostspieligen Castor-Transporte. So sollte der Druck auf Atomwirtschaft
und Politik erhöht und die Forderung nach einem sofortigen Ausstieg aus
der Kernenergie praktisch umgesetzt werden.
Auf besonders heftigen Widerstand trafen die Castor-Transporte im
Wendland, der Region um das Zwischenlager in Gorleben. Um Atom-Behälter
aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague (Frankreich) nach Gorleben
zu bekommen, waren im Mai 1996 rund 15 000 Polizisten und der massive
Einsatz von Wasserwerfern nötig.
Im Jahr 1997 rückte das GKN Kernkraftwerk in Neckarwestheim – also
„vor den Toren Heilbronns“ – in den Fokus. Von dort sollten mehrere
Behälter mit abgebrannten Brennelementen nach Gorleben transportiert
werden.
Wie bei vielen Castor-Transporten in den folgenden Jahren organisierte
die Rote Hilfe Ortsgruppe Heilbronn für die Aktionen in und um
Neckarwestheim den „Ermittlungsausschuss“ (EA).
Nach einer Auftakt-Demo mit mehr als 1000 Menschen in Neckarwestheim am
23. Februar 1997 versuchten Anti-Atom-AktivistInnen an verschiedenen
Stellen, die Abfahrt des Castors Richtung Norden zu verhindern. Am 28.
Februar 1997 wurde ein Protest-Camp auf dem „Atombuckel“ vor dem GKN um
4.30 Uhr in den Morgenstunden von 200 Polizisten geräumt. 40
AktivistInnen wurden mit Plastikbindern gefesselt, in Gewahrsam genommen
und auf verschiedene Polizeireviere und Turnhallen im Großraum
Heilbronn verteilt.
Nur wenig später gelang es mehreren Menschen, sich mit Betonfässern auf
der Bundesstraße B27 anzuketten und den Straßentransport des Castors für
eine Stunde aufzuhalten.
Auch vor dem Kohlekraftwerk in Walheim, wo die Castor-Behälter auf das
Schienennetz verladen wurden, kam es zu Gleisblockaden. Insgesamt wurden
bei den Aktionen gegen den Castor-Transport aus Neckarwestheim in der
Region über 300 Menschen in sogenanntes „Beseitigungsgewahrsam“ genommen
oder festgenommen. In der Folge leitete die Staatsanwaltschaft gegen
mehrere Personen Ermittlungsverfahren wegen „gefährlichen Eingriffs in
den Schienenverkehr“, Nötigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung
ein.
Der „Ermittlungsausschuss“ (EA) der Heilbronner Roten Hilfe resümierte
die Geschehnisse in einer kleinen Broschüre: „Der März 1997 war trotz
aller Repressionen ein Erfolg. Die großartigen Blockadeaktionen und
andere Behinderungen im Wendland haben gezeigt, dass Castortransporte
dorthin politisch und ökonomisch einen hohen Preis haben – und doch ist
Gorleben nur ein Symbol. Das eigentliche Ziel ist die Abschaltung aller
AKWs.“
1998 und 1999: Maulwürfe und Schnellverfahren
Ein Jahr später, im März 1998, erreichten die Proteste gegen den Castor in der Region ihren Höhepunkt. Wieder sollten abgebrannte Brennelemente aus dem GKN Neckarwestheim in ein Zwischenlager transportiert werden – diesmal nach Ahaus in Nordrhein-Westfalen. Unter dem Motto „Den Castor stoppen, bevor er losfährt“ mobilisierte die Anti-Atom-Bewegung für den mittlerweile vierten „Tag X“.
Bereits die Auftaktdemonstration am 15. März 1998 in Neckarwestheim,
an der sich 3000 Menschen beteiligten, versuchten die
Verwaltungsbehörden mit massiven Auflagen einzuschränken.
Ab Mitternacht des 17. März 1998 galt dann für das gesamte Gebiet
entlang der Bahnstrecke eine Allgemeinverfügung der Landratsämter
Heilbronn und Ludwigsburg, in der alle Versammlungen untersagt wurden.
Das „Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim“ versuchte
vergeblich, vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegen diesen
umfangreichen Eingriff in das Grundrecht auf Demonstrationsrecht
vorzugehen.
Am 19. März 1998 blockierten trotz des Verbotes bis zu 500 Menschen
das Tor 2 des Atomkraftwerks in Neckarwestheim. Die Polizei kesselte die
Sitzblockade ein und begann am Nachmittag mit der Räumung. Zunächst
wurden 69 Personen weggetragen, in Gewahrsam genommen und mit
Gefangenen-Bussen in eine zur „Gefangenen-Sammelstelle“ (GeSa)
umfunktionierte Turnhalle in Talheim abtransportiert. Unter Zeitdruck
geraten, ging die Polizei später dazu über, den Platz vor dem GKN
gewaltsam zu räumen. Dabei wurden zwei Menschen so schwer verletzt, dass
sie mit Rettungswagen weggefahren werden mussten.
Parallel zur Sitzblockade vor dem Tor 2 schafften es zwei
Anti-Atom-Aktivisten, den Abtransport des Castors mit einer
spektakulären Aktion zu verzögern. Sie befanden sich in einem von
Unbekannten selbst gegrabenen, 6 Meter tiefen und nur 80 cm breiten
Tunnel unter der Bundesstraße B27 Richtung Walheim und machten diese
dadurch unbefahrbar.
Beamten eines „Sondereinsatzkommandos“ (SEK) gelang es erst nach
Stunden, die beiden „Maulwürfe“, die mit ihren Händen in einem
Betonklotz steckten, an einem Seil gewaltsam aus dem Tunnel zu ziehen.
Kurz vor dem Eintreffen in Walheim wurde der Transport kurzzeitig von
einem PKW blockiert: Kreative AktivistInnen hatten sich ein Auto mit
Wiesbadener Kennzeichen und Blaulicht organisiert, wurden für Beamte des
BKA gehalten und hatten so auf die Transportstrecke des Castors
gelangen können.
Auch auf der Schiene wurde der Transport am 20. März 1998 von Menschen,
die sich auf der Strecke zwischen Lauffen und Heilbronn auf den Gleisen
angekettet hatten, gestoppt. Mit einer Verzögerung von über 10 Stunden
traf der Castor schließlich in Ahaus ein, wo es ebenfalls heftigen
Protest und Widerstand gegeben hatte.
Die Rote Hilfe Heilbronn war nach der EA-Arbeit auch mit den Folgen
der Castor-Aktionen beschäftigt. Insgesamt waren bei den Protesten in
Baden-Württemberg etwa 150 Personen festgenommen oder in Gewahrsam
genommen worden. Die in Gewahrsam genommenen BlockiererInnen erhielten
vom Landratsamt Heilbronn Bußgeldbescheide und Rechnungen über die
entstandenen Polizeikosten bzw. die Kosten für die „Unterbringung“ im
Gewahrsam.
Gegen mehrere AktivistInnen wurden Ermittlungsverfahren geführt. Z.B.
wurde ein Atom-Gegner vom Amtsgericht Heilbronn wegen „versuchter
Nötigung in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung“ verurteilt, weil
er versucht hatte, an einem Streckenabschnitt zwischen Lauffen und
Nordheim eine 22,5 Kilo schwere Schienenkralle anzubringen.
Die beiden „Maulwürfe“, die den Castor-Transport durch ihre
Tunnel-Aktion unter der B27 aufgehalten hatten, befanden sich zunächst
in Untersuchungshaft und wurden wegen „schweren Eingriffs in den
Straßenverkehr“ angeklagt.
Besonderes Aufsehen erregten sogenannte „Schnellverfahren“. Dabei
handelt es sich um die Möglichkeit für Staatsanwaltschaften und
Amtsgerichte, bei „einfachem Sachverhalt“ oder „klarer Beweislage“
beschleunigte Verfahren nach § 417 der Strafprozessordnung
durchzuführen.
Zwei Anti-Atom-Aktivisten wurden vom Amtsgericht Heilbronn in solchen
„Schnellverfahren“ unmittelbar nach ihrer Festnahme zu Bewährungsstrafen
verurteilt – noch während der Castor-Transport unterwegs war. Dabei
schreckte der Heilbronner Richter Lothar Kindel auch nicht davor zurück,
drei EntlastungszeugInnen im Gerichtssaal wegen ihres vermeintlichen
„Meineides“ festnehmen und in Handschellen abführen zu lassen.
Auch 1999 fanden vor dem Amtsgericht Heilbronn weitere Prozesse wegen der Proteste gegen den Castor-Transport nach Ahaus statt. Mehrere Menschen hatten gegen die Bußgeldbescheide wegen der Blockadeaktionen Widerspruch eingelegt. Das Amtsgericht lehnte die Einstellung der Verfahren ab, eine Staatsanwältin äußerte sich mit den Worten: „Es war schon immer etwas teurer im Bereich der Staatsanwaltschaft Heilbronn aufzufallen.“
2000er Jahre: Der Castor rollt wieder
Im Mai 1998 – nur wenige Monate nach dem Castor-Transport von
Neckarwestheim nach Ahaus – musste die damalige Umweltministerin Angela
Merkel (CDU) alle Atommülltransporte stoppen. Es war bekannt geworden,
dass Castor-Behälter auf ihrem Weg von deutschen AKWs in die
„Wiederaufbereitungsanlagen“ La Hague (Frankreich) und Sellafield
(England) stark radioaktiv kontaminiert waren. Kurz und knapp: die
Behälter strahlten weitaus mehr als gesetzlich erlaubt.
Im Juni 2000 handelte die rot-grüne Bundesregierung mit den
Energiekonzernen, die mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe
gedroht hatten, einen „Atomkonsens“ aus. Dieser wurde als „Ausstieg“ aus
der Atomenergie verkauft, garantierte den Kernkraftwerksbetreibern in
Wirklichkeit aber jahrzehntelange Restlaufzeiten, in denen Tag für Tag
mehr atomarer Müll produziert wird.
Durch den andauernden Atommüll-Transporte-Stopp waren die deutschen AKWs
allerdings in „Entsorgungsnotstand“ geraten – es drohte das „Abschalten
durch Verstopfen“.
Der grüne Umweltminister Jürgen Trittin nahm den Atomkonzernen auch
diese Sorge ab: er genehmigte noch im Jahr 2000 die Wiederaufnahme der
Transporte und rief gleichzeitig seine eigene Partei dazu auf, nicht
gegen die bevorstehenden Castor-Transporte zu demonstrieren.
Die Mehrheit der Anti-Atom-Bewegung ließ sich davon allerdings nicht
beeindrucken und hielt an Aktionen gegen den unverantwortlichen Betrieb
der AKWs und die völlig unklare Endlagerung des Atom-Mülls fest.
Nach ersten Transporten von La Hague nach Gorleben und von
Phillipsburg nach La Hague im März 2001, wurden im April 2001 wieder
Castor-Behälter mit Brennelementen aus dem GKN Neckarwestheim auf die
Reise geschickt. Ziel war die „Wiederaufbereitungsanlage“ in Sellafield.
Sowohl am GKN in Neckarwestheim, als auch in der deutsch-französischen
Grenzregion bei Wörth/Lauterbourg, kam es zu Aktionen der
Anti-Atom-Bewegung. Auch der Ermittlungsausschuss (EA) der Roten Hilfe
Heilbronn war wieder im Einsatz.
Am 24. April 2001 versuchten rund 100 Menschen, bereits um 5.00 Uhr
morgens die Abfahrt des Castors mit einer Sitzblockade auf der Straße
vor dem GKN zu verzögern. Sie wurden von der Polizei geräumt und in
einer als „Gefangenen-Sammelstelle“ (GeSa) dienenden Turnhalle in
Bönnigheim-Hohenstein in Gewahrsam gehalten. Auch Menschen, die sich nur
in der Nähe der Transport-Strecke aufhielten – in einem Fall befand
sich eine Person alleine auf einem Feld – wurden in Gewahrsam genommen.
Einige der in Gewahrsam genommenen AktivistInnen wurden dem Besigheimer
Amtsrichter Graf vorgeführt, der den polizeilichen Gewahrsam bis zum
Nachmittag des folgenden Tages anordnete.
In der Nähe der Städte Wörth (Rheinland-Pfalz) und Lauterbourg
(Frankreich) wurden am 25. April 2001 ebenfalls Anti-Atom-AktivistInnen
eingekesselt und in Gewahrsam genommen, bevor der Castor-Zug die BRD
verließ.
Im November 2003 war ein Castor-Transport mit 1.300 Tonnen
hochradioaktivem Müll aus dem französischen La Hague nach Gorleben
unterwegs. Auch wenn es diesmal nicht um das AKW „vor der eigenen
Haustüre“ ging, unterstützten südwestdeutsche Anti-Atom-AktivistInnen
und der Ermittlungsaussschuss (EA) der Roten Hilfe Heilbronn die
Aktionen gegen den Transport.
Die außerparlamentarische Anti-Atom-Bewegung agierte sowieso längst über
alle Bundes- und Landesgrenzen hinweg. So war es eine ans Gleis
gekettete deutsch-französische Aktionsgruppe, die den Castor am 10.
November 2003 noch in Frankreich für 2 Stunden blockierte.
Der nächste Castor-Stopp ereignete sich dann direkt in der Region
Heilbronn, von wo aus der Zug Richtung Niedersachsen weiter fahren
wollte: zwischen Züttlingen und Neudenau hatten sich zwei Menschen mit
einem Metallrohr unter den Gleisen angekettet. Der Castor konnte erst
nach über 2 Stunden weiter fahren, die Blockierer und weitere
DemonstrantInnen wurden festgenommen bzw. in Gewahrsam genommen.
Das Verfahren gegen die beiden angeketteten Atomgegner wegen „Nötigung“
wurde ein Jahr später im November 2004 vor dem Heilbronner Amtsgericht
eingestellt – auch beeinflusst von dem Tod des französischen Aktivisten
Sébastien Briat. Sébastien war am 7. November 2004 bei Avricourt von der
Lokomotive eines Atommüllzuges auf dem Weg nach Gorleben erfasst und
getötet worden.
Im November 2004 hatten auch die südwestdeutschen Anti-Atom-Gruppen
wieder mit Aktionen in Wörth und Maximiliansau gegen den
Castor-Transport aus La Hague protestiert.
Die Nachricht von Sébastiens Tod ist bis heute der Tiefpunkt der
EA-Arbeit für diejenigen der Heilbronner Roten Hilfe, die die
Castor-Aktionen im November 2004 begleitet haben.
Zum Beispiel: Internationale Solidarität und Antimilitarismus
Der Kampf gegen imperialistische Kriege, Aufrüstung und die Militarisierung der Gesellschaft gehört seit vielen Jahrzehnten zu den wichtigsten Aufgaben der Linken. Ebenso die Solidarität mit fortschrittlichen Bewegungen in anderen Ländern. Da es bei der Frage nach „Krieg und Frieden“ auch um die dahinter stehenden Machtverhältnisse und die kapitalistische Weltordnung geht, waren und sind antimilitaristische und internationalistische Aktionen dem Staat immer wieder ein Dorn im Auge und werden mit Repressionen beantwortet. Die Region Heilbronn ist dabei keine Ausnahme.
Das Erbe der 1980er: Waldheide und Waffenschau
In den 1980er Jahren hatte sich in Heilbronn eine breite und lebendige Anti-Kriegs-Bewegung entwickelt.
Im Mittelpunkt stand dabei die „Waldheide“ im Osten der Stadt, die seit
1951 von der US-Armee militärisch genutzt wurde. Im Zuge des
NATO-Doppelbeschlusses von 1979 wurden dort auch sogenannte „Pershing
2“-Mittelstreckenraketen stationiert, die mit atomaren Sprengköpfen
ausgestattet waren.
Ab 1983 kam es zu vielfältigen Demonstrationen und Aktionen gegen die
Bedrohung durch die NATO-Waffen und die Aufrüstungspolitik. Nachdem bei
einem Unfall mit einer Rakete am 11. Januar 1985 drei amerikanische
Soldaten getötet worden waren, schlossen sich auch größere Teile der
Bevölkerung den Aktionen der antimilitaristischen Initiativen an.
Beim landesweiten „Ostermarsch“ der Friedensbewegung im April 1985 zogen 15 000 Menschen auf die Waldheide.
Mit über 200 Festnahmen und zahlreichen Ermittlungsverfahren ging der
Staat gegen AktivistInnen vor, die an mehreren Tagen die Zufahrtswege
des Militärs auf der Waldheide blockierten. Im Dezember 1988 verschickte
die Polizei 189 Kostenbescheide und Strafbefehle an Heilbronner
SitzblockiererInnen – zum Teil ging es dabei um Beträge bis zu 9000 DM.
Einigen der Betroffenen unterbreitete die Staatsanwaltschaft ab Juli
1989 das Angebot, die Verfahren gegen Zahlung einer Geldsumme an
gemeinnützige Einrichtungen einzustellen. Statt sich spalten zu lassen,
verweigerten die AktivistInnen aber die Zahlung der Geldsummen. Sie
schlossen sich weiter zusammen. Im linken Infoladen in der Mozartstraße
wurde eine „Blockade-Hilfe“ als Anlaufpunkt für Betroffene eingerichtet.
Überregional bekannt wurde der Fall der damals 64-jährigen Heilbronner
Friedensaktivistin Martha Kuder, die insgesamt 14 Mal bei den Blockaden
auf der Waldheide festgenommen wurde und wegen Nötigung für 10 Tage ins
Gefängnis ging.
Insgesamt fielen die Urteile gegen die Waldheide-AktivistInnen sehr
unterschiedlich aus. In ihrer Lokalzeitung „nix vergessen?“ berichtete
die Rote Hilfe Heilbronn im August 1990 von verschiedenen
Gerichtsverhandlungen. Diese führten zum Teil zu Verurteilungen, weil
ein Angeklagter „beim Weggetragenwerden mit den Beinen zappelte“ oder
„das US-Militär-Fahrzeug weder vorwärts noch rückwärts fahren konnte“.
Andere Angeklagten wurden frei gesprochen.
Während einige Heilbronner Friedensgruppen vor allem die konkrete Gefahr für die Bevölkerung durch die Raketen auf der Waldheide in den Vordergrund stellten, setzten sich andere Initiativen ausführlich mit den Hintergründen der NATO-Politik und der fortschreitenden Militarisierung der Gesellschaft auseinander.
Am 27. August 1988 demonstrierten zum Beispiel rund 1000 Menschen gegen
die Bundeswehr-Ausstellung „Unsere Luftwaffe“ auf der Heilbronner
Theresienwiese. Die „Luftwaffenschau“ war leicht zu durchschauen als
Versuch, mit „Hubschrauber-Rundflügen“ und „zielspringenden
Fallschirmjägern“ in der Bevölkerung die Akzeptanz für das Militär und
die Aufrüstungspolitik der NATO zu steigern. Im Anschluss an die
Demonstration gelangten einige AntimilitaristInnen auf das
Ausstellungsgelände und entrollten dort ein Transparent mit der
Aufschrift „Für den Profit der Reichen gehen sie über Leichen“. Als sie
versuchten, ihren Protest in ein Informationszelt zu tragen, wurden sie
von Feldjägern angegriffen und zum Teil festgenommen.
Während der sozialdemokratisch dominierte Heilbronner „Friedensrat“ sich
zunächst von den AntimilitaristInnen distanzierte, hatte sich die Rote
Hilfe Heilbronn 1991 mit den Folgen zu beschäftigen. In zwei
Gerichtsverfahren wurde gegen mehrere Personen Anklage unter anderem
wegen Hausfriedensbruch, Beleidigung, Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung erhoben. Eine Antimilitaristin
stand am 26. Februar 1992 vor dem Heilbronner Amtsgericht, weil sie
einen Feldjäger mit einem Regenschirm geschlagen und in den Finger
gebissen haben sollte.
Von 1990 bis 2014: Friedensbewegung in der Krise – KurdInnen im Visier des Staates
Nachdem Anfang der 1990er Jahre die US-amerikanischen Truppen von der
Waldheide abgezogen waren, verlor die antimilitaristische Bewegung in
der Region deutlich an Dynamik. Auch die linken und radikal linken
Kräfte innerhalb der Anti-Kriegs-Initiativen gerieten – wie die gesamte
Linke nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“– in
eine schwere Krise.
Größere Aktionen und Demonstrationen fanden in Heilbronn gegen den
ersten Irakkrieg 1991, den NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999 und den
zweiten Irakkrieg 2003 statt.
Vereinzelt konnte die Rote Hilfe Heilbronn „klassischen“ Formen des
Engagements gegen Krieg und Militarisierung unter die Arme greifen.
Im Jahr 2010 unterstützte die Rote Hilfe Heilbronn einen der letzten
Totalverweigerer vor der Aussetzung des Wehrdienstes im Juli 2011.
Hannes aus Schwäbisch Hall hatte im Dezember 2008 seinen Zivildienst
selbstbestimmt abgebrochen und dies mit der konsequenten Ablehnung des
Zwangs- und Militärdienstes auch öffentlich begründet: „Die
Kriegsmaschine hat viele Gesichter – und der Zivildienst ist eines
davon.“
Gemeint war damit vor allem, dass auch Zivildienstleistende im
Kriegsfall als „zivile Kriegshelfer“ fest eingeplant waren für die
Aufrechterhaltung von Infrastruktur und die Unterstützung der
Streitkräfte.
Der mehrtägige Prozess gegen Hannes vor dem Amtsgericht in Schwäbisch
Hall wegen „Dienstflucht“ endete mit einer Geldstrafe von 720 Euro.
Am 22. November 1993 erließ der Bundesinnenminister Manfred Kanther
(CDU) ein Betätigungsverbot für die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK),
die „Nationale Befreiungsfront Kurdistans“ (ERNK) und über 30 kurdische
Vereine und Einrichtungen. Damit wurde die Verfolgung kurdischer
AktivistInnen in der BRD nach § 129 bzw. §129a („kriminelle“ bzw.
„terroristische“ Vereinigung) juristisch untermauert. Als Begründung
wurden Straftaten der PKK/ERNK angeführt, die das „friedliche
Zusammenleben zwischen Türken und Kurden sowohl in der Türkei als auch
in Deutschland“ stören würden. Außerdem wurde in der Verbotsverfügung
auf „Deutschlands Ansehen in der Türkei“ und das „Vertrauen eines
wichtigen Bündnispartners“ hingewiesen.
Nicht erwähnt wurde, dass die vielfältigen Aktionen kurdischer
AktivistInnen in der BRD vor allem Reaktionen auf den Vernichtungskrieg
des türkischen Militärs gegen kurdische Dörfer und die gesamte kurdische
Bewegung waren. Auch, dass die türkische Armee dabei auf umfangreiche
Lieferungen von Waffen und Panzern aus Deutschland zurückgreifen konnte,
spielte selbstverständlich keine Rolle. Stattdessen wurde eine massive
Hetze gegen in der BRD lebende KurdInnen und ihre kulturellen und
politischen Strukturen in Gang gesetzt und tausende Ermittlungsverfahren
gegen kurdische AktivistInnen eingeleitet.
Noch im November 1993 wurde das kurdische Kulturzentrum in Heilbronn von der Polizei durchsucht und geschlossen.
Im März 1994 wurden nahezu alle Veranstaltungen anlässlich des
kurdischen Newroz-Festes in Deutschland verboten, woraufhin KurdInnen in
mehreren Bundesländern Autobahnen blockierten.
Auch auf der A8 bei Heimsheim kam es im März 1994 zu einer solchen
Blockade-Aktion. Die Heilbronner Staatsanwaltschaft leitete daraufhin
mehr als 20 Ermittlungsverfahren gegen KurdInnen, darunter 4
Jugendliche, ein. In mehreren Prozessen wurden die zum Teil in
Untersuchungshaft sitzenden kurdischen Aktivisten im September und
Dezember 1994 vor dem Landgericht in Heilbronn zu Haftstrafen
verurteilt.
Einer der Angeklagten äußerte sich in einer Erklärung: „Das Gericht, vor
dem wir hier schon so lange sitzen, bewegt sich politisch. In Kurdistan
laufen Mord und Vernichtung mit deutscher Unterstützung weiter, dagegen
haben Gericht und Staatsanwalt nichts. Nur gegen sie, die sie als
Menschen und für den Frieden gehandelt haben, läuft der Prozess.
Schuldig ist aber alleine der deutsche Staat.“
In der Nr. 13 der „ nix vergessen? BulleTäng – Zeitung der Bunten Hilfe
Stuttgart und der Roten Hilfe Heilbronn“ wurde das Vorgehen der
Ermittlungsbehörden kommentiert: „Mit jeder Polizeiaktion gegen eine
kurdische Äußerung in der BRD gibt es neue Massenfestnahmen, neue
ED-Behandlungen, damit neue Bilder zum Abgleichen vorhandener
Materialien, neue Prozesse, neue Verurteilungen, neue
Abschiebedrohungen, neue Namen auch für den türkischen Geheimdienst“.
Mit diesen Worten lässt sich gut umschreiben, was für politisch aktive
KurdInnen in der Region spätestens seit den 1990er Jahren bis heute zum
Alltag gehört.
Die Rote Hilfe Ortsgruppe konnte dabei teilweise unterstützen, manchmal nur beobachten und zu oft überhaupt nicht eingreifen – sie war und ist nur so stark und so internationalistisch wie die Linke, zu deren Schutz sie entstanden ist.
Am 9. Juni 2009 durchsuchte die Polizei die Räume der „Kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V.“ sowie mehrere Privatwohnungen und Autos wegen angeblicher Verstöße gegen das PKK-Betätigungsverbotes. Der Rechtshilfefonds „Azadî“, der eng mit der Roten Hilfe kooperiert, erklärte dazu: „Azadî protestiert gegen diese Schikane und respektlose Haltung gegenüber Menschen, die ein Recht darauf haben, sich für ihre Interessen – seien es politische, soziale oder kulturelle – zu betätigen. Wir halten die anhaltende Kriminalisierung von politischem Engagement eines Großteils der hier lebenden kurdischen Bevölkerung für undemokratisch und fordern dazu auf, diesen Willkürakten ein Ende zu bereiten.“
Auch die Versuche des kurdischen Vereins, mit Kundgebungen und Demonstrationen auf die Situation der KurdInnen aufmerksam zu machen, wurden regelmäßig durch polizeiliche Schikanen behindert. Dem Anmelder einer Demonstration im Juli 2010 stellte das Heilbronner Ordnungsamt beispielsweise einen Bußgeldbscheid über mehrere hundert Euro aus, weil er bei der Aktion rote statt weisse OrdnerInnenbinden verwendet hatte.
Mit einem heftigen Repressionsschlag versuchten Polizei und Behörden am 20. November 2010 die Zusammenarbeit von deutschen AntimilitaristInnen und revolutionären Linken mit der kurdischen Bewegung zu unterbinden. Eine gemeinsame Demonstration von rund 500 Menschen unter dem Motto „Frieden und Freiheit für Kurdistan! Keine Waffenlieferungen an das türkische Militär – Stoppen wir die Kriegstreiber und ihre Verbündeten!“ wurde bereits nach wenigen hundert Metern in der Unteren Neckarstraße in Heilbronn von vermummten Polizeieinheiten angegriffen und eingekesselt. Dabei setzte die Polizei massiv Pfefferspray und Schlagstöcke gegen DemonstrantInnen ein, so dass mehrere Personen verletzt wurden. Polizei und Ordnungsamt erklärten die eingekesselte Demonstration für aufgelöst. Von allen gekesselten DemonstrantInnen wurden die Personalien festgestellt und Videoaufnahmen angefertigt, etwa die Hälfte von ihnen wurde in eine „Gefangenensammelstelle“ (GeSa) transportiert und dort über Stunden festgehalten.
Sowohl gegen mehrere DemonstrantInnen, als auch gegen den Anmelder der Demonstration wurden nach dem 20. November 2010 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Zu Anklagen und Verurteilungen kam es allerdings nur vereinzelt. Offensichtlich sollten die polizeilichen Maßnahmen nicht in erster Linie Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verfolgen, sondern die Demonstration zerschlagen und die dahinter stehenden politischen Konstellationen schwächen.
Und außerdem war da noch…
Ein großer Teil der Unterstützungsleistungen der Roten Hilfe Heilbronn in den letzten 25 Jahren bezog sich auf „klassische“ Arbeitsbereiche linker Bewegungen vor Ort. Es wurden aber auch Menschen unterstützt, die viele Kilometer von Heilbronn entfernt oder in ausdifferenzierten linken Teilbereichen von staatlichen Repressionen betroffen waren.
Zum Beispiel betreute die Rote Hilfe Ortsgruppe eine Aktivistin aus
Brackenheim, die im Rahmen der Aktionstage gegen Gentechnik im September
2009 Kletter- und Ankettaktionen am „Julius-Kühn-Institut“
(Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen) und am Bundesministerium
für Bildung und Forschung in Berlin durchgeführt hatte. Dabei war es
unter anderem zu einer 27-stündigen Blockade eines Zufahrtstors
gekommen, weshalb gegen die junge Frau wegen Hausfriedensbruch ermittelt
und vorübergehend Haftbefehl erlassen wurde.
Auch ein Aktivist aus dem Landkreis, der sich wegen der Teilnahme am
„Klimacamp“ in Hamburg 2008 mit einem Verfahren wegen „Verstoß gegen das
Sprengstoffgesetz“ (Chinaböller) konfrontiert sah, wurde durch die Rote
Hilfe Heilbronn betreut.
Mit Geldspenden aus der Ortsgruppen-Kasse unterstützte die Rote Hilfe Heilbronn außerdem in überregional bedeutenden Repressionsfällen wie bspw. den seit 1982 in den USA inhaftierten Journalisten und Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal, beim §129 StGB-Verfahren gegen Passauer AntifaschistInnen 1998, im Verfahren gegen angebliche Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ (RZ) 2000 oder nach den massiven Angriffen gegen die globalisierungskritische Bewegung in Genua 2001.
Nicht zu vergessen sind auch verschiedene Veranstaltungen, mit denen die Rote Hilfe Heilbronn immer wieder versucht hat, Öffentlichkeit zum Thema Repression herzustellen. Beispiele hierfür sind Vortragsabende zu „Entwicklung und Konsequenzen des Strafrechts“ im Rahmen einer antifaschistischen Aktionswoche im Jugendhaus Marbach 1999, zu Repressionen im Vorfeld des G7-Gipfels 2007 im Demokratischen Zentrum in Ludwigsburg oder zum Einsatz des Heidelberger Spitzels Simon Bromma im Sozialen Zentrum Käthe in Heilbronn 2011.
Zum Tag der politischen Gefangenen am 18. März organisierte die Rote Hilfe Heilbronn im Jahr 2014 eine Veranstaltungsreihe, die unter anderem die Situation von Mumia Abu-Jamal, das Verfahren gegen angebliche RZ-Mitglieder aus Frankfurt und die §129-Ermittlungen gegen „Revolutionäre Aktionszellen“ (RAZ) thematisierte.
Auf die nächsten 25 Jahre – Mitglied werden und Solidarität organisieren!
Die Rote Hilfe ist eine bundesweite linke Schutz- und Solidaritätsorganisation, die sich aus Einzelmitgliedern und Ortsgruppen zusammen setzt. In der Heilbronner Ortsgruppe schließen sich seit 1989 Menschen zusammen, um staatlichen Repressionen gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten effektiv entgegen zu treten.
Der Zweck der Roten Hilfe ist in ihrer Satzung festgehalten:
„Die Rote Hilfe ist eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation.
Die Rote Hilfe organisiert nach ihren Möglichkeiten die Solidarität für
alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der
Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung
verfolgt werden. Politische Betätigung in diesem Sinne ist z.B. das
Eintreten für die Ziele der Arbeiter_innenbewegung, die Internationale
Solidarität, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische,
demokratische und gewerkschaftliche Kampf sowie der Kampf gegen
Antisemitismus, Militarismus und Krieg. Unsere Unterstützung gilt
denjenigen, die deswegen ihren Arbeitsplatz verlieren, Berufsverbot
erhalten, vor Gericht gestellt und zu Geld- oder Gefängnisstrafen
verurteilt werden oder sonstige Nachteile erleiden.
Darüber hinaus gilt die Solidarität der Roten Hilfe den von der Reaktion
politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde.“ (aus §2 der Satzung
der Roten Hilfe)
Dabei leistet die Rote Hilfe sowohl politische, als auch materielle
Hilfe. Sie bereitet zusammen mit Angeklagten Gerichtsprozesse vor und
macht besonders deren politische Hintergründe in der Öffentlichkeit
bekannt.
Durch Solidaritätsveranstaltungen, Spendensammlungen und Zuschüsse aus
den Beitragsgeldern sorgt die Rote Hilfe dafür, dass die finanziellen
Belastungen von vielen gemeinsam getragen werden. Besonders Anwalts- und
Gerichtskosten können teilweise oder ganz übernommen, aber auch
Zahlungen zum Lebensunterhalt geleistet werden, wenn hohe Geldstrafen,
Verlust des Arbeitsplatzes oder Gefangenschaft die Betroffenen oder ihre
Familien in Schwierigkeiten gebracht haben.
Zu politischen Gefangenen halten die AktivistInnen der Roten Hilfe
persönlichen Kontakt. Sie treten dafür ein, dass die Haftbedingungen
verbessert und insbesondere Isolationshaft aufgehoben wird und sie
fordern die Freilassung der politischen Gefangenen.
Die Rote Hilfe versteht sich allerdings nicht als karitative
Einrichtung, sondern sieht die Unterstützung von Einzelnen zugleich als
Beitrag zur Stärkung der Bewegung. Alle, die sich am Kampf beteiligen,
sollen das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn
sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen. Ist es der
wichtigste Zweck der staatlichen Verfolgung, diejenigen, die gemeinsam
auf die Straße gegangen sind, durch Herausgreifen Einzelner voneinander
zu isolieren und durch exemplarische Strafen Abschreckung zu bewirken,
so stellt die Rote Hilfe dem das Prinzip der Solidarität entgegen und
ermutigt damit zum Weiterkämpfen.
Außer der unmittelbaren Unterstützung für Betroffene sieht die Rote
Hilfe ihre Aufgabe auch darin, sich im allgemeinen Sinn an der Abwehr
politischer Verfolgung zu beteiligen. Sie wirkt z.B. schon im Vorfeld
von Demonstrationen darauf hin, dass die TeilnehmerInnen sich selbst und
andere möglichst effektiv vor Verletzungen und Festnahmen durch die
Staatsgewalt schützen. Sie engagiert sich gegen die Verschärfung der
Staatsschutzgesetze, gegen den weiteren Abbau von Rechten der
Verteidigung und gegen weitere Beschränkungen der Meinungs- und
Versammlungsfreiheit.
Solidarität ist allerdings keine Rechtsschutzversicherung. Sie kann nur funktionieren, wenn wir alle gemeinsam dafür einstehen. Jedes Mitglied und jede Spende unterstützt die laufende Arbeit der Roten Hilfe und die Zahlungen von Unterstützungsgeldern an Betroffene, die sich an sie gewandt haben.
In den vergangenen 25 Jahren konnte die Rote Hilfe Heilbronn vielen
Menschen aus den unterschiedlichsten Strömungen und Teilbereichen der
Linken den Rücken stärken. Sie hat bewegungsarme und bewegungsintensive
Zeiten überstanden. Ob im antifaschistischen Kampf, bei Blockaden gegen
Castor-Transporte oder auf Anti-Kriegs-Demonstrationen: immer konnten
sich die Aktiven darauf verlassen, nicht alleine da zu stehen, wenn sie
in Gewahrsam genommen, festgenommen, vor Gericht gezerrt, mit
Strafbefehlen bedroht oder vom Verfassungsschutz angequatscht wurden.
Damit das auch so bleibt, braucht die Rote Hilfe Heilbronn Menschen, die
sich für eine Mitgliedschaft oder die aktive Mitarbeit in der
Ortsgruppe entscheiden. Du ahnst es schon: die Rote Hilfe braucht Dich!
Alle Informationen zur Mitgliedschaft in der Roten Hilfe und zu den
Aktivitäten der Ortsgruppe in Heilbronn findet ihr unter
www.heilbronn.rote-hilfe.de
Jeden ersten Dienstag im Monat findet im Sozialen Zentrum Käthe
außerdem das Offene Treffen der Roten Hilfe Heilbronn statt, zu dem alle
eingeladen sind, die sich für die Arbeit in der Ortsgruppe
interessieren.
Dieser Abend dient außerdem als Anlaufstelle für Menschen, die von
Repression betroffen sind und Beratung oder Unterstützung benötigen.
Jeden ersten Dienstag im Monat | Soziales Zentrum Käthe | Wollhausstr. 49 | 74072 Heilbronn
Rote Hilfe Heilbronn
c/o Infoladen
Wollhausstr. 49
74072 Heilbronn
heilbronn@rote-hilfe.de
www.heilbronn.rote-hilfe.de
Die Rote Hilfe Heilbronn sagt Danke!
Wir möchten den Rückblick auf 25 Jahre Ortsgruppenarbeit dazu nutzen,
um uns bei allen zu bedanken, mit denen wir in dieser Zeit zusammen
gearbeitet und die uns unterstützt haben – als Mitglied, SpenderIn,
Rechtsanwältin, Rechtsanwalt, BeraterIn oder Aktive anderer Ortsgruppen,
Antirepressionsstrukturen und Projekte. Die Geschichte der Roten Hilfe
Heilbronn ist auch Eure Geschichte.
Rote Hilfe Heilbronn
Organisierte Linke Heilbronn (OL) | www.ol-hn.org