… und der Verfassungsschutz schützt die Verfassung

Erstveröffentlicht: 
07.08.2014

Bundesbehörden spitzeln vermehrt per Telefon und Internet. Inlandsgeheimdienst verdoppelt Anzahl von »stillen SMS«. Regierung gibt sich wortkarg

 

Von Roland Zschächner

 

Die deutschen Polizei- und Geheimdienstbehörden haben im ersten Halbjahr 2014 in bisher nie dagewesenem Ausmaß auf digitale Überwachung zurückgegriffen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die am Mittwoch öffentlich wurde. Auffällig ist die massive Zunahme von sogenannten stillen SMS. Die Technologie, bei der Kurznachrichten ohne Inhalt und ohne daß der Handybesitzer den Empfang bemerkt, verschickt werden, wurde von der Bundespolizei 68832 Mal verwendet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat mit 52978 gegenüber dem Vorjahr doppelt so viele »Ortungsimpulse« verschickt. Andrej Hunko von der Linksfraktion dazu: »Der Inlandsgeheimdienst ist so zum elektronischen Spitzelapparat geworden, der vor allem unliebsame politische Bewegungen bekämpft.« Er forderte als »einzig richtige Konsequenz die Auflösung der Behörde«.

»Stille SMS« oder »Ortungsimpulse« werden von den Repressionsorganen zur Feststellung des Aufenthaltsorts von Personen genutzt. So lassen sich etwa Bewegungsprofile erstellen. Die Behörden sind um keine Ausrede verlegen, die Schnüffelei zu rechtfertigen. Der Versand solcher Nachrichten sei gar keine Kommunikation, falle somit nicht unter das Fernmeldegeheimnis. Trotzdem braucht es dazu eine richterliche Genehmigung – aber im Falle von »Gefahr in Verzug« reicht eine staatsanwaltliche Anordnung. Auch für das BfV ist die G-10-Kommission, ein Gremium des Bundestags, zuständig. Sie muß Maßnahmen wie die »stille SMS« erlauben.

Hunko kritisierte die Praxis der »stillen SMS«, da es »ein aktiver Vorgang« sei. »Ich gehe deshalb davon aus, daß hier das Gesetz gebrochen wird«, stellte Hunko am Mittwoch dazu fest. »Auf diese Weise wird das Mobiltelefon zur Ortungswanze, ohne daß die Betroffenen davon etwas merken.«

Einen Gutteil der Linksfraktion-Fragen beantwortete die Bundesregierung nicht. So auch die bezüglich der Anzahl der »stillen SMS«, die durch den Zoll versendet werden. Begründet wurde dies damit, daß sonst die Repres­sionsorgane bei ihrer »Auftragserfüllung erhebliche Nachteile zur Folge haben« würden. Hunko sprach diesbezüglich von »Geheimniskrämerei«.

Wortkarg gab sich die Bundesregierung beispielsweise auf die Frage über die Überwachungsprojekte im »Strategie- und Forschungszentrum Telekommunikation«. Es wurde 2011 von BKA, Bundespolizei und BfV gemeinsam eingerichtet. Ziel ist die Weiterentwicklung der technischen Überwachungsmethoden. Doch welche das sind, beantwortete die Regierung nur unter dem Siegel »VS – Nur für den Dienstgebrauch«. Der Stufe »Geheim« unterliegt die Antwort auf die brisante Frage, ob die Behörden »in der Lage sind«, Mikrofone von Mobiltelefonen zu aktivieren, um sie als Wanze zu verwenden.

Von der Überwachung profitieren vor allem private Firmen. Nicht nur die technische Ausrüstung, auch die anfallenden Lizenzgebühren sind ein lohnendes Geschäft. Was bundesdeutsche Behörden zum Bespitzeln benutzen, läßt sich gut exportieren: Die Firmen Rohde & Schwarz und Syborg durften ihre Abhörsysteme an Lettland, Brasilien, Montenegro und das Kosovo liefern.

Neben den Bundesbehörden nutzen »stille SMS« und andere Überwachungsmaßnahmen auch Polizei- und Verfassungsschutzämter der Länder. Es kann davon ausgegangen werden, daß sie in der BRD den Großteil »stiller SMS« verschicken. So wurden allein im Jahr 2010 in Nordrhein-Westfalen 255784 sogenannte Ortungsimpulse versandt.