Trotz Protesten und Sitzblockaden wurde die Zwangsräumung der Wohnung von Kalle Gerigk im Agnesviertel am Mittwoch vollzogen. „Kalle“ wird zu einer Symbolfigur, die sich perfekt dafür eignet, ein grundsätzliches Problem deutlich zu machen.
„Alle für Kalle“ und „Unser Nachbar bleibt“ haben Anwohner der Fontanestraße im Kölner Agensviertel auf Transparente geschrieben, die aus Fenstern hängen. Vor dem Haus, in dem Kalle Gerigk auf den Gerichtsvollzieher wartet, ist ein Möbelwagen vorgefahren.
Ein Mann vom Schlüsseldienst geht unter Polizeischutz ins Haus, in dem sich einige Demonstranten zur Sitzblockade niedergelassen haben. Die medienwirksame Auseinandersetzung um eine Zwangsräumung geht in die zweite Runde, nachdem der Protest von Nachbarn und Initiativen wie „Recht auf Stadt“ Ende Februar eine Räumung verhindert hatte. Diesmal wird sie vollzogen, mit einem Großaufgebot der Polizei.
Der 54-jährige städtische Angestellte, Karl-Heinz Gerigk, ist in den vergangenen Monaten zu einer Berühmtheit geworden. Es gibt Solidaritätsbekundungen aus der ganzen Republik und darüber hinaus. Die Medienresonanz ist auch diesmal wieder riesig. „Kalle“ ist eine Symbolfigur, die sich perfekt dafür eignet, ein grundsätzliches Problem deutlich zu machen. Kein politischer Aktivist, kein linker Spinner, sondern ein ganz normaler bürgerlicher Nachbar, dem nach 30 Jahren wegen Eigenbedarfs des neuen Vermieters gekündigt wurde. Bei einer Diskussions-Veranstaltung über die Zukunft der Stadt war er von der wachsenden Protestbewegung gegen Verdrängung, Luxussanierungen und Versäumnisse in der Wohnungspolitik entdeckt worden.
„Die Proteste sind begründet“, sagt eine Nachbarin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie steht zwischen den Absperrungen, die die Polizei bereits in der Nacht aufgebaut hat und den Polizisten, die angefangen haben, die Demonstranten wegzutragen. „Es geht um ein riesiges soziales Problem.“ Alteingesessene und Menschen mit weniger Geld müssten die beliebten Viertel verlassen, wo Mieten und Wohnungspreise immer weiter steigen. „Schauen Sie sich um. Die Autos vor der Tür werden immer dicker.“ Eine andere Nachbarin berichtet, dass nach dem Auszug einer alten Dame und ein paar Reparaturen in der Wohnungen die doppelte Miete verlangt wurde.
Die Dachgeschosse neben der Wohnung von Gerigk sind bereits mit großen Gauben ausgebaut worden. Rund 500000 Euro kann man als Kaufpreis verlangen. Diese Summe soll auch Gerigks Vermieter im Internet verlangt haben, wo er die Wohnung zum Kauf angeboten hatte. Im anschließenden Gerichtsstreit konnte er den Richter davon überzeugen, dass er dieses Verkaufsangebot nur zum Schein gemacht habe, um auf andre Angebote der Immobilienfirma hinzuweisen, für die er arbeitete.
Das Gericht glaubte ihm, dass er selbst einziehen will.
Der
Protest bleibt weitgehend friedlich. Ein Mann wehrt sich gegen das
Wegtragen, er wird verletzt, muss mit einer Platzwunde ins Krankenhaus.
Das war Gerigks größte Sorge, wie er immer betonte. Er wolle keine
Gewalt, sondern Aufmerksamkeit. Deshalb hat er es auf die aussichtslose
zweite Runde ankommen lassen, die ihn rund 1600 Euro für
Gerichtsvollzieher, Schlüsseldienst und überflüssigem Möbelwagen kosten
wird. Die Wohnung hatte er längst ausgeräumt. Um für sein Anliegen zu
demonstrieren, ist er am Abend vorher noch einmal eingezogen. Nachbarn
haben ihm Essen vorbei gebracht.
Als alles vorbei ist und er auf der Straße steht, ist er aufgebracht, den Tränen nah und sichtlich überfordert vom Rummel, der Solidarität, dem Polizei- und Medienaufgebot. „Es muss was passieren“, fordert er von der Politik. Er hoffe, auch Richter zum Nachdenken gebracht zu haben. Die Städte würden sich verändern – nicht zu ihrem Vorteil.